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Wie Mary und ihre Kinder aus Simbabwe entkamen

Foto: dpa

Neill tanzt vor dem großen Flachbildschirm, der im Haus seines Freundes irgendwo in einem wohlhabenden Viertel von Harare steht. "Jetzt reden sie schon offiziell von fast 600 Toten und 11.000 Erkrankungen. Das heißt, es sind mindestens doppelt so viele. Das ist wunderbar! Ich sage Euch, das ist es! Jetzt dauert es nicht mehr lange."

Der Farmer Neill hebt den Zeigefinger. "Jetzt kriegen wir Dich. Mugabe, wir kommen!" Neill ist 42 Jahre alt, er ist weiß, und er wird in dieser Geschichte noch eine sehr wichtige Rolle spielen. Unbedeutend aber ist, wie sein richtiger Name lautet, wo genau er lebt. Solch kleine Details können im Simbabwe des Robert Mugabe unübersehbare Folgen haben.

Mary ist Krankenpflegerin, sie ist schwarz und hungrig. "Ich habe meinen Kindern gesagt, sie sollen jeden Morgen zur Schule gehen, das Haus sauber halten und auf mich warten", erzählt sie. ",Ich gehe jetzt zu Baba und hole etwas zu essen' habe ich ihnen gesagt." Dann nahm Mary, deren echter Name ebenso wie der von Neill ein anderer ist, ihren kleinen Koffer, verabschiedete sich vom neunjährigen Ernest und der 12-jährigen Victoria. Zu Fuß ging die 32-Jährige los, zuerst acht Kilometer zu Fuß, dann fuhr sie zwei Tage im Bus und schließlich im Zug. Den ganzen Weg von Saruda im Norden Simbabwes bis nach Kapstadt in Südafrika.

Kapstadt, wo Baba lebt, Marys Mann, der einzige, den Mary um Geld bitten kann. "Ich weiß, es sieht aus, als sei ich eine schlechte Mutter. Aber ich musste meine Kinder zurück lassen - weil sie hungrig sind. Es gibt in Simbabwe kein Mehl mehr, keinen Mais, kein Brot. Alle sind hungrig." Mary versagt die Stimme.

Fünf Wochen vergingen. Baba hat keinen Job und auch kein Geld, nicht einmal genug für Marys Rückreise. "Ich bin wütend, sehr wütend", sagte Mary bei unserem ersten Treffen. "Wie kann jemand mit fünf Sinnen sagen, Mugabe habe das Recht, unser Land zu regieren? Er hat die Wahl verloren. Er lässt seine eigenen Leute verhungern. Auch meine Kinder. Diese Regierung, Präsident Mugabe sind schuld daran." Simbabwe liegt am Boden. Die Bürger des von Natur aus reichen Landes leiden. Und sie sterben. Auf viele Arten.

Neill und Mary könnten unterschiedlicher nicht sein. Er, geboren in eine weiße Großgrundbesitzerdynastie, dem ein ungerechtfertigter Herrschaftsanspruch in die Wiege gelegt und als erwachsener Mann mit Knüppelschlägen aus den Händen gerissen wurde. Sie, Tochter eines Hilfsarbeiters, eins von zehn Kindern. In Armut geboren, mit Hoffnung auf Besseres aufgewachsen und als Mutter verzweifelt. Beide suchen nach Wegen, in ihrem Land zu überleben. Treffen sie aufeinander, sind sie Verbündete.

Neills Haus sah aus wie das Anwesen auf Tara, der Baumwollplantage in "Vom Winde verweht". Heute sind seine Farm und sein Haus abgewirtschaftet - von einem Minister Mugabes, der sich das Land einfach nahm. Weniger als 600 weiße Farmer leben noch in Simbabwe. Vor sieben Jahren waren es noch 4000. Mark ist einer der wenigen, die sich zumindest der Vertreibung aus ihrem Land getrotzt haben. Er gehört jetzt zu einem Team semiprofessioneller Untergrundkämpfer. Wer Hilfe braucht, den haut Neill raus. "Ich werde dieses Land nicht verlassen", sagt er. "Ich bin Simbabwer. Und wenn ich meine Farm nicht zurückbekomme, dann wird das vielleicht mein Sohn tun."

"Eigentlich wollen wir Simbabwe nicht verlassen", sagt Baba. "Simbabwe ist unsere Heimat. Wir haben das kleine Haus, in dem wir leben, gekauft. Drumherum ist genug Land, um Gemüse anzupflanzen. Ich wollte mein Jurastudium beenden. Mary arbeitet gern im Krankenhaus." Dort verdiente seine Frau einmal 30.000 Simbabwe-Dollar. "Früher war das ein gutes Gehalt", sagt Mary. "Heute kosten zwei Kilo Zucker 60.000 Dollar. Wie soll ich da Zucker kaufen?"

So lebt die Familie wie fast alle Simbabwer von wilden Früchten. Chakata heißt das kleine gelbe, pflaumenartige Obst - wörtlich übersetzt bedeutet es tatsächlich "wilde Früchte". Es ist die Lieblingsspeise der Esel und Paviane. Die Früchte stinken, deshalb haben die Menschen sie bisher verschmäht. Mary lächelt. "Wir müssen schneller sein als die Paviane und Esel. Deshalb gehen wir oft sehr früh morgens los, um Chakata zu sammeln. Wir rennen um die Wette. Esel sind schnell, man glaubt es gar nicht."

Baba hat einen Zettel in einem Einkaufszentrum in Kapstadt aufgehängt. "Ich bin kräftig, gesund und zuverlässig. Komme aus Simbabwe. Stehe für jeden Job bereit", steht darauf. Es meldet sich tatsächlich jemand. Der Mann braucht einen Gärtner und jemanden, der sich um das Schwimmbad kümmert. Baba, der in seinem Leben noch keine Jasminsträucher gestutzt oder den ph-Wert eines Pools gemessen hatte, bekommt den Job. 300 Rand pro Tag, gut 20 Euro, zwei Mal in der Woche. Mary rechnet. Sieben Wochen wird es dauern, bis genug Geld für die Rückreise zu den Kindern verdient ist.

Am Abend rufen Baba und Mary einen Freund in ihrem Dorf an. Er hat ein Handy. Nein, Cholerafälle gib es in der Nähe noch nicht, sagt der Freund. Erste Verdachtsfälle aber schon. Victoria und Ernest? Sie seien gesund. "Sie gehen jeden Morgen in den Wald und holen Früchte. Am Abend kommen sie wieder. Sie sind tapfer." Mary bittet darum, mit ihrer Tochter sprechen zu können. Der Nachbar läuft mit dem Handy nach nebenan. Mary weint. Die Kinder auch. Victoria sagt: "Mama, ich habe Hunger." Mary erklärt ihr, wie man Chakata-Früchte presst und aus dem Fruchtfleisch mit ein wenig Mehl Brot backen kann. "Brot ist besser. Da ist weniger Säure drin. Man bekommt nicht so starke Bauchkrämpfe", sagt sie ihrer Tochter. Dann legen die beiden auf.

Man soll sich mit einer Sache nicht gemein machen, ist ein alter journalistischer Grundsatz. Mary und Babas Geschichte fordert ihn heraus. Der Telefonanruf mit den Kindern lässt alle Schranken fallen. Zwei Tage später sitzen wir gemeinsam in einem mit Lebensmitteln und Benzin voll gepackten Leihwagen auf dem Weg nach Simbabwe. Eine deutsche Hilfsorganisation mit Sitz in Harare hat Victoria und Ernest auf unsere Bitte hin etwas Maismehl, Zucker, Gemüse und Kerzen gebracht. Damit sie noch ein paar Tage aushalten. Bis wir kommen - und sie rausholen.

Mary lacht auf dem Rücksitz, als sie sich das Wiedersehen ausmalt. "Sie werden fliegen", sagt sie immer wieder. "Sie werden fliegen. Und ich werde auch fliegen. Wir werden uns in die Arme fliegen."

Wir sind in Johannesburg. 1140 Kilometer sind es noch bis Harare. In Beitbridge am Fluß Limpopo geht es über die Grenze, trotz Chaos und Cholera. Der Landweg ist für ausländische Journalisten sicherer. Ein Arbeitsvisum ist unmöglich zu bekommen. Die meisten Reporter reisen als Touristen ein. Wir haben eine professionelle kleine Fernsehkamera dabei. Das kann gefährlich sein. Aber es ist mit Mary abgesprochen. "Wir müssen zeigen, was da passiert", sagt sie. Mehr sagt sie dazu nicht.

In Messina, zehn Kilometer vor der Grenze nach Simbabwe, stehen große weiße Krankenhauszelte. Bis auf die Knochen abgemagerte Menschen liegen auf Feldbetten. Männer, Frauen Kinder, dehydriert, von der Cholera ausgemergelt. Hunderte Infizierte. Acht Menschen sind schon in dem Flüchtlingslager auf südafrikanischer Seite gestorben, heißt es. Ein junger Mann namens Steve sitzt am Bett einer sichtlich Schwerkranken. "Das ist meine Frau", sagt er. "Wir sind hergekommen, weil es in Simbabwe kein sauberes Wasser mehr gibt. Wir müssen das Wasser aus den Flüssen trinken und das ist verseucht." Die Menschen hier würden nicht nach Südafrika fliehen, sagt ein Arzt, wenn sie in Simbabwe Hilfe bekämen. "Sie kommen her, um ihr Leben zu retten."

Südafrikas Beamte nehmen die Flüchtlinge aus

Am Ortsausgang von Messina steht ein riesiges Schild. "Zimbabwe needs democracy" steht darauf - Demokratie für Simbabwe. Hoffnung ist alles. Je näher man der Grenze kommt, umso stärker die Polizei- und Militärpräsenz. Südafrika, so könnte man meinen, will eine Massenflucht aus Simbabwe verhindern.

Doch in Wirklichkeit geht es um etwas ganz anderes. Jeder Minibus wird angehalten und kontrolliert. Erst von der Verkehrspolizei, dann vom Militär. "Die nehmen 50 Rand von jedem Flüchtling aus Simbabwe", sagt Mary. Das sind knapp vier Euro. Hier geht es nicht um Landesschutz, es geht um einen lukrativen Nebenverdienst. Südafrikanische Beamte melken verzweifelte Flüchtlinge aus Simbabwe.

"Die sind korrupt. Du musst verhandeln. Immer flüstern. Ohne Bestechung läuft gar nichts", meint Mary, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt. Wir trennen uns. Marys südafrikanisches Visum ist vor einer Woche abgelaufen. Das könnte teuer werden, besonders wenn sie mit einer Weißen reist. Doch alles läuft wie geschmiert - buchstäblich. Der Beamte an der Passkontrolle verlangt 150 Rand von Mary für seinen Stempel. Er flüstert nicht. Er fordert.

Bei der Kontrolle des Leihwagens winkt der südafrikanische Zollbeamte begeistert. "Hierher. Kommen Sie", sagt er. "Machen Sie die Motorhaube auf." Er bittet um Begleitung bei der Motorenansicht. "Sie kommen aus Kapstadt?" Er grinst und hält die flache Hand auf. "Was haben Sie mir mitgebracht?" Gute Luft und Sonnenschein! Es war die falsche Antwort. Ein Motorenteil nach dem anderen wird im Computer auf Diebstahl überprüft. Nach einer Stunde beenden 100 Rand die Tortur.

Wir fahren über den Limpopo auf die andere Seite: Checkpoint Simbabwe. Innerhalb kürzester Zeit sind wir von Männern umzingelt, die mit Kugelschreibern und DinA-5-Zetteln wedeln. Das sind Guma Gumas, die der harmlosen Art - Schleuser. Es gibt auch andere, die harten Jungs, die illegalen Einwanderern über die grüne Grenze helfen, sprich durch den Fluss. In Beitbridge konzentrieren sich die Guma Gumas auf den bürokratischen Dschungel des Zolls und der Passkontrolle.

Denn Simbabwes Druckereien stehen still. Es gibt es keine Formulare für Visums- oder Einfuhranträge mehr. Guma Gumas bieten handschriftlich angefertigte Ersatzblätter an. Nicht nur zum eigenen Vorteil. Sie arbeiten gern mit Beamten zusammen. Ein paar Banknoten auf die Hand, und X oder Y bearbeitet den Antrag sofort. Hier wird geflüstert, Blickkontakt gemieden. Für die Rückreise ins eigene Land legt Mary noch einmal 50 Rand hin. Dann darf sie heimkehren.

Das Stempelkissen, mit dem das Guma-Guma-Papier für den Leihwagen absegnet wird, ist ausgetrocknet, die Stempelspur kaum sichtbar. Egal. Wir sind in Simbabwe. Fünfeinhalb Stunden hat der Grenzgang gedauert. Die Straßen sind außergewöhnlich gut. Abgemagerte Esel und Rinder grasen am Straßenrand. Immer wieder sieht man Autowracks. Keine Unfallwagen, es sind liegen gebliebene Fahrzeuge, manchmal sogar Lkw. "Es gibt keine Ersatzteile mehr", sagt Mary. "Wer hier eine Panne hat, lässt das Fahrzeug am besten gleich stehen und zieht weiter. Alles andere ist viel zu teuer."

Wie Denkmäler, die an bessere Zeiten erinnern, posieren afrikanische Affenbrotbäume in der trockenen Landschaft - Baobabs. Sie sind kräftig, groß, markant. So wie Simbabwe einst war. Jetzt sitzen magere Kinder unter den dicken, unförmig gewundenen Ästen und warten, dass ein Auto stehen bleibt und vielleicht etwas Essbares hinterlässt. Sie betteln nicht. Sie warten.

Polizisten fahren per Autostopp

Uniformierte Polizisten stehen am Straßenrand, winken, gestikulieren, fordern zum Anhalten auf. "Nicht stehen bleiben", sagt Mary. "Fahr weiter. Das ist keine Kontrolle. Die suchen nur eine Mitfahrgelegenheit." Einfache Polizisten, so schlecht bezahlt, sagt sie, dass sie auf Transporthilfen der Bevölkerung angewiesen sind. Das Konzept ist gewöhnungsbedürftig. Und es gilt auch nicht immer. Polizist ist nicht gleich Polizist in diesem Land. Die oberen Chargen sind böse und haben alle Mittel. Man muss sich auskennen. "Das Gute an den schlechten Zeiten ist, dass es allen dreckig geht", sagt Neill. "Das heißt: Money talks. Alles in Simbabwe hat derzeit einen Preis. Manchmal ist er hoch. Deshalb ist es gut immer viel Cash dabei zu haben." Neill meint, vor kurzem noch sei das Überleben hier gefährlicher gewesen. Heute ist es nur teuer. Er hat immer 1500 US-Dollar in seiner Hosentasche.

"Du darfst nie den ersten Schritt machen und Geld anbieten. Sie müssen danach fragen. Eine einfache Straßensperre zum Beispiel. Es gibt keinen Grund, Dich anzuhalten, aber sie tun es", sagt Neill. "Auch Polizisten haben hungrige Kinder. Und wenn Du etwas Heißes an Bord hast, na, dann zahlst Du eben besser und sparst Dir viel Ärger. Nur beim CIO funktioniert das nicht". CIO steht für Central Intelligence Organisation, den Geheimdienst Simbabwes. Verschlagene Männer, die an die Stasi erinnern, und denen man lieber nicht begegnen will.

Wenige Kilometer nach der Grenze haben wir keinen Empfang mehr. Ausländische Handys funktionieren in Simbabwe nicht. Eine lokale Telefonkarte ist schwer zu bekommen. Landleitungen sind, wie in den meisten Regionen Afrikas, nicht verlässlich. Die Kommunikation läuft fast ausschließlich via Handy.

Mary versucht es in Bulawayo auf dem Schwarzmarkt. "Für 250 US-Dollar habe ich eine für Dich", bietet ein breit lächelnder junger Mann an. Wir glauben, handeln zu können. Falsch. Schnell wird klar, da ist nichts zu machen. Eine Handyleitung ist in Simbabwe mehr wert als das Jahresgehalt einer Krankenpflegerin. Und es gibt offensichtlich Leute, die es sich leisten können.

Rekordinflation

Die Menschen auf den Straßen gehören nicht dazu. Auf 231 Millionen Prozent beläuft sich die Inflation im Dezember, Zahlen für die unvorstellbar gigantische Entwertung einer nationalen Wirtschaft. Was das bedeutet, sieht man auf einen Blick - in jeder Stadt, an jedem Ort Simbabwes, in dem es eine Bank gibt. Hunderte Meter lang sind die Schlangen.

"Wie lange warten Sie schon?" fragen wir eine junge Frau, adrett gekleidet, offensichtlich Geduld geprüft und spindeldürr, wie die meisten hier. "Zwei Stunden", sagt sie. "Und es wird wohl noch drei weitere dauern." Sie heißt Precious - Wertvoll - und arbeitet in einem Regierungsbüro. Wenn sie Zeit hat. Die Geldschaffung dauert den halben Tag. Viele gehen gar nicht mehr zur Arbeit.

Ja, sie sei hungrig, sagt Precious. Aber die Menschen hier ertragen ihr Leid mit Würde, als treibe sie irgendetwas an, eine Art kollektiver Mut durchzuhalten. Precious' Gehalt wird auf ein Konto überwiesen. Sehr viel ist es nicht und abheben darf sie nur eine bestimmte Summe. 5000 Simbabwe-Dollar täglich waren es bisher. Das sind momentan fünf Euro. Wer weiß schon, wie es morgen aussieht? Die Inflation ist nicht aufzuhalten. Wie in einem schlechten Fortsetzungsdrama kündigte die Regierung am Mittwoch die Einführung neuer Banknoten an. 100-Millionen-Dollar-Scheine sind nun auf dem Markt. Das gab es schon einmal - bevor die Reserve Bank als Rettungsmaßnahme sechs Nullen strich. Seit Donnerstag dürfen nun 100 Millionen Dollar abgehoben werden - einmal pro Woche. So hofft man, die Leute raus aus den Bankschlagen zurück an ihre Arbeitsplätze zu bekommen.

Landflucht ist derzeit das größte Problem. Besonders Lehrer packen ihre Sachen und gehen über die Grenze. Die meisten Schulen sind geschlossen. "Baba ist Lehrer. Er hat im Monat weniger verdient als ein Paket Maismehl kostet", sagt Mary. "Irgendwann war er so sauer über die Entwertung seiner Arbeit, dass er über die Grenze ging."

Auch in den Krankenhäusern läuft das Personal weg. Mary ist bestürzt, über den Zustand des Distriktkrankenhauses, in dem sie bisher gearbeitet hat. Nur die Oberschwester und der Krankenhausleiter sind noch da. "Was will man verlangen?", sagt er. "Mit leerem Magen kann man nicht arbeiten. Manche Kollegen kommen für ein zwei Stunden her. Aber dann müssen sie auch wieder los, um Chakata zu suchen."

Wochen ohne Wasser

Seit vier Wochen gibt es hier kein Wasser und keinen Strom mehr. Dafür die ersten Choleraverdachtsfälle. "Wenn hier Cholera ausbricht, können wir nichts tun. Selbst der Krankenwagen ist unbrauchbar. Die Reifen sind blitzeblank - abgefahren. Auch wenn wir neue Reifen beschaffen könnten, es gibt kein Benzin. Ohne Benzin kein Generator und darum kein Strom. Ohne Strom keine Pumpe und dann auch kein fließend Wasser." Das hier ist die Hölle.

"Die haben mir ein Budget für den täglichen Krankenhausbedarf vorgeschrieben", sagt der Chef. "500.000 Simbabwe-Dollar darf ich pro Tag ausgeben. Wie soll das gehen?" Das sind 50 Euro Tagesbudget für ein Krankenhaus mit 80 Betten.

In der Hauptstadt ist die Lage noch krasser, 180 Choleratote zählt man hier bereits, und Tausende Infizierte. Es gibt kein sauberes Wasser. Zinwa, Simbabwes Nationale Wasserbehörde, verfügt nicht mehr über die notwendigen Chemikalien für eine sachgemäße Aufbereitung des Wassers für die Hauptstadt. Also stellt sie das Wasser einfach ab. Die Menschen trinken jetzt aus infizierten Flüssen, manchmal sogar aus Abwasserkanälen. Besonders betroffen ist der Südwesten der Stadt.

Selbst die Ärzte im Spezialkrankenhaus für Infektionskrankheiten in der Beatrice Road sind überfordert. Entwicklungshelfer berichten von auf dem Boden liegenden Patienten, einer neben dem anderen, teilweise liegen sie im eigenen Erbrochenen. Hier gibt es keine hygienischen Standards mehr. Die wenigen Ärzte und Krankenschwestern, die noch da sind, tragen keine Schutz- sondern Privatkleidung. Ein Bakterienparadies.

Es herrscht Alarmstufe Rot - das steht jetzt fest. In Harare ansässige Hilfsorganisationen wurden diese Woche bei einem Treffen der Weltgesundheitsorganisation erstmals offiziell um Hilfe gebeten. Man brauche alles, hieß es. Medikamente, vor allem Antibiotika, Lebensmittel, Krankenwagen, Transportfahrzeuge - und einen guten Lohn für das Krankenhauspersonal. Fünf bis zehn US-Dollar pro Tag - dann würden die Mitarbeiter zurückkommen. Wenn die Hilfsgruppen die Gehälter übernehmen könnten, wäre man dankbar, so die offizielle Linie. Das sind neue Töne. Es ist das erste offizielle Eingeständnis der Regierung, dass sie nicht mehr Herr der Lage ist.

Marys Haus ist eine Stunde von Harare entfernt. Als wir nach vier Tagen endlich dort ankommen, sind Victoria und Ernest nicht da. Im Vorgarten fressen Ziegen vertrocknete Maispflanzen. Schuhe liegen achtlos herum. Der Wind weht durchlöcherte Kleidungsstücke über den staubigen Boden. Es ist heiß. Die Erde ist von Rissen durchfurcht. "Die beiden sind im Wald Früchte sammeln", sagt uns eine Nachbarin, die eilig herbei gerannt kommt, als sie das große Auto und die weißen Begleiter vor Marys Haus entdeckt.

"Nicht viel erzählen", flüstert Mary schnell und setzt ihre freundlichste Miene auf. Die Nachbarin stellt viele Fragen. Mary bekommt die Antworten auf Fragen, die ihr auf der Seele brennen: Die Kinder sind gesund, wenn auch geschwächt. Ein Weißer sei vor ein paar Tagen gekommen und habe Essen gebracht, das habe sie aufgemuntert. Es ist Verlass auf die deutsche Hilfsorganisation. Alle in dem Dorf seien hungrig und seit einigen Wochen gibt es keinen Strom mehr und auch kein fließend Wasser.

Wiedersehen mit Marys Kindern

Als die Nachbarin geht, erklärt Mary: "Sie ist die Ortsvorsitzende der Regierungspartei Zanu PF. Die darf nichts wissen." Vorsichtig nehmen wir die Kamera heraus und drehen Bilder in Marys Haus. Die kleine Küche ist völlig verdreckt, Kakerlaken überall. Das Schlafzimmer gleicht einer Hundehütte, verlaust und schmutzig. Ausgerissene Seiten eines Schulheftes liegen auf dem Boden. Wir warten. Zwei Stunden. Dann hören wir Kinderstimmen. Und dann fliegen sie tatsächlich. Alle drei. Umarmungen, Freudenrufe. Mama!

In Afrika ist wenig Platz für Gefühlsausbrüche. In diesem kleinen Dorf in Simbabwe sind sie ein wahrer Luxus. Es ist das Einzige, was Mary ihren Kindern bei der Heimkehr aus eigener Kraft mitbringen kann. "Ich habe meine Prüfungen bestanden", erzählt Victoria abends am Feuer. Und Ernest schaut mit großen Augen auf den Leihwagen. Dann fragt er: " Hast Du Baba gesehen? Geht es ihm gut?" Ein Topf mit Spaghetti kocht über den Flammen. Die Kinder lieben die mitgebrachten Lutscher. Es ist ein Festmahl unter freiem Himmel.

"Ich habe ihnen noch nichts erzählt", flüstert Mary vor dem Schlafengehen. "Sie wissen nur, dass wir nach Harare fahren. Von Südafrika erzähle ich ihnen später." Dann geht sie ins Haus, um endlich wieder neben ihren Kindern schlafen.

Am nächsten Morgen fahren wir um sechs Uhr los. Victoria und Ernest brauchen Reisepapiere, dafür muss man in der nächsten Stadt lange Schlange stehen. "Ein Höllenloch ist das", sagt Mary. Auch hier stehen vor jeder Bank, vor jedem Verwaltungsgebäude Hunderte Menschen. Mary braucht für ihre Kinder ein ETD, ein Emergency Travel Document, eine Art Passersatz.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Ein ziviler CIO-Mitarbeiter sieht, dass wir aus dem Wagen Kameraaufnahmen machen. Er kommt, verlangt Einsicht in den Pass. Mit viel Glück und Geschick kann Mary, die neben dem Wagen steht, die Kamera samt persönlichem Rucksack an sich nehmen. Sie verschwindet. Und ich auch - im Hauptquartier des lokalen Staatssicherheitsdienstes, des CIO.

Im Verhör der Regime-Polizei

Stille kann unerträglich sein und Angst unüberwindbar. Sie stehen da wie eine Wand, mitten im Raum und man traut sich kaum zu atmen. Der behäbige Beamte in seinem Kunstleder-Chefsessel weiß genau um dieses Gefühl. Er schweigt genüsslich und starrt direkt in die Augen, als wenn er sie durchbohren und in den Kopf seines Gegenübers eindringen wollte. Wie in einem Kampf. "Wissen Sie, es gibt Leute, die erzählen Böses über unser Land. Die wollen unseren Staat vernichten. Das müssen wir verhindern", sagt er. Angeblich ist sein Name James. Sieben Männer stellen Fragen. Eine Beamtin sitzt im Hintergrund. "Für den Fall", sagt James, als er sie holen lässt. Welchen Fall er meint, erklärt uns James' Kollege. Ein attraktiver Mann, jung, vielleicht Anfang dreißig. Ein netter Kerl. "In einem Gefängnis in Simbabwe wirst Du sterben. Das ist Dir klar, oder?"

Man macht sich die Bilder von Bösewichten oft zu einfach. Es ist der Wolf im attraktiven Schafspelz, der am meisten überrascht. James schnellt in seinem Sessel nach vorn. "Sie sind Journalistin, stimmt doch, oder? Was haben Sie gefilmt?"

"Es waren Fotografien. Allgemeine Straßenaufnahmen zur Erinnerung". Banal ja, aber grundsätzlich wahr. Den Fotoapparat wollen sie sich anschauen. Jetzt geht das. Krampfhafte, einhändige Löschversuche unter James Schreibtisch waren tatsächlich erfolgreich. Mindestens 20 Aufnahmen von Mary waren auf der Speicherkarte - und viele von den Kindern. Sie dürfen nicht in das hier hineingezogen werden.

"Sie benehmen sich wie ein Jäger, fotografieren unsere Bürger, einfach so. Als wären sie Kudus oder Zebras. Haben Sie die Leute auf der Straße um Erlaubnis gebeten? Wir sind doch keine Tiere." James wedelt wieder mit erhobenen Händen, während der Wolf den Fotoapparat inspiziert. "Ihr Verhalten ist kolonial, menschenverachtend." Protest lässt er nicht gelten. Manchmal ist Stille auch die beste Antwort.

"Sie sagen, sie bringen Essen für hungernde Leute? Was bringt das denn? Ein bisschen Mehl oder Reis. Wollen Sie Almosen verteilen? Das haben wir nicht nötig." Drei Stunden geht das so. Immer wieder die Frage nach dem Beruf, der Kamera. Jeder der sieben Anwesenden stellt dieselben Fragen.

Und immer der Gedanke, wo ist Mary? Wo ist die Kamera mit den Filmaufnahmen, die eindeutig für die Produktion eines Fernsehbeitrages gedreht wurden? Schließlich brilliert James mit dem wohl plumpsten Versuch einer Gehirnwäsche. "Von wegen Hungersnot. Diese ganzen runden Lehmhütten, die sie auf ihrem Weg gesehen haben. Darin wohnen keine Menschen. Das sind Kornkammern. Bis oben hin gefüllt. In Simbabwe hungert niemand."

An diesem Tag gab es keinen Strom in der Stadt. Das war gut so. Normalerweise googeln die CIO-Beamten die Namen Verdächtiger. Mangels Strom, entschied man sich das Auto zu durchsuchen. Die Kamerakassetten, versteckt in der Taschentuch-Schachtel auf dem Beifahrersitz, haben sie nicht gefunden. Der Polizeichef wurde informiert, Fotoaufnahmen gemacht, Personalien aufgenommen. Fünf Stunden später war es vorbei. Zum krönenden Abschluss bot man ein persönliches Geleit mit zwei Polizeiwagen bis zur Stadtgrenze an. "Du sollst Dich in Simbabwe wohl fühlen. Wir wollen doch die wenigen Touristen, die noch herkommen, nicht vergraulen", sagt der Schafspelz-Mensch zum Schluss. Schafe sind dumm, sagt man. Wenn das mal nicht nur Tarnung ist.

Im Höllenloch Harare

Es gibt keine andere Möglichkeit, Mary und die Kinder müssen in der Stadt zurückbleiben. Rückkehr heute unmöglich. Es ist Zeit, Neill zu kontaktieren. Wir machen Pläne, am nächsten Tag ins Höllenloch zurück zu fahren. "Jetzt gehst Du am besten rein in die Höhle des Löwen. Rein ins Crown Plaza Hotel mitten in Harare. Dahin wo, die großen Zanus abhängen. Das ist am unauffälligsten", sagt Neill. Im Hotel kommt der Anruf aus Südafrika. Mary habe Kontakt aufgenommen. Sie hat die Kamera. Alles ist gut. Wir treffen uns morgen vor der Stadtgrenze, nachdem sie die Reisepapiere für die Kinder abgeholt hat.

Hungersnöte in einer Diktatur haben einen Vorteil. Man erkennt sofort, wer sich bereichert. Es sind die Dicken. Vor lauter Speck können sie nicht laufen, sie watscheln. Schamlos sitzen sie neben ihren aufgetakelten, mit Gold behängten Frauen in riesigen Ledersesseln der wenigen noch existierenden Restaurants und Hotels in Harare. Zusammengerottet, schön eng aneinander gelehnt, schlürfen sie Gin Tonic auf Eis, während der Rest der Nation mit Cholera verseuchtes Wasser aus Flüssen schöpft.

Das Telefon klingelt um zehn Uhr am nächsten Morgen. "Ich bin in Schwierigkeiten." Mary unterdrückt hörbar ihre Tränen. "Du musst mich hier rausholen. Die machen mich fertig. Da ist ein Polizist. Er hat gesehen, dass Du mir die Kamera gegeben hast. Die Kamera oder Geld, sagt er." Mary hat den Rucksack versteckt. Den Kindern geht es gut. Aber sie haben Angst. "Nimm das Geld aus meinem Portemonnaie im Rucksack. Bezahl ihn und wenn es nicht anders geht, gib ihm auch die Kamera unter der Bedingung, dass er Dich gehen lässt. Ich komme."

Wir vereinbaren einen Treffpunkt am Krankenhaus. Neill kommt sofort. Das ist sein Spezialgebiet. Neill kennt Mary nicht. Er horcht auf, als er von Victoria und Ernest hört. "Lass uns fahren", sagt er und steigt in den Wagen. Auf dem Weg treffen wir kurz einen alten Freund von Neill, auch ein vertriebener Farmer. "Ich muss jemanden aus der Bredouille holen", erklärt Neill. "Wenn wir uns in einer Stunde nicht bei Dir melden, kannst du dann bitte alles in Gang setzen?" Der Freund nickt.

Eine halbe Stunde später sind wir im Krankenhaus. "Wir müssen vorsichtig sein. Es kann sein, dass sie viel Geld fordern." Er greift in die Hosentasche und grinst, wedelt mit dem Dollarbündel in der Hand. "Siehste, man muss immer vorbereitet sein. Alles hat seinen Preis".

Mary steht am Haupteingang - allein. Sie lächelt als sie uns sieht, steigt in den Wagen. "Alles ist gut. Die Kinder sind da hinten", sagt sie und zeigt auf ein kleines Gebäude am Rande des Geländes. Alles ist gut? Wo sind die Polizisten? "Alles hat seinen Preis", meint Mary. Neill lacht. "Ich habe ihnen 100 US-Dollar von Deinem Geld gegeben. Aber das war zu wenig. Noch mal einhundert habe ich drauf gelegt. Dann waren sie zufrieden. Gott sei dank. Mehr war nicht in dem Portemonnaie". Die Kinder steigen ein, den Rucksack samt Kamera dabei.

Als sie die Skyline von Harare sieht, sagt Victoria, dass ihr die hohen Gebäude gefallen. "Da wo wir hingehen, gibt es noch viel mehr", meint Mary. Es fehlt die Begeisterung in ihrer Stimme. Sie liebt ihr Land, sie will es nicht verlassen. Neill schaut sie an. "Ihr könnt ja zurückkommen, wenn das hier alles vorbei ist. Der Tag kommt. Bestimmt."

Als er zu Hause ankommt, schaltet Neill den Fernseher ein. Wieder die BBC. Und diesmal die Krönung: Kenias Premierminister, Raila Odinga, fordert afrikanische Staatsoberhäupter auf, Robert Mugabes zu stürzen. Neill tanzt dieses Mal nicht, aber sein Gesicht strahlt vor Freude.

Nicole Macheroux-Denault ist freie Fernsehjournalistin.

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