Der inszenierte Mord des russischen Journalisten Arkadi Babtschenko in Kiew verblüfft die Welt. Nachdem er als Mordopfer betrauert wurde, tauchte er plötzlich bei einer Pressekonferenz des ukrainischen Geheimdiensts auf. Der hatte den Anschlag inszeniert, um nach eigener Darstellung Anschlagspläne des russischen Geheimdienstes zu enttarnen. Ein Interview mit dem Ukraine-Experten Andreas Umland.
Die Reaktionen in der Ukraine sind vorwiegend positiv. Die Aktion wird als Erfolg des ukrainischen Geheimdienstes gefeiert. Es gibt erheblichen Stolz der Bürger, dass die Ukraine hier Initiative und Phantasie gezeigt hat. Die Regierung, die bisher nur auf Provokationen aus Russland reagierte, hat in diesem Fall einmal agiert. Dies wird als legitime Gegenmaßnahme im hybriden Krieg betrachtet, die niemand - insbesondere Russland nicht - vorhersehen konnte.
Der Schaden für die Öffentlichkeit wird in der Ukraine geringer eingeschätzt als im Westen, wo man den gesamten Krieg in der Ukraine weit weniger wahrnimmt. Westeuropäern ist meist nur ein Bruchteil derhybriden Kriegsführung, also die offenen und verdeckten antiukrainischen militärischen und nicht-militärischen Maßnahmen Moskaus bekannt. Ukrainer sind dagegen permanent mit dem Krieg und seinen Folgen konfrontiert: mit der Propaganda bis zu allwöchentlichen Toten und Verletzten in der Ostukraine. Deshalb wird das unorthodoxe Vorgehen des Geheimdienstes zur Verhinderung eines Mordkomplotts als erfolgreiche Aktion gewertet. Das größere Ziel rechtfertigt hier die vergleichsweise milden Mittel.
Das ist bisher schwer einzuschätzen. Es wird nun offenbar einen Gerichtsprozess gegen den gefassten Drahtzieher des geplanten Mordes geben. Ist der öffentlich, dürften weitere Details zum Vorschein kommen. Ein interessantes Detail hat übrigens der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin erwähnt: Nach den ersten Meldungen über den Mord gab erstaunlich rasche Stellungnahmen aus Moskau. Die scheinbare Andeutung des Ministers: Moskau hatte Babtschenkos Tod erwartet.
Angeblich existiert eine Liste mit Russen in der Ukraine, die der Kreml ausschalten will.
Wenn das stimmt, wäre dies ein weiteres Argument, welche die Aktion rechtfertigt: Denn in diesem Fall wäre nicht nur ein geplanter Mord an Babtschenko verhindert worden, sondern mögliche weitere Attentate. Es ist im russisch-ukrainischen Krieg nicht unplausibel, dass Killer für mehrere Morde angeworben werden. Das Töten passiert ja ohnehin allmonatlich in der Ostukraine.
Prominente Russen, die als politische Emigranten in der Ukraine leben, zeigten sich gestern erleichtert darüber, dass der ukrainische Geheimdienst zu solch ungewöhnlichen Aktionen fähig ist. Sie glauben offenbar, dass durch derart unerwartete Gegenmaßnahmen die Bedrohung für ihr eigenes Leben in der Ukraine sinkt. Es heißt, der angeheuerte Killer soll den Geheimdienst informiert haben. Er wurde damit offenbar zum Doppelagenten. Wer künftig wieder einen Anschlag in der Ukraine plant, kann nun nicht mehr sicher sein, dass dies auch gelingt.
Da ist sowie nicht mehr viel Schaden anzurichten. Die Beziehungen sind extrem angespannt. Aber erstmals hat die Ukraine im hybriden Krieg auf ihrer Seite ein Element der Unberechenbarkeit geschaffen. Das wird hier positiv gesehen. In der Ukraine ertrinken die Menschen täglich in einem Strom von manipulierten Nachrichten. Nun hat Kiew den Speer mit Erfolg umgedreht.
Das ist schwer einzuschätzen. Es gibt ja ständig Verfälschungen und Fake News aus Russland. Der Unterschied ist: Die Ukraine hat diesmal selbst kurzzeitige Verwirrung produziert und dies kurz darauf offengelegt. Ich glaube deshalb nicht, dass dies ein großer Gewinn für künftige Strategien des Kremls in anderen Fällen sein wird.
Hat die Inszenierung und die Kooperation mit dem Geheimdienst Folgen für Babtschenko als Journalist?Harsche Worte kamen vor allem von ausländischen Kollegen, die sagen, Babtschenko ist als Journalist unglaubwürdig und somit beruflich erledigt. In der Ukraine ist er für viele zum Star geworden. Die Menschen hier sehen die Frage nach journalistischer Ethik viel weniger kritisch. Babtschenko ist einer der entschiedensten russischen Kritiker des Kremls, der besonders radikale Ansichten vertritt, zum Beispiel, dass auch Russland einen Aufstand wie den Euromaidan 2013-2014 in der Ukraine brauche. Das gefällt vielen Ukrainern. Das gestrige Theater passt zu Babtschenkos früher schon militanter Rhetorik und der Stimmung im Land: Im Kampf gegen den Kreml sind alle Mittel recht.