Vor knapp zehn Jahren gab es die Diskussion um die Thronfolge: Wer würde den King of Pop Michael Jackson beerben, Usher oder Justin Timberlake? Mittlerweile ist das Amt für beide in weite Ferne gerückt. Gar nicht mal, weil ihnen das Talent oder die Songs fehlten. Aber ihr Verständnis von Pop hat nichts am Hut mit der Politik, die nun mal mit der Rolle des Königs einhergeht. Beide, so scheint es, wollen nur musizieren, Spaß haben und irgendwann die Frau fürs Leben finden.
Marie Schmidt fragte sich vor wenigen Wochen in der ZEIT, welches Bild von Weiblichkeit Stars wie Lady Gaga, Beyoncé, Taylor Swift entwerfen. Der Text gab schon durch den Titel Die fleißigen Königinnen eine Richtung der Interpretation vor: So sehr sich Beyoncé auch strecke und den politischen Anspruch ihrer Kunst hervorhebe, sie stehe doch letztlich für eine Verinnerlichung der allesfressenden, kapitalistischen Logik. Sie bleibe sexualisierte Männerfantasie. Natürlich, es geht noch immer - zumal bei Stars dieser Größe - ums Verkaufen. Das heißt aber nicht, dass das, was gekauft wird, nicht mehr sein kann als Zerstreuung, Verblendung.
Es ist nicht zu verstehen, inwiefern sich weibliche Rollenbilder verändert haben, ohne auch zu betrachten, was von den männlichen Stars verhandelt wird. Was machen die Herren Popstars, welche Rollen besetzen Pharrell Williams, Justin Timberlake, Justin Bieber? Am Wechselspiel zwischen den Geschlechtern lässt sich erkennen: An den Machtverhältnissen hat sich, zumindest im Pop, einiges geändert.
Die Frauen marschieren vorweg. Am Beispiel weiblicher Popmusik werden die Umbrüche im Geschlechterverhältnis permanent diskutiert. Seit Madonna hat sich so ein selbstbewusstes, neues Welt- und Frauenbild etabliert. Dieses ermöglicht verschiedene Rollen gleichzeitig: Entertainerin mit politischer Haltung, Popstarsein und Problembewusstsein, Sex und Selbstbestimmung. Justin Timberlake und Pharrell Williams hingegen wiederholen, was wir seit Jahrzehnten von den Jungs kennen: Posen der Dominanz und Lässigkeit, Souveränität und Machermentalität. Fraglos, der Grad und die Direktheit haben sich verändert. Offener Machismo ist seltener geworden. Aber die Männer bleiben die Eroberer und Gestalter, sie bleiben frei und authentisch. Sie ruhen in sich.
Eindrucksvoll zeigt sich die seltsame Kontinuität des Männlichkeitsbildes (und Weltbildes) bei Pharrell Williams. Dieser wurde vor etwa zehn Jahren bekannt, als er mit den Neptunes alle Großen der Zunft mit seinen stilprägenden Beats belieferte: Snoop Dogg ( Drop It Like It's Hot), Britney Spears ( Toxic), Justin Timberlake ( Señorita). In den vergangenen Jahren brannte er sich ins Gedächtnis mit seinem übergriffigen - und dennoch erfolgreichen - Blurred Lines (I Know You Want It) mit Robin Thicke. Er ist aber auch für zwei riesige Hits der letzten zwei Jahre verantwortlich: Get Lucky (mit Daft Punk) und Happy.
Sie drängen uns eine sehr simple Message auf: Sei einfach glücklich. Das Leben, alles kein Problem, das Balzen lockerleicht, der Sex für alle Beteiligten göttlich. Pharrell Williams ist der große Entproblematisierer. Das kann funktionieren, manchmal. Aber diese schrecklich gesunde Ignoranz ist zugeschnitten auf einen sehr speziellen, gewitzten, minimal selbstironischen aber vor allem selbstsicheren Typ Mann. Von Selbstzweifeln befreit, charmant, sportlich. Eben einer, der durch die meisten sozialen Situationen hindurchflutscht - da braucht er sich auch keinen Kopf zu machen.
Als Williams jüngst seine Deutschlandtour spielte, war es seltsam: Einerseits markierte er den Macker. Er als einziger Mann auf der Bühne, umschwirrt von Sängerinnen und Tänzerinnen. Aber selbst diese sexuell aufgeladene Stimmung wurde im Stile eines Kindergeburtstags inszeniert. Alles nicht so schlimm, alles keine Frage von Herrschaftsverhältnissen, sollte das wohl heißen. Was Mann da auf der Bühne aufführt, ist die Leugnung aller Anstrengung. Born this way. Diese Fähigkeiten beherrscht sein Kollege Justin Timberlake wohl perfekt. Es lässt seit einem Jahrzehnt alles so aussehen, als sei es luftig leicht. Keine Probleme, nirgendwo. Und während Beyoncé in einer ihrer Singles fragt, wie anders ihre Handlungen gerahmt würden, wäre sie ein Mann ( If I Were A Boy) oder sie martialisch die Frauen zu den eigentlichen Antreiberinnen des Weltenlaufs stilisiert ( Run The World (Girls)), singt Justin Bieber: "Baby, Baby". Die so beschworene Leichtigkeit ist völlig entpolitisiert.
Sicherlich gibt es auch heute Gegenbewegungen in der Popkultur. Vor zweieinhalb Jahren stieß Nina Pauer in der ZEIT eine Debatte über die "Schmerzensmänner" an, über den modernen Mann also, der so selbstreflexiv, so zweifelnd, so bärtig-wolljackentragend sei, dass Frau sich den großen Eroberer zurückwünscht. Pauer nannte die Musik von Bon Iver und Iron & Wine, in ihren Worten "melancholische Mädchenmusik", als die musikalischen Referenzen dieser neuen Männlichkeit. Es gibt viele, mitunter sehr unterschiedliche Männlichkeitsbilder in der zeitgenössischen Popkultur. Aber es besteht ein Unterschied, ob sie permanent in Fußballstadien ausgestellt werden, wie von den genannten Frauen, oder innerhalb einer überschaubaren Subkultur. Wenn Nina Pauer die sensiblen, dauernervösen Bartnuschler mit dem Männlichkeitsbild im Pop verbindet, dann geht das insofern nicht auf, als auch Justin Vernon, der Kopf hinter Bon Iver, ein Produkt des Indierock bleibt. Und überhaupt: Letztlich ist auch dieses Verständnis von Verletzlichkeit ein ziemlich egozentrisches. Die Zweifel meinen vor allem das Selbst. Sie bleiben ichbezogen und damit recht männlich im stereotypen Sinne.
Beyoncé
singt im Plural, sie spricht von "den Frauen", zugegeben: den "Girls".
Es geht hier um Kollektive, Koalitionen. Es wirkt, als wende sich hier
etwas zum Positiven, das jahrzehntelang Unfreiheit zementierte. Der
Rock, der ein echtes, eigentliches, freies Leben reklamierte, sprach
meist zu den Jungs. Und er wurde von ihnen gemacht – bis heute. Das
Frauenbild der Popkultur war von Beginn an stärker in Relationen
gedacht, nicht bloß in der Dichotomie "Ich hier, Gesellschaft da". Das
Denken in Verbindungen, die queeren Zerstreuungsstrategien, das
Schmelzen eindeutiger Identitäten ist für die weiblichen Megastars
längst zum Standard geworden. An den Männern dieser Größenordnung gehen
derartige Reflexionsübungen seit Jahren schlicht vorüber.
Das Problem liegt im
Festhalten an Eindeutigkeiten. Marie Schmidt wendet die scheinbare
Widersprüchlichkeit aus Freizügigkeit und emanzipatorischer Haltung, die
bei Lady Gaga, Beyoncé und Miley Cyrus immer wieder aufscheint, ins
Negative: Beyoncé stehe im knappen Korsett vor der Leuchtreklame
"Feminist" – so werde sie letztlich doch zur Männerfantasie. Es stimmt,
Beyoncés Ermächtigung ist keine simple, vollständige Übermacht mehr.
Eine solche Dominanz ist keine Übernahme der schon immer irrigen,
chauvinistischen Gegenüberstellung von Macht versus Ohnmacht, Aktivität
oder Passivität, Eroberung oder Bloß-Schön-Aussehen. Schmidts
Interpretation lebt von der Unterstellung, dass ein knappes Korsett und
viel Haut doch nicht dem eigenen Wunsch der Frau entsprechen könne, ja
dürfe: Wüsste sie es besser, wäre sie wirklich unabhängig von "den
Männern" und ihren Fantasien, dann würde sie anderes (oder mehr)
anziehen. Eine Frau, die sich auszieht, unterwirft sich.
Das
ist eine im Feminismus der siebziger Jahre dominierende Vorstellung.
Alice Schwarzer, die noch immer massenmedial meistbefragte
Vorzeigefeministin, argumentiert so noch immer. Aber die
Vervielfältigung der Optionen und Rollen kann emanzipatorisch sein.
Fraglos macht das die Identitätsfindung zu einem lebenslangen Projekt.
Die Souveränität, die gern für Reife gehalten wird, ist schwer(er) zu
haben. Das gilt für den Job, die Familie, die Geschlechterverhältnisse.
Mehr Freiheit heißt oft mehr Unsicherheit. Diesen Preis zahlen wir
gerade. Der moderne männliche Pop hat davon augenscheinlich wenig
mitbekommen. Und das ist durchaus besorgniserregend.
erschienen bei ZEIT ONLINE, 21.10.2014.
Original