Worin besteht eure Tätigkeit bei Amazon?
Agnieszka Mróz: Im Moment arbeite ich in einer Packabteilung. Aber seit ich 2014 bei Amazon angefangen habe, war ich schon in vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt. Und ich bin Vertrauensfrau der Gewerkschaft.
Magda Malinowska: Ich arbeite ebenfalls in einer Packabteilung und war zuvor in anderen Bereichen des Betriebs tätig. Seit 2016 bin ich Teil des gewerkschaftlichen Kampfes bei Amazon.
Wen beliefern die polnischen Versandzentren?
MM: Bisher arbeiten wir hauptsächlich für den deutschen Markt, teilweise auch für britische, französische oder spanische Kund*innen. Vor Kurzem hat Amazon angekündigt, dass eine polnische Amazon-Website gestartet wird, bisher gab es das nicht. Doch um ehrlich zu sein: Für viele Menschen in Polen ist Amazon nicht die günstigste Möglichkeit, um im Bereich des E-Commerce einzukaufen. Ich habe meine Zweifel, dass Polen ein großer Markt für Amazon werden wird. Das liegt auch daran, dass unsere Löhne viel niedriger sind als in Westeuropa. Amazon-Beschäftigte verdienen nur ein Drittel von dem, was deutsche Arbeiter*innen bekommen. Allerdings war das früher noch schlimmer: Als wir mit der Gewerkschaft angefangen haben, war es nur ein Viertel.
Wie viele Menschen arbeiten bei Amazon in Polen?
AM: Im ersten Quartal 2021 waren in den neun polnischen Versandzentren knapp 19.000 Menschen beschäftigt, dazu kommen 23.000 Arbeiter*innen, die über Zeitarbeitsfirmen angestellt sind, das sind also mehr als bei Amazon direkt Angestellte. Die Zahlen beziehen sich nur auf Packer*innen und Picker*innen; Manager*innen sind davon ausgenommen - ebenso wie alle, die die vielen an Subunternehmen ausgelagerten Tätigkeiten verrichten, also die Kolleg*innen, die bei uns putzen, in der Kantine arbeiten; oft sind das ukrainische Migrant*innen. Wir schätzen, dass von denen, die direkt bei Amazon angestellt sind, nur etwa 25 Prozent einen unbefristeten Vertrag haben.
Was kann da eine Gewerkschaft überhaupt ausrichten?
AM: Wir sind eine Basisgewerkschaft, wir haben keine hauptamtlichen und keine offiziellen Vertreter*innen, die für uns entscheiden, was wir tun sollen. Das ist ein Unterschied auch zur deutschen Gewerkschaft ver.di, mit der wir vernetzt sind. Wir konzentrieren uns darauf, Solidarität unter Arbeiter*innen zu organisieren und Arbeiter*innenmacht im Betrieb aufzubauen. Wir reden am Arbeitsplatz mit den Kolleg*innen, wir helfen uns gegenseitig, z.B. indem wir gemeinsam gegen durch Amazon verhängte Disziplinierungsmaßnahmen und Strafen wegen zu langer Pausen vorgehen. Und außerdem organisieren wir uns international mit Amazon- Arbeiter*innen aus verschiedenen Ländern.
MM: Wir stehen keiner der polnischen Parteien nahe, anders als die großen Gewerkschaften, darunter Solidarność, die die konservative Regierung unterstützen.
Wie gestaltet sich das Verhältnis zu Solidarność bei Amazon konkret im Betrieb, wo diese Gewerkschaft ebenfalls aktiv ist?
AM: In anderen Branchen ist Solidarność eine typische auf Sozialpartnerschaft und Dialog mit den Bossen ausgerichtete Gewerkschaft. Das führt dazu, dass wir normalerweise Konflikte mit ihnen haben, weil unsere Herangehensweise fundamental anders ist. Interessanterweise ist das bei Amazon nicht der Fall. Und das liegt daran, dass Amazon selbst nicht an die Sozialpartnerschaft und den Dialog mit Gewerkschaften glaubt. Deshalb muss Solidarność bei Amazon eine ähnliche Linie verfolgen wie wir: Aufbau von Arbeiter*innenmacht im Betrieb. Sie können keine Abkommen mit Amazon schließen, weil Amazon das nicht will. So haben wir eine gute Grundlage für die Kooperation mit Solidarność bei Amazon. Sie sind konfrontativ, so wie wir. Sie können nicht anders: Amazon macht Gewerkschaften konfrontativ.
Wie sieht diese betriebliche Kooperation mit Solidarność konkret aus?
AM: 2019 haben wir gemeinsam eine Streikabstimmung initiiert. Das war eine unserer größten Initiativen bisher, mehr als fünftausend Beschäftigte haben sich beteiligt, was etwa dreißig Prozent der Beschäftigten entsprach, fünfzig Prozent hätten es sein müssen. Dazu muss man wissen: Nach polnischem Gesetz zählen bei einer Urabstimmung alle Beschäftigten eines Unternehmens mit, egal, ob Gewerkschaftsmitglied oder nicht, egal, an welchem Standort. Abstimmungsberechtigt waren also alle 18.000 (Stand 2019, Anm. d. Autorin) bei Amazon direkt Angestellten. Wir hassen dieses Arbeitsgesetz, es ist restriktiv, restriktiver als in anderen europäischen Ländern, und gewerkschaftsfeindlich. Denn für eine Streikabstimmung wird immer Amazon als Ganzes zur Grundlage gelegt und Amazon wächst rasant. Einige der Logistikzentren sind noch ganz neu, wir als Gewerkschaft kommen nicht hinterher, sie zu organisieren. Dieser Zustand führt dazu, dass wir eigentlich grundsätzlich nicht streiken können. Und solange das Gesetz sich nicht ändert, werden wir nie das Recht haben zu streiken. Das wissen wir. Dennoch war die Abstimmung für uns wichtig, sie hat ein kraftvolles Zeichen gesetzt; sie hat gezeigt, dass viele Arbeiter*innen bei Amazon wütend über die Verhältnisse und unsere Forderungen berechtigt sind.
Was sind denn eure Forderungen?
AM: Es gibt aus unserer Sicht drei zentrale Themen für Arbeiter*innen bei Amazon. Erstens: der niedrige Lohn, speziell in Osteuropa, aber letztlich ist das überall auf der Welt Amazon-Politik. Zweitens: das irre Arbeitstempo. Amazon-Arbeiter*innen werden mithilfe eines komplexen Überwachungs- und Disziplinierungsapparats dafür bestraft, dass sie nicht schnell genug arbeiten. Auch das ist ein globales Amazon-Problem. Drittens: die prekären Arbeitsverhältnisse. Amazon arbeitet, wie schon gesagt, sehr viel mit Zeitarbeitsfirmen, befristeten Arbeitsverträgen usw. Es gibt also permanente Unsicherheit, ständigen Arbeitsdruck und niedrige Löhne - das sind die Themen, die uns beschäftigen.
Und was sind die größten Hindernisse, um sie zu erreichen?
MM: Die Unsicherheit und Instabilität der Arbeitsverhältnisse, die dazu führen, dass viele Angst haben, aktiv zu werden. Außerdem die Tatsache, dass es so viele Logistikzentren gibt und Amazon Aufträge einfach hin und her schieben kann. So etwa, wenn in Deutschland gestreikt wird und Amazon Aufträge nach Polen verschiebt. Hinzu kommen die gesetzlichen Limitierungen, allen voran das erwähnte polnische Arbeitsrecht, das es so schwer macht, Arbeitskämpfe durchzuführen. Amazon hat wahnsinnig viel Geld, viele Anwälte, eine große Lobby - wir nicht. Aber das, was uns Probleme macht, ist zugleich auch unsere Ressource: Wir arbeiten und organisieren uns in einem Großbetrieb. Viele Versandzentren bedeuten auch viele Arbeiter*innen. Und das, was Amazon groß macht - die globale Vernetzung -, gibt uns ebenfalls die Möglichkeit, uns mit Arbeiter*innen aus vielen anderen Ländern zu vernetzen. Wir versuchen, diese Macht gegen Amazon zu wenden.
Wie genau?
MM: Während der Pandemie haben wir international gemeinsam Forderungen diskutiert und unsere nächsten Schritte miteinander abgestimmt - mit Kolleg*innen aus den USA, Frankreich, Deutschland und Italien. So konnte Amazon nicht so tun, als wären wir nicht da und als würde man uns nicht hören. U. a., weil es in Polen so schwierig ist, zu streiken, ist für uns die internationale Vernetzung von Amazon-Beschäftigten extrem wichtig. Wir haben dadurch bspw. den Zuschlag für das Arbeiten während der Pandemie erwirkt, in Polen ein Euro pro Stunde. Anderswo war es mehr, aber: Ohne die internationale Koordination hätten wir gar nix bekommen.
Wie ist darüber hinaus eure Situation in der Corona-Pandemie?
AM: Im Frühjahr 2021 war Polen mit einer sehr ernsten dritten Pandemiewelle konfrontiert. Viele Sicherheitsvorkehrungen bei Amazon, die im letzten Jahr getroffen worden waren, gab es aber nicht mehr. Ein Beispiel: Wir haben viel Druck gemacht wegen mangelnder Sicherheit in den Bussen, denn viele Beschäftigte nutzen die Konzernbusse, um zur Arbeit zu fahren. Amazon führte daraufhin die Regel ein, dass nur 25 Prozent der Plätze in einem Bus besetzt sein dürfen. 2021 haben sie die Regel aufgehoben, so dass es wieder fünfzig Prozent waren. Viele Arbeiter*innen scherzten, dass es viel Covid in Polen, aber wohl wenig bei Amazon gebe.
Gab es denn auch dokumentierte Corona-Ausbrüche bei Amazon?
AM: Ende März 2021 ergab eine Arbeitsinspektion im Logistikzentrum in Poznań 14 aktive Fälle von Corona-Infektionen. Das war aber nur eine Momentaufnahme. Amazon, das ein eigenes Testzentrum in Manchester betreibt, hat nie die Gesamtzahlen der Infektionen öffentlich gemacht. Auch das ist eine unserer Forderungen: dass diese Informationen öffentlich zugänglich werden.
Amazon ist so ein mächtiger Gegner - ist es überhaupt möglich, ihn in die Knie zu zwingen?
MM: Einfach ist es nicht. Wir führen einen internationalen Kampf gegen Amazon, aber wir haben es in den verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu tun. Wir arbeiten zwar mehr oder weniger in denselben Verhältnissen, aber nicht alles ist gleich. Es gibt unterschiedliche Sprachen und all das. Und doch: Wir machen immer mehr gemeinsam, international, und sind mit mehr Arbeiter*innen aus mehr Ländern vernetzt als noch vor einigen Jahren. Anders geht es auch nicht. Lokal können wir zwar einige kleinere Auseinandersetzungen gewinnen, aber Großes erreichen wir nur international und gemeinsam.
AM: Ja, es gibt keinen anderen Weg, um Amazon zu bezwingen. Es gibt auch keine Abkürzung über Boykotte, EU-Gesetze oder Ähnliches. Nur die Arbeiter*innen bei Amazon können das schaffen.
Magda Malinowska und Agnieszka Mróz arbeiten als Packerinnen bei Amazon in einem VersandzentrumDieser Text erschien zuerst in Missy 04/21. im polnischen Poznań. Sie sind in der Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (Arbeiter*inneninitiative)aktiv und u. a. über die Plattform Amazon Workers International mit Beschäftigten aus anderen Ländern vernetzt. Beide sind zudem Teil der Bewegung gegen das Abtreibungsverbot in Polen. Original