Anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Zentralrats der Juden in Deutschland verurteilt die Kanzlerin wachsenden Antisemitismus.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Dienstag den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland scharf kritisiert. "Es ist eine Schande und beschämt mich zutiefst, wie sich Rassismus und Antisemitismus in diesen Zeiten äußern", so die Kanzlerin.
In den sozialen Medien, sagte die Kanzlerin, seien Hass und Hetze besonders deutlich spürbar: "Dazu dürfen wir niemals schweigen. Wir wissen, wie schnell Worte zu Taten werden können." Dies habe der Anschlag auf die Synagoge in Halle vergangenes Jahr gezeigt.
Anlässlich des Festaktes zum 70-jährigen Bestehen des Zentralrates der Juden in Deutschland in der Neuen Synagoge in Berlin sprach Merkel gleichzeitig ihre Glückwünsche aus. "Mit diesem stolzen Jubiläum konnte im Gründungsjahr 1950 keiner rechnen", so Merkel. Denn der Zentralrat wurde als Provisorium gegründet, der den überlebenden Juden in Deutschland die Auswanderung ermöglichen sollte.
Merkel würdigte den Zentralrat als kritischen Wächter und als Anwalt jüdischer Anliegen in Politik und Gesellschaft. Inzwischen sei die deutsche jüdische Gemeinde die drittgrößte in Europa und ein konstitutiver Bestandteil Deutschlands.
Auch die jüdische Gemeinde blicke stolz auf die vergangenen Jahrzehnte zurück, erklärte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden. Die Gründer des Zentralrates gaben Deutschland damals "einen riesigen Vertrauensvorschuss". Denn in den Behörden, Schulen und in der Justiz hätten viele Täter gesessen, die das Nazi-Regime unterstützt hatten. Heute fehlt laut Schuster immer häufiger der Respekt gegenüber Juden. Dies habe zu einem Unbehagen in der jüdischen Gemeinde geführt: "Leise stellt sich die Frage, wie sicher wir in diesem Land noch leben können."
Er kritisierte die Verschwörungsmythen, die auf Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen kursieren. Juden würden dort als Verursacher des Virus gesehen werden. Einige Demonstranten tragen Schuster zufolge gleichzeitig den sogenannten Judenstern des Nationalsozialismus. Das ist eine "widerliche Instrumentalisierung" der Schicksale verfolgter Menschen, so Schuster. Er rief die Wortführer auf, "mindestens einen Gang zurückzuschalten". Die Debatte zeige, dass das Gedankengut der Nazis noch immer nicht verschwunden ist. Die jüdische Gemeinschaft sei 75 Jahre nach der Schoa erneut bereit, Deutschland einen weiteren Vertrauensvorschuss zu geben. Zum Festakt in Berlin waren zahlreiche Politiker, Kirchenvertreter und Personen des gesellschaftlichen Lebens gekommen.