Linkshänder zu sein mag Schwierigkeiten mit sich bringen - doch muss man dafür sterben? In dem Dorf Oosterby quälen in den Sechzigerjahren Lehrkräfte Linkshänder mit dem Korrekturhandschuh. Das stinkende Leder, gefüttert mit Rosshaar, bleibt bis zum Abend an der linken Hand und zwingt sie, rechts zu schreiben. Fünf Linkshändern, schulisch minderbegabt und isoliert von den anderen, gruppieren sich zum "Verein der Linkshänder" - so heißt auch der neue Roman von Håkan Nesser.
Als sich die Linkshänder 1991 das erste Mal seit der Schulzeit wiedersehen, sterben vier Mitglieder in einer Pension bei einem Brand. Der Fünfte fehlt - Ermittler Van Veeteren erklärt ihn damals zum Täter. Fall abgeschlossen, scheint es. Doch dann taucht 2012 eine Leiche auf, auch das fünfte Mitglied starb damals. Wer war es dann, und wieso taucht die Leiche erst jetzt auf?
Gerade plante Van Veeteren noch den 75. Geburtstag mit seine Frau Ulrike, als ihm ein Kollege von der fünften Leichte erzählt. Einen gescheiterten Fall lässt er natürlich nicht auf sich sitzen und bequemt sich widerwillig ein letztes Mal aus dem Ruhestand.
Im "Verein der Linkshänder" fesselt das sich langsam auflösende Puzzle zwischen den Jahrhunderten mehr als die eigentliche Handlung. Das mag gelegentlich verwirren, doch kaum ein Krimiautor meistert horizontales Erzählen derart wie der Schwede Håkan Nesser. Parallel skizziert Nesser die dunkle Schulzeit der Linkshänder - ihr Verein bringt nicht nur das erste Mal oder Joints mit sich, sondern auch Unheil über ihr Heimatdorf.
Den Linkshändern schließen sich zwei Zwillingsschwestern an, die ebenfalls in ominöse Ereignisse verwickelt werden. Auch deswegen trennen sich die Wege der Mitglieder nach der Schule, bis sie schließlich 1991 mit Unbehagen zurückkehren. In der Gegenwart kommt die Polizei weiteren Verwicklungen rund um den Verein auf die Spur.
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Nessers Buch dreht sich nicht nur um die Geheimnisse des Vereins, er lässt auch die beliebten Kommissare Van Veeteren und Barbarotti aufeinandertreffen. Mit der Krimireihe um Van Veeteren verschaffte sich Nesser vor allem in Deutschland einen guten Ruf, die "FAZ" schrieb treffend: "So würde Albert Camus Krimis schreiben". Später kam die Reihe mit Gunnar Barbarotti hinzu. Den jüngeren Kommissar sieht der Autor als "kleinen Bruder", hat er mal gesagt, Van Veeteren stelle dagegen eher einen Vater für ihn da. Gewissermaßen wandelt sich "Der Verein der Linkshänder" gegen Ende zum Familientreffen altgedienter Kommissare.
Denn ein anderer Leichenfund in Schweden bringt auch Barbarotti ins Spiel. Nun mag es ein netter Fanservice sein, wie sich die beiden Ermittler und ihre Partnerinnen gegen Ende aufziehen und den Fall zu lösen versuchen. Die Handlung hätte dessen nicht bedurft, denn nahezu alles, was Barbarotti erfährt, wissen Leserinnen und Leser schon.
Nesser-typisch spielt sich kein brutaler Mord und Totschlag ab, das bedienen andere Autoren. Vielmehr kratzt Nesser spielerisch an fundamentalen Lebensfragen. Die ironischen Unterhaltungen des altersmilden Van Veeteren mit seiner Frau Ulrike drehen sich um den kategorischen Imperativ, die Theodizee und liefern mitunter kuriose Vergleiche. "Wenn du auf deine Arbeit als Kriminalpolizist zurückblickst, dann tust du es auf die gleiche Art wie Churchill, wenn er auf den Kampf gegen den Nationalsozialismus zurückblickt?" In etwas kleinerem Maßstab, erwidert der Ermittler.
Ulrike mutiert im Fall auch zur "Vernehmungspsychologin" und treibt ihren Mann an. Für Van Veeteren bleibe nichts anderes übrig, als "hier zu sitzen, zu meckern und gelegentlich scharfsinnig zu sein". Man begleitet mit Van Veeteren einen alten Mann bei seinem wohligen Lebensabend, der, um Glückwünschen und einer Feier zu entgehen, allen erzählt, er verreise am 75. nach Neuseeland.
Nesser bleibt sich treu
Wem Nessers Abschweifungen ohnehin zuwider sind, der sollte seine Bücher nicht lesen. Auch "Der Verein der Linkshänder" hält sich mit Dramatik oder Stephen-King-Einlagen zurück. Einen Nesser liest man wegen der literarischen Gewieftheit und vielschichtigen Charakterisierung. Bei diesen Nesser'schen Tugenden überzeugt "Der Verein der Linkshänder". Menschen sind immer die Summe ihrer Erfahrungen, das versteht Nesser in seinen Figuren zu zeigen.
Auch daher werden die Ermittler Barbarotti und Van Veeteren fehlen. Falls Nesser sie wirklich ruhen lässt, wie er hat verlauten lassen. Aber wie heißt es in Nessers Werk: "Wahrheiten verändern sich mit der Zeit".