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Ein wenig Hoffnung nach fünf Jahren

Die brasilianische Menschenrechtsverteidigerin und Feministin Marielle Franco wurde am 14. März 2018 ermordet. Die Täter sind bekannt, ihre Auftraggeber nicht. Nun wird wieder ermittelt.

Von Niklas Franzen

Am 2. Januar 2023 trat Flávio Dino in Brasília vor die Presse. Es war seine erste Rede als frisch vereidigter Justizminister. Nach einigen einleitenden Worten gab Dino ein Versprechen ab: Seine Regierung werde den Mord an Marielle Franco aufklären. Das sei eine "Frage der Ehre". Dass ein Minister erst öffentlich erklären muss, dem Fall einer ermordeten Stadträtin Priorität einzuräumen, zeigt die politische Brisanz. Vor fünf Jahren, am 14. März 2018, wurden Franco und ihr Fahrer Anderson Gomes in Rio de Janeiro ermordet. Die mutmaßlichen Täter, zwei ehemalige Polizisten, sitzen in Untersuchungshaft.

Doch warum musste Franco sterben? Wer sind die Auftraggeber? Das ist bis heute nicht aufgeklärt. Als sie noch lebte, war Franco eine nur regional bekannte Landespolitikerin, posthum aber wurde sie zu einer im ganzen Land verehrten Märtyrerin. Mit Konzerten und Veranstaltungen und bei Karnevalsfeiern erinnern viele Menschen bis heute an sie.

Kampf für Frauenrechte

Franco galt als Stimme einer neuen Generation. 2016 wurde sie für die Partei für Sozialismus und Freiheit in den Stadtrat von Rio de Janeiro gewählt. Ihre Wahl spiegelte das wachsende Aufbegehren bislang ausgeschlossener Gruppen in der Politik wider: Franco stammte aus einem Favela-Komplex im Norden der Stadt, sie war lesbisch, und sie war schwarz. Als Feministin brachte sie Gesetzentwürfe ein, um den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu erleichtern. Sie kämpfte für Menschenrechte und gegen Rassismus. Und Franco war eine scharfe Kritikerin von Polizeigewalt.

Schnell kam der Verdacht auf, Milizen könnten hinter dem Anschlag stecken. Solche paramilitärischen Banden setzen sich häufig aus ehemaligen und aktiven Polizisten zusammen und kontrollieren viele arme Stadtteile Rio de Janeiros mit Waffengewalt. Und tatsächlich: Die mutmaßlichen Mörder Francos sollen Teil einer Miliz im Westen der Stadt gewesen sein. Die Ermittlungen zeigten auch, dass Franco mit einer Maschinenpistole des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch ermordet wurde.

Fünf Jahre nach dem Anschlag sind die Ermittlungsergebnisse dürftig. Die Polizei folgte erst einer falschen Fährte, die wohl absichtlich gelegt worden war. Beweisstücke verschwanden, Beziehungen zwischen Ermittler*innen und Verdächtigen kamen ans Licht, in vier Jahren wurden fünf leitende Kommissare ausgetauscht. Von politischer Seite war kaum Unterstützung für die Aufklärung des Falls zu erwarten. Denn mit dem Rechtsextremen Jair Bolsonaro war bis zum 31. Dezember 2022 ein Mann Präsident, der das exakte Gegenteil dessen vertrat, wofür Franco sich einsetzte.

Neue Ermittlungen durch Bundespolizei

Der Anschlag geschah zwar vor seiner Amtszeit. Doch schon als Abgeordneter hielt Bolsonaro es nicht für nötig, sich zu dem Fall zu äußern oder sein Beileid zu bekunden. Besonders pikant: Einer der mutmaßlichen Mörder lebte in der gleichen Luxuswohnanlage wie Bolsonaro. Das mag Zufall sein. Doch pflegte die Familie des Ex-Präsidenten seit Langem Verbindungen zu den Milizen. So arbeiteten sowohl die Mutter als auch die Ehefrau eines mittlerweile getöteten Milizenchefs und Auftragskillers im Abgeordnetenbüro von Flávio Bolsonaro, dem Sohn des ehemaligen Präsidenten.

Der Fall Marielle Franco legt offen, wie eng institutionelle Akteur*innen und das organisierte Verbrechen verknüpft sind. Die neue Regierung unter dem Sozialdemokraten Luiz Inácio Lula da Silva scheint sich anders als ihre Vorgängerregierung der Verantwortung bewusst zu sein, den Mord aufzuklären. Lula da Silva berief Anielle Franco, die Schwester der ermordeten Stadträtin, zur Ministerin für Gleichstellung ethnischer Gruppen.

Justizminister Flávio Dino sagte in einem Interview, es gebe "viele Anzeichen" dafür, dass die Täter nicht alleine handelten. Ende Februar ordnete er neue Ermittlungen durch die Bundespolizei an. Dass sich nun die oberste Polizeibehörde des Falls annimmt, weckt bei vielen Hoffnung: Vielleicht kann nun endlich aufgeklärt werden, wer Marielle Franco ermorden ließ.

Niklas Franzen ist freier Reporter. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

Infos zur "Brave Wall" in Berlin, mit der Amnesty International in Deutschland die Arbeit von Marielle Franco würdigt.


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