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Hypnose in der Medizin

In Trance. Bild: Florian Muskat

Als das Skalpell Beate Switalas Haut durchdrang, spie ein Drache neben ihr Feuer in die Wunde. Als die scharfe Klinge ihre Muskeln und Sehnen durchschnitt, standen hunderte Zwerge mit bunten Mützen in ihrem Körper bereit, um ihn zu heilen. Als das Blut floss, schraubten die kleinen Helfer alle Venen und Arterien in der Nähe der Wunde zu.

Switala wurde vor drei Jahren an der Schulter operiert. Ohne Vollnarkose und Beruhigungsmittel. Und dennoch ohne Schmerzen. Die Hebamme und Heilpraktikerin für Psychotherapie aus Frechen stand unter Hypnose.

Die Fantasiegestalten, die sie bei der Operation und der nachfolgenden Heilung begleiteten, waren ihre inneren Helfer und Heiler. Allein mit der Kraft ihrer Vorstellung schaffte sie es, die Blutung während der gesamten Behandlung zu kontrollieren und die Genesung der Schulter zu beschleunigen.

Blutdruck nach einer Stunde wieder normal

Die Ärzte zu überzeugen, sie ohne Betäubung zu operieren, war eine Herausforderung: „Sie wollten mir natürlich nicht weh tun", sagt sie. Außerhalb des OP-Saals liefen währenddessen Wetten. Niemand traute der zierlichen Frau zu, ohne Narkose durchzuhalten. Doch sie schaffte es.

Der Anästhesist Thomas Kahlen war auch bei der Operation dabei und kennt die große Skepsis bei vielen seiner Kollegen. „Ich selber dachte zuerst, dass Hypnose nur zur Schmerzlinderung und Beruhigung eingesetzt werden kann", sagt der Mediziner, der am St. Marien-Hospital in Köln tätig ist. 2003 besuchte er eine Fortbildung in Hypnotherapie der Deutschen Gesellschaft für Autosystemhypnose in Mainz und war damals als klassischer Arzt ein Exot unter den Teilnehmern. „Während dieser Fortbildung habe ich mit Selbsthypnose gearbeitet und es geschafft, meinen Bluthochdruck zu senken", erzählt er. Bis dahin hatte er jahrelang starke Medikamente genommen: „Nach nur einer Stunde war mein Blutdruck wieder normal. Seitdem bin ich medikamentenfrei."

Solche Ergebnisse überraschen Götz Renartz schon lange nicht mehr. Der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Autosystemhypnose. In seinem Zentrum für angewandte Hypnose in Mainz haben sich seit 1997 über 7000 Ärzte und Psychotherapeuten ausbilden lassen. „Das große Potenzial der Hypnose wird in der Medizin zunehmend bekannter. Immer mehr Ärzte lassen sich in dieser Methode ausbilden", erklärt er.

Die Hypnose sei eine Kommunikationskunst, ein Trancezustand, der die funktionelle Trennung zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten ermögliche. Die moderne medizinische Hypnose habe wenig zu tun mit der Showhypnose, wie man sie aus dem Fernsehen kenne. „Die Fähigkeit zur Trance ist angeboren. Jeder von uns hat sie", erläutert Renartz. Menschen gehen mehrfach am Tag in Trancezustände hinein und hinaus, ohne diese als solche zu erkennen. „Tagträumerei, Nachdenklichkeit oder Konzentration: All dies stellt einen hypnotischen Trancezustand dar." Aber auch Traumata, Schocks oder extreme Belastungen wie eine Geburt können einen hypnotischen Zustand auslösen.

Bereits vor Jahrtausenden wurde Hypnose in vielen Kulturen für Heilzwecke genutzt. Der Wiener Arzt Franz Anton Mesmer führte sie vor über 200 Jahren in die wissenschaftliche Medizin ein. 1841 operierte der englische Chirurg James Braid als erster mit hypnotischer Anästhesie. Er war es, der dem Verfahren den modernen Namen Hypnose gab. Nur wenige Jahre später, im Jahr 1846 wurde das Äthergas zum ersten Mal bei einer Operation angewendet. „Dieses Ereignis markiert den Siegeszug der Chemie, die die Hypnose als Betäubungsmethode verdrängt hat", erklärt Kahlen.

Behandlung von Allergien, Phobien, Suchtproblemen

Heutzutage erlebt die Hypnose jedoch eine Wiedergeburt. In der Medizin wird sie immer öfter bei der Behandlung von Allergien, Phobien, Suchtproblemen oder Depressionen angewendet. Wie genau das funktioniert? „Durch die Hypnose tritt der Patient mit seinem Unbewussten in Kontakt und kann dadurch mithilfe des Arztes selber die Ursache für seine Erkrankung herausfinden", beschreibt Renartz die Wirkung dieser Methode. Denn das Unbewusste sei immer da gewesen und habe alles miterlebt, auch wenn das Bewusstsein etwas verdrängt habe."

Rund 40 Prozent aller Allergien, so Renartz, haben eine psychische Ursache. Traumata ließen sich mit Hypnose gut behandeln. In der Zahnmedizin ist die Hypnose seit vielen Jahren gängige Praxis.

Warum wird diese Methode dann nicht öfter bei Operationen angewendet? „Weil sie nicht immer klappt. Es hängt vom Patienten ab, ob er sich darauf einlässt oder nicht. Manche Menschen haben Angst, sich für das Unbewusste zu öffnen und wehren sich dagegen. Lachgas hingegen funktioniert immer", liefert Renartz eine mögliche Erklärung.

Thomas Kahlen sieht das ähnlich: „Um Hypnose anzuwenden, brauchen wir auch Patienten, die das möchten. Sehr selten finden sich jedoch Menschen, die mutig genug sind, eine Operation ohne Narkose auszuprobieren." Zudem sind die modernen Narkosemittel sehr gut verträglich und wirken schnell. Was zum nächsten Punkt führt - dem Kostenrahmen: „Mit Medikamenten hat der Patient in weniger als drei Minuten eine chirurgische Narkose. Um jemanden in einen Hypnosezustand zu versetzen, braucht man deutlich länger. In unserem Krankenhaus operieren wir um die 4500 Patienten pro Jahr. Keine Krankenkasse würde so was bezahlen", so Kahlen weiter. Und nicht zuletzt dürfe man nicht vergessen, dass hinter der Hypnose keine Industrie stecke. „Wir arbeiten gegen die Pharmaindustrie und ihre starke Lobby."

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