Nancy Waldmann

journalist, Frankfurt Oder Słubice

1 subscription and 2 subscribers
Article

Wer zuletzt wacht

Der Umweltaktivist Andrej Rudomacha auf einer Inspektion wilder Baustellen. Foto: Peggy Lohse

Eisbuden mit ausgeblichenen Sonnenschirmen, bunte Tretboote in Delfin-Optik, Menschen in Bikinis vor rostigen Duschkabinen und Algengeruch. Ein Strand an der Schwarzmeerküste nahe der Millionenstadt Krasnodar in der Mittagshitze. Zwischen den trägen Körpern bewegen sich zwei Männer von bemerkenswerter Unauffälligkeit: Ein Lockenkopf trägt ein graues Hemd, graue Hosen und einen Fotoapparat. Sein rundlicher Begleiter mit der dicken Brille und der Bundfaltenhose wirkt wie ein argloser Rentner. Er hat eine abgewetzte lila Plastiktüte bei sich. Darin Walkie-Talkies, Pfefferspray und eine Gaspistole.

Ihre Mobiltelefone haben sie ausgeschaltet, um nicht geortet werden zu können. Andrej Rudomacha und sein Kollege Viktor Tschirikow nähern sich Feindesland. Rudomacha erklimmt einen Geröllhügel vor einer frisch abgebaggerten Klippe und fotografiert, was von dort zum Vorschein kommt: eine Kiesaufschüttung im türkisblauen Meer der Bucht von Dzhubga, liederlich abgegrenzt mit Betonplanken, aus denen rostige Stahlteile ragen wie Bartstoppeln.

Rudomacha ist Kopf und Stratege einer Organisation, die sich „Umweltwacht für den Nordkaukasus" (EWNC) nennt. Seine Mission: illegale Baustellen entlang der Küste aufspüren, die er als „Landnahmen" bezeichnet - und dem Volk sein Land zurückgeben. Das Problem ist allgegenwärtig im Land, und hier, an einem der schönsten Erholungsorte in Russland, besonders eklatant. Die Küste mit ihrer Vegetation und Fauna - hier wachsen Lotosbäume und Tatarischer Ahorn, im Wasser schwimmen Delfine - ist 400 Kilometer lang und nur noch wenig davon ist unverbaut.

„Die Dzhubga-Bucht war einmal der Lieblingsbadeort der Krasnodarer", sagt Viktor Tschirikow. Heute ist ein großer Teil nicht mehr zugänglich für die Tagesausflügler und Gäste der kleinen Pensionen. Wenige Schritte vom Geröllhügel entfernt endet der Strand vor einem Metallgitterzaun mit Stacheldrahtkrone. „Geschlossener Strand des ,Priboi'-Sanatoriums des russischen Innenministeriums" steht auf einem Schild.

Im Hintergrund ist eine andere Bucht zu sehen, die Blaue Bucht. Um die haben Rudomacha und seine Aktivisten den Kampf längst verloren. Alexander Tkatschow, der frühere Gouverneur der Region Krasnodar, und sein Stellvertreter Alexander Remeskow haben sich dort illegal opulente Datschen samt Yachthafen gebaut. Haben Zäune und Mauern errichtet, die in den bewaldeten Küstenhügeln wie Sägeblätter stecken und den Strand durchschneiden.

Abgeholzter Wald, kommerzialisierte Strände

Rudomacha und sein Mitstreiter werden an diesem Tag unter den Zäunen hindurchkriechen und Grundstücke inspizieren. Offiziell gehören die zum Staatsforst - wie fast alle Wälder der Region.

Der Staat verpachte Waldgrundstücke, um Ausgaben und Aufwand bei der Pflege zu mindern, teilt das Krasnodarer Umweltministerium auf Anfrage mit. Die Pächter dürften nur temporäre Holzbauten und keine Zäune errichten. Sie seien verpflichtet, den Baumbestand zu erhalten und vor Bränden zu schützen.

Den Umweltschützern präsentiert sich oft ein anderes Bild. Private Prunkbauten, abgeholzter Wald, kommerzialisierte Strände. Rudomacha sagt: „Wir bringen die Behörden zum Arbeiten." Nicht jedem gefällt das.

Ende Dezember 2017: Zu dritt kommen die „Umweltwächter" von einer Inspektionsfahrt zurück und steigen vor ihrer Haus-WG in Krasnodar aus dem Auto, als drei Vermummte sie von hinten angreifen. Sie schlagen Rudomacha nieder, treten dem am Boden Liegenden ins Gesicht. Zwei Wochen lang muss er im Krankenhaus behandelt werden: Schädelbasisbruch, eine gebrochene Nase, Gehirnerschütterung.

Die Kameras und sämtliches Bildmaterial nehmen die Unbekannten mit. Rudomacha und seine Kollegen hatten gerade den widerrechtlichen Bau einer Weinfabrik samt Villa in einem Küstenort dokumentiert. Hinter dem Projekt stecken Firmen von Nikolaj Jegorow, ein Studienfreund von Russlands Präsident Wladimir Putin sowie Jura-Professor des Weinliebhabers und Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew.


...
Original