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Durch Samenspende gezeugt

Foto: Sascha Kopp

Von Neli Mihaylova


Der drei Seiten lange handgeschriebene Brief kam pünktlich zum 18. Geburtstag von Jan Peters (Namen aller Betroffenen von der Redaktion geändert). Der Absender: der erste Mann seiner Mutter, sein Vater, den er schon immer kennenlernen wollte. Die Eltern hatten sich getrennt, als Jan zwei Jahre alt war. Danach hatten sie keinen Kontakt mehr zueinander. Warum, wusste der gebürtige Frankfurter nicht so genau. Jans Mutter heiratete wieder. Ihr zweiter Mann wurde Jans „Papa“.

Kurz vor seinem 18. Geburtstag hatte Peters seine Oma gebeten, einen Brief an seinen Vater weiterzuleiten. Dessen Antwort – drei handgeschriebene Seiten – waren eine Beichte: „Lieber Jan, ich freue mich nach so viel Zeit von dir zu hören. Es ist schön, dass du nach mir gesucht hast.“ Und dann weiter: „Ich bin aber leider nicht dein biologischer Vater. Du bist durch eine Samenspende entstanden.“ Das war auch ein Grund, warum er die Familie verlassen hatte. Er kam nicht damit klar, gleichzeitig Vater und genetischer Nicht-Vater zu sein.

Mehr als 110 000 Deutsche sind durch Samenspenden entstanden

Für Jan Peters brach die Welt zusammen. Jahrelang hatte er sich gewünscht, mit diesem Mann zu sprechen, mehr über ihn zu erfahren. Und seine Mutter wusste es die ganze Zeit. Wie konnte sie nur etwas so Wichtiges verschweigen? Er rief sie sofort an: „Stimmt das alles, was im Brief steht? Wenn er nicht mein Erzeuger ist, wer ist es dann? Warum hast du nie mit mir darüber geredet?" Er löcherte sie mit Fragen. Sie schwieg und weinte.

Heute, 20 Jahre später, hat er mehr Verständnis für seine Mutter. „Sie hatte Angst, wie ich reagieren würde. Was die ganze Familie, die nichts davon wusste, sagen würde", sagt er. Jan Peters ist immer noch auf der Suche. Aber nicht mehr nach seinem biologischen Vater, sondern nach möglichen Geschwistern, nach Menschen, die das gleiche Schicksal hatten.

Bundesweit werden jedes Jahr etwa 1200 Kinder geboren, die mithilfe einer Samenspende entstanden sind. Schätzungsweise leben in Deutschland mehr als 110 000 solcher „Spenderkinder". Viele von ihnen wissen nicht, wie sie gezeugt wurden, oder erfahren es, wie Jan Peters, erst durch Zufall.

„Das Thema wird immer noch tabuisiert", sagt die Psychologin Claudia Brügge, Vorsitzende des Vereins „DI-Netz", der Menschen verbindet, die eine Familie durch Samenspenden gegründet haben. Und obwohl sich die Wahrnehmung in der Gesellschaft im Vergleich zu der Situation vor zwanzig Jahren verbessert habe, gebe es immer noch viel zu tun. Zum Beispiel im juristischen Bereich: Jeder in Deutschland hat ein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Einen ausdrücklich formulierten Gesetzesanspruch für Spenderkinder gibt es nicht.

Wollen Samenspenderkinder von einem Reproduktionsmediziner Auskunft über ihren genetischen Vater, müssen sie den Arzt verklagen. Der Bundesgerichtshof hat das Auskunftsrecht von Spenderkindern mit einem Urteil vom 28. Januar 2015 gestärkt. Der Rechtsweg ist aber langwierig, teuer und führt nicht immer zum gewünschten Erfolg. Denn sogar, wenn ein Gericht einem Samenspenderkind den Auskunftsanspruch bestätigt, kann es sein, dass der Arzt die Unterlagen bereits vernichtet hat, weil die Mediziner erst seit 2007 ausdrücklich verpflichtet sind, sie 30 Jahre lang aufzubewahren.

Ein Gesetz, das vor Kurzem im Bundestag verabschiedet wurde, gibt den Mitgliedern des Vereins „DI-Netz" Hoffnung. Das neue Gesetz sieht die Einrichtung eines zentralen Spenderregisters und die Regelung der Auskunftserteilung vor. „In dieses Register werden aber nur Männer aufgenommen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes 2018 spenden werden. Die Daten der Altfälle sollen beim Arzt und bei der Samenbank 110 Jahre aufbewahrt werden", so Brügge. Es gebe aber keine Vorschriften, wie und wo die Aufbewahrung zu erfolgen habe, erklärt Holger Eberlein, Fachanwalt für Medizinrecht. Ungeregelt sei auch die technische Art der Dokumentation. „Bei 110 Jahren weiß heute niemand, wie die Technik in der Zukunft aussieht", so Eberlein.

In der öffentlichen Wahrnehmung gebe es noch viele Vorurteile, meint Jan Peters. Er hat das Gefühl, dass über das Thema immer noch nicht offen geredet wird. Viele Menschen wissen nicht, wie sie reagieren sollen, wenn sie erfahren, dass er ein Spenderkind ist: „Im Prinzip ist es ja nichts, was verwerflich ist oder man verheimlichen müsste." Trotzdem reagieren die Leute verwundert, bemitleiden ihn, als wäre es so etwas wie eine Behinderung.

Die Herkunft des Kindes zu verschweigen, meint Psychologin Claudia Brügge, bringe nur Komplikationen mit sich. „Geheimnisse dieser Art behindern ein vertrauensvolles und entspanntes Familienklima. Die Familie teilt sich dann in Personen, die Bescheid wissen und denen, die unwissend gehalten werden. Und das heranwachsende Kind ahnt oft, dass etwas unausgesprochen ist." Ihre Lösung lautet: früh mit der Aufklärung anfangen und offen darüber sprechen.

Offen über die Zeugung ihrer Kinder zu reden, das war für Anna und Nils Schäfer selbstverständlich. Das Paar wohnt mit seinen zwei Töchtern, drei und zwei Jahre alt, in einer kleinen hessischen Stadt. Beide Kinder sind durch die Samenspende desselben Mannes entstanden und somit hundertprozentige Geschwister. Als es Jahre nach der Hochzeit mit der Schwangerschaft immer noch nicht geklappt hatte, ließen sich Anna und Nils Schäfer untersuchen. In seinem Ejakulat konnten die Ärzte keine Spermien finden. Die Ursache war ein gutartiger Tumor der Hirnanhangsdrüse, der das Hormon Prolaktin freisetzte. Dieser hat bei ihm zur Unfruchtbarkeit geführt. Dank der frühen Diagnose konnte der Tumor medikamentös behandelt werden. „Wir hatten eigentlich Glück im Unglück", sagt Anna Schäfer. Der Vorschlag, es mit einer Samenspende zu probieren, kam von ihrem Vater. „Wir haben von Anfang an mit der ganzen Familie offen darüber gesprochen und es war schön, dass sie uns unterstützt haben", fügt sie hinzu.

Sperma aus Wiesbadener Spenderbank

Das Paar entschied sich für eine Samenspendenbank in Wiesbaden. „Der Arzt hat den Spender nach den physischen Merkmalen meines Mannes ausgesucht. Haar- und Augenfarbe sowie Körpergröße sollten möglichst ähnlich sein", erzählt Anna Schäfer. Mehr wissen sie über den Mann nicht. Bei der ersten Befruchtung klappte es mit dem Schwangerwerden erst nach dem dritten Versuch, bei der zweiten - nach dem zweiten. „Wir haben uns eine mentale Grenze gesetzt und wollten auf gar keinen Fall mehr als drei Versuche pro Kind machen, weil das psychisch sehr belastend ist, wenn es nicht klappt. Der Kinderwunsch stand für uns nicht über allem."

Die Kosten für die Befruchtungen beliefen sich auf mehrere Tausend Euro, die nicht von den Krankenkassen bezahlt wurden. Das findet die Familie unfair, weil sich nicht alle das leisten können. „Hätten wir eine künstliche Befruchtung mit den Spermien meines Mannes gemacht, hätten sie die Kosten übernommen", sagt Anna Schäfer. Alle ihre Freunde wissen, wie die Kinder entstanden sind. „Menschen, die uns nicht kennen, sagen uns oft, wie groß die Ähnlichkeit zwischen meinem Mann und unserer Tochter ist. Die Leute sehen halt das, was sie sehen wollen. Wir müssen immer schmunzeln."

Ihren Kindern erzählen die Schäfers jetzt schon in märchenhafter Form, wie sie entstanden sind. „Unsere Große war auch dabei, als der Frauenarzt die zweite Befruchtung durchgeführt hat", meint Anna Schäfer. Falls die Mädchen sich eines Tages auf die Suche nach ihrem Spender machen wollen, würden Anna und Nils Schäfer ihnen zur Seite stehen. „Wir empfinden für diesen Mann eine tiefe Dankbarkeit. Ohne ihn würde es sie nicht geben."

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