Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter gibt Einblicke in seine Arbeit und erzählt, wie er selbst mit den schweren Themen umgeht.
Das Telefon klingelt nur kurz. Nach dem zweiten Piepton nimmt Tim* den Hörer ab. Er klingt freundlich, seine Stimme ist ruhig, er spricht langsam und deutlich; es ist angenehm, ihm zuzuhören. Tim arbeitet ehrenamtlich beim Kinder- und Jugendtelefon der Nummer gegen Kummer. Dort nimmt er kostenfrei anonyme Anrufe von jungen Menschen entgegen, die Redebedarf haben, die sich jemanden wünschen, mit dem sie über ihre Probleme, ihre Sorgen, ihre Ängste sprechen können; die jemanden suchen, dem sie sich öffnen können, jemanden, der ihnen zuhört, Fragen stellt, auf sie eingeht. Allein 2016 wurden deutschlandweit rund 430.000 Anrufe vom Kinder- und Jugendtelefon entgegengenommen, aus denen sich fast 112.000 Beratungen und intensive Gespräche entwickelten. Das zeigt eindeutig, dass ein großer Bedarf vorhanden ist.
Doch auch wenn man weiß, dass es kein Richtig oder Falsch gibt, dass man vielen Menschen schon dadurch hilft, indem man ihnen ein offenes Ohr schenkt, gehen einige Themen doch unter die Haut und lassen einen auch nicht los, nachdem der Hörer wieder aufgehängt wurde. Wie schafft man es also, die zum Teil hochemotionalen Gespräche nicht mit nach Hause zu nehmen? Schafft man das denn überhaupt? „Der Idealfall ist, dass ich die Gespräche dort lasse. Bei mir funktioniert das so in 80 Prozent der Fälle. Aber dann gibt es auch noch die 20 Prozent, wo man nach Hause geht und merkt: Boah, das geht mir nah", gibt Tim zu. Um auch mit solchen Situationen umzugehen und nicht selbst darunter zu leiden, gibt es einmal im Monat verpflichtende Supervisionen, erklärt Tim mir. Dann kommen alle Berater*innen der unterschiedlichen Gruppen zusammen und reflektieren gemeinsam und natürlich unter der Prämisse der Verschwiegenheit darüber, welche Fälle sie in den vergangenen Wochen bewegt haben oder ihnen nahe gegangen sind. Man spricht darüber, wertet aus, hilft einander. Außerdem gibt es jederzeit die Möglichkeit, mit Ansprechpartner*innen vom Dachverband der Nummer gegen Kummer vertrauensvoll über schwierige Fälle zu sprechen.
Natürlich ist die Arbeit nicht immer einfach. Doch Tim weiß genau, warum er das tut: „Es gibt so viele Menschen, die sich unsicher sind, in dem was sie tun und ich finde es toll, eine zweite Meinung zu haben. Gerade für Menschen, deren soziales Umfeld nicht so groß ist und die Fragen haben, die man ungern im Kreis der Familie stellt oder Freunden stellt, und sich irgendwie nicht so ganz sicher ist, ob und wie und warum." Er selbst sei ein Mensch, der sich gerne mit anderen austauscht, Probleme löst, Hilfestellung gibt und schaut, was es braucht, um mit schwierigen Situationen umzugehen: „Ganz oft tragen die Personen, die bei uns anrufen, die Lösung zu ihrem Problem schon in sich. Sie wissen nur noch nicht so ganz, wie sie damit umgehen können."
Wir verabschieden uns und legen auf. Ich muss kurz innehalten. Tims letzter Satz geht mir nicht aus dem Kopf, klingt noch nach. Ich habe verstanden: Seine Arbeit ist wichtig.
Wenn ihr auch ehrenamtlich mitmachen wollt, könnt ihr euch hier informieren. Wenn ihr gerne mit eine*r Mitarbeiter*in sprechen wollt, erreicht ihr das Kinder- und Jugendtelefon montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111 und das Elterntelefon montags bis freitags von 9 bis 11 Uhr und dienstags und donnerstags zusätzlich von 17 bis 19 Uhr unter der Rufnummer 0800 111 0550. Außerdem gibt es die Möglichkeit der Onlineberatung.
*auf Wunsch des Protagonisten wurde dessen Name für diese Geschichte anonymisiert