Über die vermeintliche Tierliebe der Nationalsozialisten und die Rolle der Tiere im Zweiten Weltkrieg wabert bis heute dunkles Halbwissen herum. Adolf Hitler war demnach zum Beispiel Vegetarier, Hundefan und - anders als der Reichsjägermeister Hermann Göring - Jagdgegner. Das Paradoxon tierlieber Menschenfeinde (schon 1933 erließen die Nationalsozialisten ein "Reichstierschutzgesetz") lässt sich ja rational auch nur schwer begreifen. Selbst die NS-Forschung hat dieses Kapitel ausgeblendet: Zu groß waren die Bedenken, das Leid der menschlichen Opfer des Nationalsozialismus im Erzählen von Hund-Katz-und-Maus-Geschichten zu verharmlosen.
Der 1983 geborene Autor und Journalist Jan Mohnhaupt hat sich an den vernachlässigten Stoff rangetraut. Seinem Buch hat er den leisen Titel Tiere im Nationalsozialismus gegeben - umso lauter kracht es in eine kollektive Wissenslücke. Mohnhaupt widmet sich dem Tier als Alltagsbegleiter, als Propagandamittel, als Feindbild, als Schädling. Die Protagonisten: heroisch gefeierte Pferde, die in Stalingrad deutsche Soldaten vor Landminen retten und später als Kesselfleisch im Kochtopf landen. Kartoffelkäfer, die einer hungernden Nation die Ernte wegfressen - und später als Kriegswaffe in Betracht gezogen werden. Und Braunbärjunge, die KZ-Wärter im "Zoologischen Garten Buchenwald" bespaßen.
Mohnhaupt hat aus Tagebüchern, Schulmaterial, Propagandaschriften und Experteninterviews Geschichten extrahiert, die alles andere sind als harmlose Heimtierstorys: Es sind Zeugnisse ihrer Zeit, die in jedem Schnauben und jedem Bellen auch die Willkür nationalsozialistischer Rassenideologie offenbaren.
Da ist zum Beispiel der quietschfidele Kater namens Muschel, den sein jüdischer Besitzer, der Philologe Victor Klemperer, nach einer Henkersmahlzeit 1942 schweren Herzens einschläfern lässt. Für Juden gilt im "Dritten Reich" ein Haustierverbot - damit die Gestapo sich nach Deportationen nicht um zurückbleibende Tiere kümmern muss. Der Fall von Muschel ist nur ein Beispiel von unzähligen mehr, mit dem Mohnhaupt zeigt, wie die braune Ideologie "selbst in ideologisch unverdächtigen Lebensbereichen verankert sein und die Gesellschaft prägen kann".
Der Autor schreibt anschaulich und dicht, dabei nie drastischer als nötig. Durch die Kapitel begleitet einen mal Mohnhaupts eigene Großmutter, mal der fiktive Schuljunge Hans, der Prototyp des indoktrinierten Hitlerjungen. Er hilft emsig bei der Aufzucht von Seidenspinnern, die die Luftwaffe zur Herstellung ihrer Fallschirme braucht, und lernt schon in Schulfibeln wie Der Giftpilz oder Pudelmopsdackelpinscher, dass "alle Kultur rassisch bedingt ist". Katzen? "Die Juden unter den Tieren". Schäferhunde? "Herrentiere", die als Sinnbild des deutschen Hundes das Vorbild für völkisch-nationalen Rassenwahn abgeben. Tatsächlich war nicht nur SS-Chef Heinrich Himmler nach Mohnhaupt "fest überzeugt davon, dass die Erkenntnisse der Tier- und Pflanzenzucht auf den Menschen anwendbar sind".
So einen fiktiven, schablonenhaften Protagonisten Hans kann sich dieses Sachbuch leisten, weil Mohnhaupt nicht nur ein fünfzigseitiges Quellenverzeichnis schützt, sondern auch sein genauer Umgang mit den Fakten. Beim Zoom auf den Menschen und sein Verhältnis zum Vierbeiner entgeht das Buch der Verniedlichungs-Falle; es rückt die Gräueltaten der Nazis keineswegs in den Hintergrund. Im Gegenteil: Mit jedem Kapitel wird der Leser Zeuge "einer systematischen Verschiebung der Grenzen, die ausgesuchte Tiere zu 'Herrentieren' machte und Menschen willkürlich zu 'Menschentieren' und 'Untermenschen' degradierte". Selten war ein Tierbuch politischer, selten der Rassenwahn im Winzigen spürbarer.
Auch die Geschichte von Blondi, Hitlers Lieblingshündin, wird hier zu Ende erzählt. Als Abziehbildchen seiner vermeintlichen Tierliebe soll die Schäferhündin, so Herrchens Wille, am 30. April 1945 noch vor ihm den Zyankali-Tod sterben. In ihrem verkohlten Halsband wird man später die Worte finden: "Immer mit dir".
Vielleicht kann die Geschichte über das Ende eines Schäferhundes das Paradox eines tierlieben Menschenfeindes, der sich im vertrauten Kreis gern mit dem Spitznamen "Wolf" anreden ließ, auflösen: Hitlers Hundeliebe nährte sich aus der selbstverliebten Macht über Gehorsam, Leben und Tod.
Jan Mohnhaupt: Tiere im Nationalsozialismus. Hanser, München 2020; 256 S., 22,- €, als E-Book 16,99 €