Weil der Sänger den Hitlergruß zeigte, wurde die Band Pantera bei den größten deutschen Festivals für 2023 ausgeladen. Stattdessen soll eine Metalband spielen, die nicht weniger umstritten ist.
Eine Horde Zombies schiebt in Einkaufswagen Klopapier vor sich her. Eine Politikerin verteilt Coronamasken und Buttons mit der Aufschrift »Compliant«, gefügig, an strammstehende Bürger. Sie selbst trägt keine Maske, dafür aber einen Pin, der auf die chinesische Flagge anspielt und sie als »Exempt«, Bevorrechtigte, identifiziert. Sie hetzt versklavte Menschen auf einen Eisverkäufer, der es wagt, noch eine amerikanische Flagge zu besitzen.
Plötzlich reicht es den gegängelten Bürgern. Sie reißen die Masken herunter und ziehen Fahnen schwenkend in die Schlacht, um sich ihr Land zurückzuholen. Dazu verkündet der Fließtext einer Nachrichtensendung das »Great Awakening«. Das große Erwachen also. Der Begriff beschreibt unter Anhängern der rechten, gefährlichen QAnon-Bewegung den Tag, an dem sich die Bevölkerung gegen eine elitäre Weltelite erhebt.
Das Musikvideo »Living the Dream« der erfolgreichen amerikanischen Metalband Five Finger Death Punch spielt klischeehaft auf rechte Verschwörungstheorien an. Amerika wird darin im Kern von Kommunisten regiert, hinter der Coronapandemie und den damit einhergehenden Schutzvorkehrungen steckt ein Plan der Regierung. In dem Video kämpfen die Bandmitglieder am Ende an vorderster Front mit für ihre vermeintlich verloren gegangene Freiheit.
Ästhetisch ist das komplett überzogen inszeniert, gleichzeitig ist keine ironische Distanzierung erkennbar. Veröffentlicht wurde das Video bereits 2020, kurz vor den US-Wahlen im Pandemieherbst. Jetzt aber lohnt es, sich den Inhalt dieses Clips noch einmal zu vergegenwärtigen.
Denn ausgerechnet Five Finger Death Punch sollen bei Deutschlands größten Musikfestivals – Rock am Ring und dem Schwesterevent Rock im Park – die Band Pantera ersetzen, die vor einigen Wochen aus dem Line-up genommen wurde.
Grund für die Ausladung war ein altes verwackeltes Handyvideo, in dem Pantera-Sänger Anselmo bei einem Auftritt den Hitlergruß zeigt und »White Power« ruft. Dafür hatte sich der Musiker bereits wenige Tage nach dem Erscheinen des Videos im Januar 2016 zwar entschuldigt – und seitdem immer wieder –, nun aber kochte das Thema im Netz wieder hoch. Nach einem ersten Zögern seitens des Konzertveranstalters Argo wurden Pantera tatsächlich von beiden Festivals ausgeladen.
Kritik wurde jetzt auch am Ersatz Five Finger Death Punch schon vor einigen Wochen schnell laut, die einen kritisierten den Auftritt als schlechten Scherz, »Pantera rausschmeißen und dann Five Finger Death Punch booken, genau mein Humor« – die anderen verteidigten ihn: »Freut mich sehr, dass 5FDP bestätigt wurden.«
Klar ist: Die Diskussion über die Frage, wer wo auftreten darf, hat in diesem Jahr auch die Line-ups deutscher Festivals erreicht. Aber wo genau verläuft die Grenze, wird ein Hitlergruß von den Veranstaltern geahndet und eine Band, die auf rechte Verschwörungstheorien anspielt, eingeladen? Nach welchen Kriterien wird entschieden, welche Rolle spielt vor allem die Angst vor dem Imageschaden, der öffentliche Druck? Vorneweg: Der Veranstalter äußert sich nicht zu dem Ersatz, Anfragen des SPIEGEL an Argo Konzerte und die Bookingagentur DreamHaus bleiben unbeantwortet.
Auf comichafte Weise überzeichnet
Die Mitglieder von Five Finger Death Punch treten bei Konzerten teilweise wie überzeichnete amerikanische Actionfiguren auf, Sänger Ivan Moody singt in ein Totenkopfmikrofon, Gitarrist und Songschreiber Zoltan Bathory ist unter anderem zertifizierter Nahkampfausbilder der U.S. Army. Ihre Biografie passt zu einer Band, die sich gern als Gruppe von Bad Boys inszeniert, Provokationen, spontane Konzertabbrüche, öffentliche Streits mit dem Schlagzeuger – all das prägt die Band, ebenso ein Faible für US-Patriotismus und für Waffen; Bathory etwa teilt im Netz auch gern mal Fotos von sich mit automatischen Schusswaffen.
Den einen großen öffentlichen Skandal hat die Band aber nicht produziert. Selbst der Clip »Living the Dream« ist auf eine geradezu comichafte Weise überzeichnet, die zwar ein Unwohlsein hinterlässt, aber es für das Publikum schwierig macht, hier final zu identifizieren, wie stark sich die Band mit den Inhalten auch identifiziert. Während Bathory das Musikvideo und die pseudoironische Machart verteidigte, hat sich Moody im letzten Jahr davon distanziert.
In Nürnberg, wo Rock im Park stattfindet, formiert sich seit einigen Wochen in der Lokalpolitik Protest. Das kann man einerseits als vorschnell empfinden und als übergriffig – was mischt sich die Politik in die Kunst ein? –, andererseits ist es auch verständlich. Denn das Festivalgelände von Rock im Park auf dem Zeppelinfeld im Südosten der Stadt ist historisch vorbelastet. Den Nationalsozialisten diente es während der Reichsparteitage als Aufmarschgelände. Zahlreiche Versammlungen der NSDAP fanden hier statt, von einer Tribüne aus sprach Adolf Hitler und ließ sich von seiner Gefolgschaft bejubeln.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Abriss einiger Bauten wurde das weitläufige Areal für zahlreiche Veranstaltungen genutzt. 2004 zog das 1997 gegründete Zwillingsfestival von Rock am Ring, Rock im Park auf das Gelände. Im selben Jahr verabschiedete der Nürnberger Stadtrat Leitlinien zum zukünftigen Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Hiernach ist die Stadt Nürnberg verpflichtet, »sich mit dem Areal auseinanderzusetzen«, und ist sich ihrer »Hauptverantwortung für ein nationales Erbe« bewusst. Das Gelände sei als »Lernort« zu begreifen und zu nutzen. »Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie.«
»Ich bin der festen Überzeugung, dass wir gerade auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände ganz besonders drauf schauen müssen, dass Bands auf dem Boden der Demokratie stehen«, sagt etwa der Nürnberger Stadtrat Nasser Ahmed (SPD), er spricht sich gegen den Auftritt von Five Finger Death Punch aus. Woran genau er festmache, dass Five Finger Death Punch undemokratisch seien? Zumindest stehe das Video zu »Living the Dream« »für Nationalismus, ein überhöhtes Nationalgefühl und ein Misstrauen gegenüber demokratischen Strukturen«.
Die Grüne Stadtratsfraktion veröffentlichte bereits vor der Debatte über Pantera Mitte Januar einen Antrag, in dem sie die Stadt aufforderte, in Zukunft alle rechtlichen Möglichkeiten zu überprüfen, um Veranstalter auf dem Gelände bereits im Vorfeld in die Pflicht zu nehmen und die politische Gesinnung der auftretenden Künstler und Bands zu prüfen: »Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das ehemalige Reichsparteitagsgelände bei unterschiedlichen Veranstaltungen immer wieder und ganz bewusst für die Inszenierung und Reproduktion von rassistischer und menschenverachtender Ideologie missbraucht wird.«
Hinsichtlich einer direkten Kommunikation mit dem Veranstalter Argovon Rock im Park sei man allerdings auf »ziemlich dicke Mauern« gestoßen, so die Abgeordnete der Grünen im Stadtrat Réka Lörincz. Zwar habe es in den letzten Jahren immer wieder konstruktive Gespräche über die Einrichtung von Safe Spaces für weiblich gelesene Menschen oder über die Vermüllung des Festivalgeländes gegeben. Über die Auftritte von Pantera oder Five Finger Death Punch habe der Konzertveranstalter bisher aber keine Gesprächsbereitschaft signalisiert. Auch dazu äußerte sich Argo nicht gegenüber dem SPIEGEL.
Bislang sind Five Finger Death Punch noch Teil des Line-ups. Wie das im Juni aussieht, wenn wohl mehr als 70.000 Menschen nach Nürnberg strömen werden, ob die Debatte dann noch mal hochkocht, das ist im Moment noch offen.