Womöglich war die Kluft zwischen Kendrick Lamar und vielen seiner Anhängerinnen, ja auch zwischen Kendrick und dem Schreibenden dieser Zeilen, nie größer. Der Afroamerikaner Lamar, aufgewachsen im rauen Compton in L. A., berichtet den wohl größtenteils säkularen Großstadt-Progressiven auf seinem vierten Album „DAMN." von seinem Glauben. Gott ist, mal wieder, allerorten. Aber in doppelter Gestalt: Einerseits als Schöpfer, der Lamar demütig machen soll, und - hier wird es besonders interessant - in der Gottwerdung des Menschen selbst: als Star, als Ikone, als bester Rapper der Welt.
In den vergangenen Jahren wurde Lamar mit den Alben „Good Kid, M.a.a.d. City" und „To Pimp a Butterfly" zum wichtigsten HipHop-Künstler der Welt. Vor allem im Setzen der Agenda, dem Ausstrahlen seiner Einfälle in die Welt, als Soundtrack zu Black Lives Matter zum Beispiel. „DAMN." ist nun, man könnte kaum dankbarer sein, nicht die noch politischere Platte, die die Protestmusik des jazzlastigen und musikalisch eher nostalgisch arbeitenden „To Pimp a Butterfly" überbieten will. Lamar ist wieder viel deutlicher auf sich bezogen, vor allem auf die ihm zugewachsene Rolle als Vorbild. Es geht um Verlockungen, um den Größenwahn, der mit dem Einfluss und den absurd wohlmeinenden Kritiken nicht kleiner wird und den Versuch, auf dem Boden zu bleiben, im Kreise seiner Nächsten. Und die musikalischen Extreme sind wieder da: die Höhen, die Sirenen und der Bass, der durchgeht. Darüber ist Lamar der wohl variabelste Rapper der Welt, das Album nahe am Hörspiel.
Die Gottwerdung des Menschen, das Selbstbildnis als Größter und die eigene Kunst als treibende Kraft des Weltgeschehens, dieser Glaube bringt einen großartigen Song wie das mechanisch stampfende „HUMBLE." hervor. Vor allem weil Inhalt und Form so wunderbar auseinanderfallen: Einerseits macht sich der Song extrem breit, er klingt aggressiv und synthetisch und zeitgemäß nach dem Rap, der in den Charts Erfolg hat, andererseits rappt Lamar vom genauen Gegenteil: Von Frauen, die doch besser natürlich rüberkommen sollen, ohne Photoshop und kaputtgeglättete Haare. Er zählt Luxusprodukte auf, die kein Luxus sind, Bildung, die sich im Internet in Youtubefilmen erwerben lässt. Das ist witzig und hat doppelten Boden. Und diejenigen, die sich zurücknehmen sollen, sind hier die anderen, die mit weniger Ideen. Und die mit weniger Fähigkeit zum Durchdenken der Extreme. Denn Lamar ist eben nie nur einer, nie nur der Macker, nie nur der Demütige.
Interessant bleibt dabei auch, wie die Qualität wieder das Trojanische Pferd ist, mit dem Kendrick Lamar uns Sätze und Metaphern und Weltbilder unterjubelt, die man problematisch finden kann. Zum Beispiel die Geschichtsphilosophie aus „FEAR.", die sein Onkel ihm auf den Anrufbeantworter zu sprechen scheint: Demnach seien die Afroamerikaner die eigentlichen Israeliten und sie würden von Gott gestraft für ihren Ungehorsam. Strukturelle Diskriminierung und Gewalt als Gottes Strafe? Na ja.
Aber, und die Ambivalenz ist wunderschön, Lamar bietet verschiedene Wege an, denn im Ausklang des Albums zerfällt der Schicksalsglaube: Fast, so berichtet Lamar, hätte der Gründer seines Labels Top Dawg vor Jahrzehnten seinen eigenen Vater Ducky erschossen. Er tat es nicht, auch weil Ducky immer so nett zu ihm war, ja, die Geschichte der Armut und der Gewalt verstand. Und diese Geschichte wird gemacht.
erschienen in der Frankfurter Rundschau, 16.4.2017