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Salman Rushdie: Trotz allem Optimist

Da steht er nun, winkt kurz und lässt das Blitzlichtgewitter der Fotografen über sich ergehen. Fünf Meter vor dem steht eine Reihe von Tischen als Abstandhalter. Rechts und links sind Sicherheitsleute postiert, zwei Polizisten sichern zusätzlich den Raum. Es ist keine normale Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse, denn das Leben des Mannes, der 2023 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält und hier spricht, schwebt seit Jahrzehnten in Lebensgefahr.

Salman Rushdie wird auch darüber in dieser Stunde sprechen. Vor etwas mehr als einem Jahr, im August 2022, wurde er in New York bei einer Lesung mit einem Messer attackiert und überlebte nur knapp nach fast neun Stunden Notoperation. Er sei den Ärzten sehr dankbar, sagt er und dass er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit einem Attentat gerechnet hätte, weil er glaubte, die Temperatur habe sich etwas abgekühlt, wie er sagt.

Man kann sich nicht wirklich vorstellen, wie es ist, seit 1989 mit einer Todesdrohung – einer Fatwa – durch den damaligen iranischen „Revolutionsführer“ Chomeini leben zum müssen. Das ist so lange her wie der Fall der Mauer.

Hintergrund war die Veröffentlichung von Rushdies Buch „Die satanischen Verse“, in denen der Prophet Mohammed vorkommt und dessen Darstellung von manchen Muslimen als Blasphemie empfunden wurde. Und nun, so viele Jahrzehnte später, fühlte sich ein Fanatiker berufen, das „Todesurteil“ zu vollstrecken.

Seit dem Attentat war Rushdie nur selten in der Öffentlichkeit, dies sei sein dritter Auftritt, sagte er. Die Sicherheitsbestimmungen für Journalisten waren streng: Im Vorfeld musste man sich unter Nennung der Ausweisnummer anmelden – man kann davon ausgehen, dass die Behörden nachgesehen haben, wer dabei sein möchte. Man solle möglichst nichts mit in den Raum nehmen, nur ganz kleine Gegenstände und Taschen seien erlaubt. Ganz so streng war es dann doch nicht, und eine Stunde früher da zu sein, wie verlangt, war übertrieben. Aber alle mussten durch eine Sicherheitsschleuse, Taschen wurden durchsucht. Und nach dem Ende der Pressekonferenz mussten die Journalisten im Raum bleiben, bis Rushdie längst irgendwo in den Gängen verschwunden war.

Der Aufwand war verständlich und die kleinen Mühen für die Besucher lohnten sich allemal, denn sie erlebten einen gut aufgelegten, ungebeugten Gesprächspartner. Man darf annehmen, dass der 76-Jährige nicht absichtlich zum Symbol der Meinungsfreiheit geworden ist, aber nun steht er da und legte auch noch einen feinen Humor an den Tag. Auf die Frage, was ihn überleben lasse, woher die Kraft nehme, sagt er: „Ich habe da eine geheime Quelle, aber ich darf nicht darüber sprechen.“

Die Attentate und der Krieg in Israel und Gaza erfüllten ihn mit Schrecken. Es sei keine besonders originelle Haltung, aber er sei generell gegen Krieg. Die Literatur habe nicht die Aufgabe, Hass zu überwinden, antwortet er auf eine Frage, aber sie könne eine Welt der Offenheit und der Vielfalt zeigen. Er stelle sich gegen die Idee, dass Literatur eine Rolle haben müsse. „Alice im Wunderland“ oder „Der Herr der Ringe“ zeichneten sich durch so gesehen durch Nutzlosigkeit aus. „Ich mag Bücher nicht, die mir sagen, was ich denken soll. Ich mag Bücher, die mich zum Denken bringen.“ Nein, eine direkte soziale Funktion dürfe Literatur nicht haben, allenfalls eine indirekte: Schönheit erzeugen.

Eine Welt ohne Kunst wäre arm, erklärt der große Geschichtenerzähler, und nicht zuletzt wüsste er auch gar nicht, was er selbst dann täte: „Was sollte ich denn mit meiner Zeit anfangen? Ich habe doch sonst keine Talente.“ Und ganz nebenbei scheint auch auf, wie gut sich Salman Rushdie in den Literaturen dieser Welt auskennt. Auf die Fragen von Kollegen aus Italien (Gastland der nächsten Buchmesse) und Polen erzählt er – und das nicht pflichtschuldig – von seinen Büchern, Kollegen und Dichtern aus diesen Ländern und zitiert nebenbei Heinrich Heine, als es um Bücherverbrennungen geht. Da spricht einer, für den die Literatur eine wohl vertraute Heimat ist und der nach seinen Lieblingsautoren gefragt, antwortet: „Ich habe eine lange Liste.“

Auch auf die Künstliche Intelligenz (KI), eines der großen Buchmessen-Themen, wird Rushdie angesprochen. Jemand habe Chat GPT einen 300-Wörter-Text schreiben lassen, der wie Salman Rushdie klingen solle. Das Ergebnis? „Complete garbage“ – „kompletter Müll“! Doch die KI lerne schnell, sodass sich das bald ändern können. Aber in einem sei er sich sicher: „Chat GPT hat keinen Sinn für Humor.“

Die Tatsache, dass Salman Rushdie diesen Sinn für Humor dafür umso mehr hat, sorgt dafür, dass das Pressegespräch schnell verfliegt. Einer hatte gefragt, wie Rushdie die Zeit in Frankfurt verbringe und ob es überhaupt möglich sei, etwa mal in ein Kaffee zu gehen. Antwort: Er habe eine großartige Zeit, denn er verbringe sie ausschließlich mit Journalisten – großes Gelächter im Saal.

Neben dem Humor zeichnet Salman Rushdie sein Optimismus aus, dieses große „Trotzdem“, das er der Gewalt und dem Grauen der Welt entgegenstellt. Es sei in diesen Tagen (und mit seiner eigenen Geschichte) einfach, eine negative Weltsicht zu haben, aber er sei geradezu „unvernünftig optimistisch für die Welt“. Schreiben sei ohnehin eine Form von Optimismus, sagt er. Da sitze man jahrelang an einem Werk, getragen nur von der Hoffnung, dass das später einmal jemand liest.

Die Stunde ist zu Ende, Rushdie verschwindet durch eine Seitentür, die Sicherheitsleute hinterher – zurück in ein Leben, das man sich als Außenstehender kaum vorstellen kann. Was für ein Glück, dass er das hinterhältige Attentat überlebt hat und nun sogar ein Buch darüber schreiben konnte. Was für ein Glück, dass seine Stimme nicht zum Verstummen gebracht werden konnte. Was für ein Glück, dass es überall auf der Welt mutige Kämpfer und Kämpferinnen für die Freiheit der Kunst gibt. Wie wichtig, dass sie in ihrem Kampf nicht alleine gelassen werden. Dafür ist der Friedenspreis ein wichtiges Symbol und Salman Rushdie ist ein würdiger Preisträger.


Olaf Dellit