Erste Etappe: Leipzig-Halle
Hallo, Halle! Wir erlauben uns einen Sekunden-Jubel, als wir gegen 10.30 Uhr das erste Ortsschild unserer Tour passieren. Zugegeben, die 45 Kilometer und 30 Minuten von Leipzig hierher sind selbst für E-Autos ein Klacks und Hamburg liegt gefühlt am anderen Ende der Welt. Aber die läppische erste Etappe war gut, um ein Gespür für den schneeweißen BMW Active E zu bekommen, an dessen Steuer ich sitze. Wie schnell kommen wir voran? Wie präzise sind die Anzeigen? Welche Geschwindigkeit raubt uns wie viel Reichweite? ...
... Im Stadtverkehr schafft der mit Lithium-Ionen-Hochvoltspeichern vollgepackte BMW locker 160 Kilometer. Auf der Autobahn aber schrumpft diese Reichweite ruckzuck auf 100 bis 120 Kilometer. Könnte man so einfach Strom laden wie Sprit tanken, wäre das nicht weiter schlimm. Doch das Angebot an Ladesäulen für E-Autos in Deutschland ist, nun ja, übersichtlich. Und selbst wenn man eine Säule findet, heißt das noch lange nicht, dass man sie nutzen kann. Dafür braucht man den richtigen Stecker und vor allem Code oder Karte, um den Strom fließen lassen. Damit keine Langeweile aufkommt, regelt das jeder Anbieter anders. Und frei sein muss das Ding natürlich auch noch.
Die RWE-Säule in Halle ist zwar nicht besetzt, aber zugeparkt. Ein schwarzer Audi steht platzhirschig genau dort, wo ich hin muss. Dicker Motor, doppelter Auspuff, das moralische Gegenteil eines E-Autos. Wild kurbelnd versuche ich, trotzdem nah genug an die Säule heranzufahren. Glücklicherweise ist das schwere, orangene Ladekabel recht lang, so dass wir uns trotz Audi problemlos einstöpseln können. Das ist kinderleicht: Den Stecker am einen Ende des Kabels versenkt man im Auto dort, wo sonst der Tankstutzen sitzt, den anderen in der Säule. Ein kurzer Anruf bei der Hotline von RWE, und schon blinkt es blau - der Strom fließt. Mein Begleiter Markus und ich klatschen ab. Jetzt heißt es warten. Vier bis sechs Stunden muss die elektrische Variante des 1er Coupé an die Dose, wenn die Batterien ganz leer sind und man über den Typ-2 Stecker laden kann, der einen schnelleren Stromfluss ermöglicht. Für ein E-Auto ist das ziemlich fix. An einer normalen Steckdose würde der Spaß etwa zehn Stunden dauern. Schuko taugt für Rasierapparate, Handys und elektrische Zahnbürsten, nicht aber für Autos. Für die Schnellladesäulen, an denen man binnen einer halben Stunde 80 Prozent laden kann, ist der Active E leider nicht gerüstet. Da man die Anzahl dieser Wunderdinger aber ohnehin an einer Hand abzählen kann, ist das nicht weiter tragisch. Wir rechnen aus, dass wir mit zwei Stunden Ladezeit gut bis ins 90 Kilometer entfernte Magdeburg kommen müssten und machen uns auf, Halle zu erkunden.
Markus sitzt übrigens aus dem gleichen Grund auf dem Beifahrersitz, aus dem ich am Vorabend noch völlig überstürzt eine ADAC-Mitgliedschaft abgeschlossen habe: Muffensausen. Mein alter Schulfreund soll mich wachhalten, wenn mir am Steuer die Augen zufallen. Mir Gesellschaft leisten, wenn sich die Ladezeiten des Autos hinziehen. Und mich vor einem Nervenzusammenbruch bewahren, wenn mir nachts irgendwo in der Pampa der Strom ausgeht. Denn einfach so drauf losfahren, das musste ich bei der Planung dieser Tour schnell feststellen, ist mit einem E-Auto nicht drin. 16 Stunden werden wir für die Strecke nach Hamburg auf jeden Fall brauchen - wenn alles perfekt läuft.
Zweite Etappe: Halle-MagdeburgEin Bahnhofs-Frühstück später gleiten wir wieder über die hitzeflimmernde A14. Der BMW ist mucksmäuschenstill, was uns erst irritiert und dann begeistert. Strommotoren summen allenfalls dezent, im normalen Fahrbetrieb sind sie so gut wie lautlos. Die Soundkulisse gleicht trotzdem einem Heavy-Metal-Konzert: Da wir mit offenen Fenstern und nicht schneller als 80 bis 100 km/h fahren, hänge ich meist hinter einem LKW. Egal, wir können sowieso kein Radio hören, das würde zu viel Strom und damit Kilometer fressen. Aus dem gleichen Grund verzichten wir auf Klimaanlage, Licht und Experimente mit dem Tempo. Die Spitzengeschwindigkeit von 145 km/h und die flotte Beschleunigung reizen wir nicht aus. Das schmerzt, denn beim Anfahren könnten wir selbst Sportwagen rechts liegen lassen.
Nach knapp zwei Stunden tauchen in der Ferne die Türme des Doms auf. Endlich! Mein Shirt klebt an den hellen Ledersitzen, das Thermometer zeigt 31 Grad. Draußen. Schon seit Staßfurt fantasiere ich von Getränken mit vielen Eiswürfeln darin, der Fahrwind bringt kaum Abkühlung. Leider schickt uns das Navi auf dem Weg zur nächsten Säule gnadenlos weg vom Zentrum, durch Vororte mit tristen Fassaden, geschlossenen Rollläden und menschenleeren Straßen. In dem von Supermärkten und Feldern umgebenen Wohnghetto ist von einer Ladesäule nichts zu sehen. Thietmarstraße 16 sagt das Navi. Thietmarstraße 16 sagt auch das Smartphone. „Neee", sagt ein Spaziergänger mit Hund, „ne Nummer 16 gibt's hier nüscht." Eine Säule für Autos habe er hier noch nie gesehen. Es gäbe aber eine mit Beuteln für Hundehaufen.
Nach einigem Hin und Her finden wir schließlich eine Säule des Fraunhofer Instituts vor einem Hotel in der Innenstadt, an der Rezeption bekommen wir die passende Karte. Nochmal Glück gehabt. Wieder blockiert ein anderes Auto unseren Platz, wieder quetschen wir uns dazwischen. Als es blau blinkt, machen wir uns auf den Weg ins Zentrum, besichtigen Hundertwasserhaus, Elbe, Dom und Altstadt, kühlen uns in einem klimatisierten Einkaufszentrum ab und lauschen beim Mittagessen den Liedern eines punkigen Straßenmusikers. Auf dem Rückweg trödeln wir herum, um die Ladezeit zu verlängern. Hätten wir uns mal lieber beeilt. Denn am Auto angekommen, begrüßt uns das Display mit der unheilvollen Meldung „Laden nicht möglich". Tatsächlich zeigt die Anzeige gerade mal zehn Kilometer mehr als bei unserer Ankunft. Im Klartext: Die letzten drei Stunden haben wir völlig umsonst gewartet.
Verdammter Mist! Ist das die göttliche Rache dafür, dass ich die Zwei-Euro-Fotogenehmigung im Dom ignoriert und heimlich geknipst habe? Ich fluche herum, bis ein älteres Ehepaar vom benachbarten Café pikiert herüberblickt. Wir überlegen hin und her: Liegt es am Auto? An der Säule? Ist die Hitze zu viel für die Batterien? Wenig hoffnungsvoll stöpseln wir schließlich neu an - mit Erfolg! Kurze Erleichterung, dann Frust. Die Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt ist nett, aber für die doppelte Ladezeit reichen Charme und Größe der Stadt nicht aus. Nochmal drei Stunden hier totschlagen? Doch unsere Sorge ist umsonst: Weil der Ladevorgang immer wieder wieder abbricht, kommen wir gar nicht erst in die Verlegenheit eines weiteren Stadtbummels. Die nächsten zweieinhalb Stunden verbringen wir nämlich damit, in der prallen Sonne den Ladevorgang zu überwachen. Der bricht zuverlässig alle zehn Minuten ab. Am liebsten würde ich der Ladesäule einen ordentlichen Tritt verpassen, aber es ist viel zu heiß für so viel Körpereinsatz. Ich denke an die Reiterin, die auch gerade auf der Strecke unterwegs ist. Was würde ich darum geben, von einem heufressenden PS statt von 140 stromfressenden abhängig zu sein.
Dritte Etappe: Magdeburg-BraunschweigMit viel Verspätung verlassen wir gegen 18.30 Uhr Magdeburg und fädeln uns mit mageren 25 Kilometern mehr Reichweite als den 90 benötigten auf der Autobahn ein. Bis Braunschweig muss das reichen. Hitze- und Angstschweiß mischen sich, denn die A2 ist hügelig, und jede Steigung treibt die Nadel der Batterieanzeige weiter nach links. Dorthin, wo die Null wartet. Könnte auch ein Stimmungsbarometer sein. Ich versuche, mich stattdessen auf die digitale Anzeige zu konzentrieren. Ladebalken, Prozentanzeige, Reichweite - man hat die Wahl, wovon man sich verrückt machen lassen will. Unter normalen Umständen hätten wir nie so knapp mit den Kilometern kalkuliert, aber das Ladesäulen-Desaster zwingt uns dazu. Jetzt kann jeder Stau, jede Umleitung, jedes Verfahren und jeder Druck zu viel aufs Gaspedal das Ende der Reise bedeuten. Denn zwischen den beiden Städten gibt es keine einzige Ladesäule.
15 Kilometer haben wir noch, als wir um 20.20 Uhr mit flattrigen Nerven an der Ladestation der Technischen Universität eintreffen. Die ist eigentlich nur für Studenten gedacht, doch ein kurzer Anruf genügt, um uns Lade-Asyl zu verschaffen. Ein netter Doktorand erwartet uns schon, startet mit seiner Karte den Stromfluss und fragt mit Blick auf die Uhr und unsere erschöpften Gesichter, ob wir nicht in Braunschweig übernachten wollen. Aufgeben? Niemals! Wir wollen nach Hamburg, heute noch. Wozu hat ein Tag 24 Stunden?
Kurz nach Mitternacht ziehe ich den Stecker. Das Auto ist fast voll, und auch ich fühle mich nach reichlich Kaffeeplörre durchaus geladen. Weil wir ohnehin im Schneckentempo unterwegs sind, entschließen wir uns, statt der A7 die Landstraße via Celle zu nehmen. So können wir zwar nicht wie geplant in Hannover laden, sparen uns aber satte 31 Kilometer auf dem Weg nach Soltau. Wahnsinn!
Rechts und links sausen Bäume vorbei, der Fahrtwind zupft Gänsehaut auf unsere Unterarme. Wir passieren die Ortsschilder abgelegener Dörfer, deren Namen man zehn Meter hinter dem Schild wieder vergisst. Dafür sieht es hier schon richtig nordisch aus, überall roter Klinker. Wir diskutieren kurz, ob Fernlicht wohl zu viel Strom frisst und passieren lautlos beschleunigend ein Schild, das aus Lärmschutzgründen zu Tempo 30 mahnt.
Aus dem Nichts taucht bei Bröckel plötzlich eine Straßensperre vor uns auf. Wir erwarten einen kurzen Umweg, aber Pustekuchen: Erst nach viel zu vielen kurvigen Kilometern landen wir wieder auf der richtigen Straße. Ich bin kurz vorm Ausrasten, Hände und Stimme zittern. Mit einem E-Auto sind Umwege nicht nur ärgerlich, sondern problematisch. Hier draußen findet uns der ADAC nie! „Ach", sagt Markus lapidar, „den können wir eh nicht anrufen. Bis wir liegenbleiben, ist auch das Smartphone leer."
Gegen 2.30 Uhr erreichen wir Soltau. Weil man sich um diese Zeit nicht im Heidepark amüsieren kann, warten wir im Auto, bis genug Kilometer für Hamburg beisammen sind. Die RWE-Säule in der Blumenstraße ist frei und funktioniert auf Anhieb, dank der Stadtwerke fließt der Strom hier sogar ohne Anmeldung. Das Licht unter dem Rückspiegel zeigt fröhlich blinkend an, dass wir laden. Toll, weil der Strom fließt. Nervig, weil wir schlafen wollen. Ich schlinge ein T-Shirt um den Spiegel, das hilft. Markus klappt den Sitz nach hinten und schlummert binnen Minuten, mich halten Kaffee und Aufregung wach. Um ihn nicht zu nerven, gehe ich ein bisschen spazieren. Soltau schläft und ähnelt einer Geisterstadt, in der Fußgängerzone schrecke ich einen Igel auf, der zwischen den hochgestellten Stühlen vor den Cafés nach allem sucht, was die Gäste tagsüber runtergekrümelt haben.
Zweieinhalb Stunden später brechen wir mit 25 Bonus-Kilometern auf. Von unserem Ziel trennen uns nur noch 80 Kilometer, Freude oder gar Triumph wollen sich trotzdem nicht einstellen. Fast unbemerkt hat sich unser Abenteuer in eine Qual verwandelt. Ich bin einfach nur noch müde. Muss mich zwingen, die Augen offen und das Auto in der Spur zu halten. Markus döst vor sich hin, brabbelt hin und wieder etwas von „Schnapsidee" und nickt sofort wieder ein.
Am Ortschild Hamburg boxe ich meinem Beifahrer in die Rippen. Das letzte Stück ist hart, aber auch ein bisschen magisch. Vor uns geht die Sonne auf, hinter uns steht noch der blasse Vollmond am Himmel. Irgendwann sind wir einfach da, ganz unspektakulär. Statt direkt zum Hotel zu fahren, ringen wir den Batterien eine trotzige kleine Runde um die Binnenalster ab. Es ist fast halb sieben, die Stadt ist längst wach. Knapp 21 Stunden haben wir gebraucht, um sie zu erreichen.
Auf dem Weg zum Hotel schiele ich im Vorbeifahren neidisch auf die vielen Tankstellen. Energie, einfach so, sofort verfügbar, quasi überall. Was für ein Luxus. Nach unserer Monstertour ist für mich klar: Elektroautos sind fantastisch - für den Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, zur Uni. Wenn man keine Lust auf die S-Bahn hat oder zu faul ist, aufs Rad zu steigen. Und wenn man nachts in der eigenen Garage laden kann. Es ist schön mit dem Wissen unterwegs zu sein, null Emission zu verursachen. Trotzdem: Langstrecken sind purer Stress. Mal langweilt man sich beim Laden zu Tode, dann wieder zittert man auf der Autobahn um jeden Kilometer. Die Sorge, liegen zu bleiben oder keine Ladestation zu finden, fährt immer mit. Mit einen normalen Auto hätten wir die Strecke in dreieinhalb klimatisierten Stunden geschafft. So waren es 21 schweißtreibende. Trotzdem tut es mir leid, den stillen und spritzigen Active E in Hamburg gegen einen normalen Mietwagen einzutauschen. Jetzt wo wir endlich hier sind, könnten wir ihn nämlich wirklich gut gebrauchen.