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Der Kampf gegen die Rückkehr zu „alten Gewohnheiten"

Kulturkritische Propheten nehmen die Pandemie zum Anlass, um eine „neue Normalität“ zu beschwören. Es ist die Androhung weiterer Zumutungen im Dienste progressiv ausgeschmückter Gesellschaftsverwaltung.

Seit klar ist, dass es sich bei der Corona-Pandemie nicht nur um ein kurzes Intermezzo handelt, sprechen selbst die leidenschaftlichsten Zyniker nicht mehr von der „Krise als Chance“. Wer dennoch ideologisches Kapital aus der Krise schlagen will, der reiht sich ein in die Riege der kulturkritischen Propheten der „neuen Normalität“, die nach der Pandemie anstehe.

Zu der Normalität vor Corona gäbe es schlicht kein Zurück – und das sei auch gut so: Sei sie doch ein Luxus gewesen, den man sich im Angesicht von Digitalisierung, Populismus und der „Klimakrise“ nicht mehr leisten könne. Die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer warnte gar kürzlich vor dem „fatalen Jetztismus“ jener Leute, deren oberste Priorität nicht die weit vorausschauende, klimagerechte Verteidigung von „Zukünften“ (!) sei.
Die Fehleinschätzung, Krisen müssten nur richtig genutzt werden, um ihr positives, die Normalität transzendierendes Potential zu entfalten, lag sowohl den Katastrophen-Diagnosen linker Pop-Philosophen wie Slavoj Žižek als auch den auf Selbstfindung und Entschleunigung zielenden Überlegungen des linksliberalen Feuilletons zugrunde. Glücklicherweise wird sich bis auf Weiteres wohl weder die zweifelhafte Hoffnung auf eine postkapitalistische Utopie nach Corona, noch die Erwartung, mit dem Lockdown gehe die Besinnung auf die angeblich bezaubernde Kargheit minimalistischen Lebens einher, erfüllen.


Ein erpresserischer Ton

Was die Pandemie allerdings zu überleben scheint, ist der erpresserische Ton, mit dem der angestrebten Rückkehr zur Normalität nach Corona der Kampf angesagt wird. So titelt die Süddeutsche Zeitung beispielsweise in Bezug auf den Klimaschutz: „Nach der Pandemie droht die Rückkehr zu alten Gewohnheiten“. Aus dem Herzen gesprochen wird damit jenen Umweltadvokaten, die meinen, der Klimawandel müsse mit höheren Verbraucherkosten und zusätzlichen Entbehrungen für alle bekämpft werden.
Wissenschaftliche Weihen bekommt dieses zivilisationsüberdrüssige Bedürfnis unter anderem vom Zukunftsforscher Matthias Horx verliehen. Über die alte Normalität – für ihn eine Art im Überfluss lebende Dekadenzgesellschaft – weiß er apodiktisch zu berichten: „Wir waren in die hedonistische Tretmühle geraten. Die Sättigungskrise eines Wohlstands, der keine Richtung mehr hatte als das ständige ,Mehr‘. [...]. Corona enthüllte die Abwesenheit einer plausiblen Zukunft.“
Dagegen will Horx aus der Krise das Positive hinüberretten: „Noch nie waren so viele Menschen bereit, auf neue Weise miteinander zu kooperieren, die Welt neu zu erfinden. Noch nie gab es so viele wunderbare Initiativen, Aktivisten, Netzwerke für eine bessere Welt.“

Horx adelt so die in der Pandemie entstandene Not zur Tugend: Keiner kann ernstlich behaupten, dass eine Welt, in der sich alle auf besonders kreative Weise aus dem Weg gehen, eine dauerhaft wünschenswerte Welt wäre. Wenn er „die innere Nostalgie“, die den Menschen an das „alte Normal“ kette, überwinden will, dann macht er sich zu nichts weiter als zum Lautsprecher jener dünkelhaften Kulturkritik, die – sich selbst als Programm einer weltanschauliche Avantgarde wähnend – verächtlich auf Normalität und Spießigkeit schimpft und dabei doch lediglich ihren eigenen Lebensekel zu rationalisieren versucht.
Der Jargon, mit dem professoral über die „einfachen Leute“ und deren liebgewonnene Normalität hinweggefegt wird, während authentisches Erleben und echter Gemeinsinn starkgemacht werden, knüpft an die konservative Kultur- und Zivilisationskritik in Tradition von Martin Heidegger, Karl Jaspers oder Hannah Arendt an. Deren polit-existentialistische Verurteilung der durchschnittlichen Alltäglichkeit menschlicher Existenz sowie die elitäre Erbitterung über die uneigentliche Gewöhnlichkeit in modernen Industriegesellschaften artikuliert sich aktuell angepasst in der Sprache des arrivierten Linksliberalismus.


„Deutschland. Aber normal“

Das Stichwort Normalität dient rechten Parteien bis heute als wahlkampftaugliches, in die Vergangenheit projiziertes Abziehbild, wie aktuell die AfD im Rahmen ihres Wahlprogramms unter dem Titel „Deutschland. Aber normal.“ zeigt. Allerdings ist dieses eher drollig anmutende Gebaren heute nur noch ein Echo des ehemals tonangebenden Konservatismus alter Prägung, der seine Legitimation allein aus dem stumpfsinnigen Pochen auf die Werte von Beständigkeit, Kontinuität und Tradition schöpfte.
Dementsprechend geht es heute, wenn über den Wunsch nach Normalität hergezogen wird, kaum darum, den ohnedies unterlegenen Bewahrungsfimmel zu kritisieren: Der Wind hat sich schon längst gedreht, und so gilt die aktuell auflebende Kulturkritik am Beharren auf der „alten Normalität“ stattdessen dem Zögern jener, die dem Zeitgeist nicht diensteifrig hinterherlaufen wollen.

Das Maß an Zähigkeit und Unerbittlichkeit, welches einmal dem aus Prinzip störrischen Konservatismus zukam, haben längst auch die honorigen Daueraktivisten mit ihrer systemkonformen Weltverbesserei erreicht. Genau wie der erzkonservative Traditionalismus ist die Progressivitätsmanie eine letztlich leere Handlungsanweisung: Hieß es einst, dass es das Bestehende zu bewahren gilt, eben weil es besteht, so muss das Bestehende heute blindlings über den Haufen geworfen werden, weil es nicht den Idealen von Ökologie und Diversität entspricht.
Solange der Begriff des Fortschritts nicht mehr als allgemeines Glücksversprechen sondern als klammheimliche Androhung weiterer Zumutungen im Dienste progressiv ausgeschmückter Gesellschaftsverwaltung fungiert, müsste zumindest ein wenig Verständnis für die nicht automatisch reaktionäre Sehnsucht nach Normalität selbstverständlich sein.

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