Steffi Jones: Das ist das Ziel. Ich bin davon überzeugt, dass wir das schaffen können. Die Vorbereitung hat mir einmal mehr gezeigt, welch hohe Qualität in dieser Mannschaft steckt - auch wenn die Europameisterschaft fast ein wenig zu früh kommt. Wir haben einige Spielerinnen, die noch relativ neu dabei sind. Daher sind noch nicht alle Abläufe hundertprozentig einstudiert. Aber die Mannschaft hat eine schnelle Auffassungsgabe.
Wer gehört ansonsten noch zum Favoritenkreis? Vielleicht unser Auftaktgegner Schweden, gegen die Deutschland im vergangenen Jahr das Olympia-Finale gewann?Schweden gehört immer zu den Favoriten. Genauso wie Frankreich, Spanien und England.
Ihre Vorgängerin Silvia Neid war elf Jahre lang Bundestrainerin und hat eine sehr erfolgreiche Ära geprägt. Sie haben als Ko-Trainerin und zuvor als Direktorin des DFB eng mit ihr zusammengearbeitet. Möchten Sie ihre Arbeit fortführen oder lieber frischen Wind reinbringen?Beides. Ich habe natürlich eine etwas andere Fußball-Philosophie. Unter Silvia wurde zum Beispiel meist mit einer Sturmspitze agiert. Ich bevorzuge eine Aufstellung mit zwei Stürmerinnen. Mir ist allgemein Variabilität sehr wichtig. Ich möchte, dass wir für den Gegner nicht ausrechenbar sind.
Als Spielerin haben Sie viele Turniere miterlebt. Nun stehen Sie erstmals als Bundestrainerin in der Verantwortung. Ist die Anspannung größer?Nicht unbedingt. Als mein erstes Turnier als Spielerin bevorstand, war auch alles neu. Ich wusste nicht, ob ich es überhaupt in den Kader schaffe. Nun bin ich erstmals als Trainerin dabei und stelle mir auch gewisse Fragen: Bekommen wir alles gut umgesetzt? Erreichen wir das Finale? Aber diese Fragen führen zu nichts. Das Wichtigste ist, dass wir gut vorbereitet sind. Wir haben in der Vorbereitung gut trainiert, haben unsere Gegner gut analysiert - mehr kann man nicht machen. Ich hoffe, wir haben die richtigen Maßnahmen getroffen, um Europameister zu werden.
Ihre Ernennung zur Bundestrainerin wurde nicht überall mit Freude aufgenommen. Der Erfolgstrainer Bernd Schröder kritisierte, dass Sie keine Trainererfahrung haben. Hat Sie das verletzt?Ich bin für Kritik immer offen, konnte diese Aussage aber nicht nachvollziehen. Ich sehe das so: Wer den Fußball-Lehrer gemacht hat, darf auch als Trainer arbeiten. Das wäre ansonsten ja so, als würde man jemandem einen Führerschein geben und gleichzeitig sagen: Auto fahren kannst du nicht. Ich habe die Kompetenz erworben, Trainerin zu sein. Ob ich das gut mache, wird ohnehin erst die Zukunft zeigen - ob ich nun 20 Jahre Trainererfahrung habe oder nicht.
Die Fußball-EM der Frauen
Gruppe A Gruppe B Gruppe C Gruppe D Viertelfinale Halbfinale Finale Kann Jürgen Klinsmann ein Vorbild für Sie sein? Der hatte vor der Weltmeisterschaft 2006 auch keine Trainererfahrung und hat dennoch den deutschen Fußball revolutioniert.Natürlich. Für mich spielt es keine Rolle, wie viel Erfahrung ein Trainer hat. Ein gutes Beispiel ist auch Stefan Kuntz. Der wurde mit der U 21-Nationalmannschaft Europameister, hatte aber auch keine großen Erfahrungen als Trainer.
Also ist Erfahrung für einen Trainer gar nicht so wichtig?Eine Trainerin ist ja nicht nur für das Training zuständig. Ich schlüpfe hier praktisch in eine Manager-Funktion. Ich habe neben der Mannschaft ein Funktionsteam von 35 Mitarbeitern. Empathie ist heute mindestens genauso wichtig wie Erfahrung als Trainer. Ohnehin sind unsere Spielerinnen so gut, dass man ihnen nicht mehr so viel auf den Weg geben muss - außer natürlich die taktischen Inhalte, die ich als Bundestrainerin vorgebe.
Deutschland wird häufig für die erfolgreiche Nachwuchsarbeit im Herren-Fußball gelobt. Sind wir bei den Mädchen ähnlich gut aufgestellt?Ja. Es gibt zwar nicht so viele Nachwuchsleistungszentren wie bei den Bundesligisten der Herren, aber wir arbeiten ebenfalls sehr eng mit den 21 Landesverbänden zusammen. An deren Stützpunkte werden talentierte Mädchen effektiv gefördert. Auch die Vereine leisten viel. Letztendlich sind die Strukturen ähnlich wie bei den Jungs - allerdings in einer geringeren Größenordnung. Bei den Jungs werden vielleicht 15.000 Talente gefördert, bei uns sind es eher 1500 Mädels.
Sie waren im Jahre 2011 an der Organisation der Heim-Weltmeisterschaft beteiligt. Frauenfußball war damals in aller Munde. Gab es auch nachhaltige Effekte, die noch heute zu spüren sind?Ich finde schon. Das lässt sich aber nicht zwingend an Zahlen festmachen. Es ist nicht so, dass wir jetzt Zehntausende Frauenteams mehr haben als früher. Aber die Nachwuchsarbeit hat sicherlich einen Schritt nach vorne gemacht. Mädchen, die keinen passenden Verein finden, werden heute bei den Jungs gefördert. Es gibt auch reine Mädchen-Mannschaften, die in einer Jungs-Liga mitspielen dürfen. Zudem hat der Frauenfußball auch weltweit von unserer WM profitiert.
Das müssen Sie genauer erklären ...Die anderen Nationen wie England oder Frankreich haben bei unserer Weltmeisterschaft erlebt, was mit dem Frauenfußball möglich ist. Viele Verbände haben danach mehr Geld investiert. Dadurch ist die Leistungsdichte in Europa größer geworden. Eine Europameisterschaft zu gewinnen ist mittlerweile schwieriger als eine Weltmeisterschaft.
Die männlichen Nationalspieler verdienen bei Ihren Vereinen meist Millionenbeträge. Das ist im Frauen-Fußball nicht möglich. Können Ihre Spielerinnen zumindest vom Sport leben?Wir haben eine sehr junge Mannschaft. Daher befinden sich einige der Mädels noch im Studium oder in der Ausbildung. Einige sind auch bei der Polizei oder der Sportfördergruppe der Bundeswehr angestellt und werden dort gefördert. Andere sind aber Vollprofis. Und dann haben wir noch die drei Spielerinnen, die im Ausland spielen und dort richtige Profis sind.
Mehr zum Thema Bei den Männern haben viele Leistungsträger einen Migrationshintergrund. Mesut Özil, Sami Khedira und Jérôme Boateng sind nur drei Beispiele. In Ihrem Aufgebot ist mit Hasret Kayikci nur eine türkischstämmige Fußballerin. Woran liegt das?Nicht jedes Mädchen mit Migrationshintergrund darf Fußball spielen. Aber wir arbeiten intensiv daran, die Situation zu verbessern. Es gibt das Projekt "Kicking Girls", das in enger Zusammenarbeit mit dem DFB durchgeführt wird. Die Projektbetreiber gehen an Schulen, spielen mit den Mädels Fußball und beziehen die Eltern ein. Ich stelle eine positive Tendenz fest: In unseren U-Nationalteams gibt es bereits deutlich mehr Spielerinnen mit Migrationshintergrund.
Mit Steffi Jones sprach Oliver JensenQuelle: n-tv.de
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