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Von der Leyen erlebt ihren Steinbrück-Moment

Am Ende blieb den Tontechnikern im Studio von Günther Jauch nur noch übrig, die Mikrofone der Gäste einfach abzudrehen. Die beiden Spitzenkandidatinnen von Grünen und Linkspartei, Katrin Göring-Eckardt und Sahra Wagenknecht, hatten sich in einem derart lauten Wortgefecht verheddert, dass der Moderator einfach nicht mehr dazwischenkam.

Also: Ton aus. Jauch konnte nach mehreren vergeblichen Versuchen endlich seine Abschiedsworte einleiten, sichtlich erschöpft und mit ein paar neuen Sorgenfalten auf der Stirn. "Das möchte ich mir und dem Rest der Welt nicht jeden Sonntag zumuten", lautete sein letzter Satz.

65 Minuten lang hatte sein Talk-Studio im Gasometer im Berliner Ortsteil Schöneberg unter Druck gestanden wie ein Dampfkessel. Es war laut. Es wurde gestritten. Unterbrochen. Besonders aktiv dabei: Ursula von der Leyen (CDU).

Wie der Duracell-Hase aus der Werbung, der voller Energie immer weiter trommelt und trommelt und trommelt, feuerte die Arbeitsministerin ohne Punkt und Komma einen Satz nach dem anderen ab. "Sie sind aufgedreht, als hätten Sie vorher was geraucht", befand SPD-Chef Sigmar Gabriel schließlich. Von der Leyen: "Sie sollten nicht von sich auf andere schließen." Und Jauch bei alldem: Gast in seiner eigenen Sendung. Aber der Reihe nach.

"Endspurt im Wahlkampf - wer kann jetzt noch punkten?", lautete das Thema des ARD-Talks, das durch die Bayern-Wahl zusätzlich befeuert wurde: Absolute Mehrheit für die CSU, Rausschmiss aus dem Münchner Landtag für die FDP. Außerdem ist ja am Sonntag Bundestagswahl. Auch wenn die Umfragen auf eine Fortsetzung von Schwarz-Gelb hindeuten, geht es für alle um alles. Es geht um die Macht in Deutschland für die kommenden vier Jahre. Zu viel offenbar, um auch nur den kleinsten Hauch Rücksicht zu nehmen.

Jauch bot dafür allerdings auch die passende, polarisierende Vorlage. Er zeigte - wie sollte es anders sein - das "Süddeutsche Zeitung Magazin" mit SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf dem Cover. Und seinem Mittelfinger. "Wie ehrlich und kantig darf man im Wahlkampfzeiten sein, ohne seine Wähler zu verprellen?", fragte Jauch also in den wenigen Anfangsminuten, in denen er noch zu Wort gekommen war.

"Das ist ein ironisches Interview", versuchte sich Gabriel an einer Erklärung. Und überhaupt, es seien ja die Medien schuld: "Wenn Peer Steinbrück morgen übers Wasser laufen kann, steht übermorgen in der Zeitung: Steinbrück kann nicht schwimmen." Gott sei dank, schob Gabriel nach, gehe es bei der Wahl ja aber auch um Inhalte.

Auftritt von der Leyen. "Wäre so ein Foto von Ihnen denkbar?", wollte Jauch wissen. Die Ministerin wich aus, drehte aber dafür auf: "Jetzt reden wir doch schon drei bis fünf Minuten über das Bild", beschwerte sie sich, lauter werdend. Immerhin sei bald Bundestagswahl. "Es geht hier nicht um ,Germany's Next Topmodel', sondern um Inhalte. So würde ich nicht gern mit Ihnen weiter diskutieren", ging sie Jauch an.

Doch von der Leyen hatte die Rechnung ohne dessen Redaktion gemacht. Die hatte nämlich ein Bild von der Ministerin ausgegraben, das 2007 im selben Magazin erschienen war, in derselben Foto-Interview-Reihe "Sagen Sie jetzt nichts". Von der Leyen war damals noch Familienministerin.

Ihre Pose: ähnlich wie die Steinbrücks. Eine Faust angriffslustig nach oben gestoßen, für alles bereit - wohl auch zum Stinkefinger, so sieht es jedenfalls aus. Nur, dass von der Leyen - klugerweise, wie man heute weiß - es dann doch bei der Andeutung belassen hat. Durch Jauchs Publikum ging bei dem Anblick des Fotos ein schadenfrohes Raunen.

Die Peinlichkeit lächelte von der Leyen nicht nur weg - sie redete sie auch weg. Schließlich ging es in der Folge um viele Von-der-Leyen-Themen: um den Arbeitsmarkt, um Mindestlöhne, um Leiharbeit und um Hartz IV, das die Grünen um 50 Euro im Monat erhöhen wollen.

Wie hektisch die Gesprächssituation im Studio war, zeigt etwa der folgende Wortwechsel:

Göring-Eckardt: "Es geht darum, dass Hartz-IV-Empfänger irgendwie bis zum Ende des Monats kommen müssen." Und wenn sich von der Leyen hier hinsetzen und behaupten würde, das sei falsch, "dann sage ich, Sie wissen nicht, wie es den Leuten geht".

Leyen: "Oh doch! Ich weiß genau, wie es denen geht."

Göring-Eckardt: "Ich will ausreden!"

Jauch, verzweifelt: "Irgendwann will ich auch nochmal dazwischen."

Als Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) zum Sprechen anhob, legte ihm von der Leyen tätschelnd die Hand auf den Unterarm. Bahr tat das offenbar einzig Richtige: Er schwieg.

Gabriel sah sich schließlich dann genötigt, der hibbeligen Arbeitsministerin zu unterstellen, "was geraucht" zu haben. Der Rest ist anstrengende Geschichte, zumal nachher Göring-Eckardt und Wagenknecht die Schlussminuten für sich beanspruchten.

Ach ja, der Titel des Talks. "Wer kann jetzt noch punkten?", wurde ja gefragt. Von der Lautstärke her war jedenfalls Ursula von der Leyen die Siegerin. Trotz Foto. Die einzige kluge Handlung des Abends kam am Ende allerdings von den Tontechnikern.

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