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Ein Zugang für Alle | derAchte

Mitten in der Josefstadt befindet sich das Herz des freien Wissens: Wikimedia Österreich.

Wir haben mit Claudia Garád, Geschäftsführerin des Vereins und gleichzeitig Präsidentin von Wikimedia Europe, über internationale Projekte, die Motivatoren einer sehr engagierten Community und die Zukunft von Wikipedia gesprochen.


„Wikimedia ist ein Verein, der Wikipedia und ihre Schwesterprojekte unterstützt", erklärt Garád, Geschäftsführerin von Wikimedia Österreich, das seinen Sitz in der Stolzenthalergasse hat. Verwandte Projekte sind zum Beispiel Wikicommons und Wikidata. Dort liegen alle Bilder und Media-Dateien sowie Daten, die in Wikipedia-Artikeln vorkommen. Demnach kann Wikipedia als ein ganzes Universum gesehen werden. Und dieses Universum ist nicht nur in Österreich, sondern auch international angesiedelt. „Wikimedia Österreich ist sehr stark mit anderen Ländern vernetzt. Zum einen arbeiten wir intensiv mit den anderen beiden Ländern des DACH-Raums zusammen, zum anderen sind wir auch in Mittel- und Osteuropa aktiv", so Garád.


Die meisten kennen Wikipedia als großes digitales Nachschlagewerk. Was viele Nutzer:innen jedoch nicht wissen: Die Menschen, die Wikipedia-Einträge verfassen oder Fotos und Grafiken für Beiträge machen, tun dies ehrenamtlich. Sie bekommen kein Geld, keine Belohnung und, da viele unter Pseudonym veröffentlichen, auch kein öffentliches Standing. Ihre Motivation dahinter kann demnach nicht mit den klassischen Incentives wie einer (monetären) Belohnung oder gesellschaftlicher Anerkennung erklärt werden. Die Wikimedia-Geschäftsführerin beschreibt die Motivatoren so: „Viele Wikipedianer:innen, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten dabei sind und schon Tausende oder gar Millionen Edits auf dem Rücken haben, bekommen von der Community großen Respekt. Andere Mitglieder machen das für sich und weniger aus einer altruistischen Motivation heraus, weil sie dadurch etwa viel Neues lernen. Es gibt in der Wikipedia-Gemeinschaft auch Aktivist:innen, die an freies Wissen und einen entsprechenden Zugang dazu glauben."


Die Arbeitsbereiche von Wikimedia Österreich sind vielfältig. Die bereits erwähnte Unterstützung für Wikipedianer:innen sieht je nach Tätigkeit unterschiedlich aus. Hierzulande ist etwa die Fotograf:innen-Community sehr groß. Im WikimediaBüro in der Stolzenthalergasse gibt es daher einen Technikpool, aus dem sich Fotograf:innen hochwertige Ausrüstung leihen können. „Außerdem vermitteln wir über Akkreditierungen Zugang zu diversen Kultur- oder Sportevents und bieten finanzielle Unterstützung bei Reisekosten. Die schreibende Zunft kann man in der direkten Arbeit eher weniger unterstützen, aber wir übernehmen zum Beispiel die Kosten für Bibliotheksausweise oder verschaffen Zugang zu offiziellen Einrichtungen. Wir sehen unsere Rolle als eine Art Dolmetscherin zwischen einer anonymen Online-Community und sehr klassischen Institutionen", sagt Garád.


Darüber hinaus betreibt Wikimedia Österreich auch Advocacy-Work auf europäischer Ebene. „In diesem Bereich gibt es sehr viel zu tun, denn die Gesetze, die unsere Arbeit beeinflussen, werden in Brüssel ausgearbeitet und danach national implementiert. Wir versuchen, eine Stimme für die Menschen zu sein, die kreativ im Internet unterwegs sind, ohne dabei einen kommerziellen Hintergrund zu haben. Die werden oft vergessen oder kommen in Diskussionen gar nicht vor", so die Wikimedia-Europe-Präsidentin.


Was bedeutet denn nun freies Wissen? Freies Wissen ist, wie der Name schon sagt, frei zugänglich. „Ich bin noch mit richtigen Buch-Enzyklopädien aufgewachsen, die nicht für alle leistbar waren", erinnert sich Garád. Durch freie Lizenzen wird der freie Austausch von Wissen ermöglicht. Wikipedia funktioniert nur dadurch, dass Menschen ihre Texte oder Fotos unter die freie Lizenz stellen, sodass bei Weiterverwendung oder -entwicklung keine rechtlichen Probleme entstehen. Dem war nicht immer so: „In der Vergangenheit und auch heute noch finden gewisse Diskussionen in einem Elfenbeinturm statt: Nur eine bestimmte auserlesene Gruppe von Menschen hat das Recht, Wissen zu kuratieren und aufzubereiten. Wir sagen jedoch: Alle Wikipedianer:innen sind Expert:innen und Wissensträger:innen, egal ob Professor:in oder Student:in", so Garád.


Es werde immer Leute geben, denen das nicht gefällt und die die Qualität der Einträge kritisieren. Nach mittlerweile über zwanzig Jahren Wikipedia könne man sehen, dass die Qualität im Großen und Ganzen ziemlich gut sei. Claudia Garád appelliert, einen kritischen Blick beizubehalten - wie auch bei vielen anderen Inhalten. „Natürlich gibt es immer irgendwo Fehler. Außerdem würde keine:r von uns behaupten, dass Wikipedia selbst eine gute Quelle ist. Eine Enzyklopädie macht ein Thema nur auf. Sie liefert Quellen und Literatur für weitere Recherchen", empfiehlt sie.


Wie sich Wikipedia in Zukunft entwickeln werde, sei eine spannende Frage. Die Finanzierung mittels Spenden gestaltet sich laut Garád schwieriger als früher. Denn immer weniger Menschen gehen direkt auf Wikipedia, um die Inhalte zu konsumieren, nach denen sie suchen. Die Suchmaschine Google filtert aus den Einträgen die entsprechenden Antworten heraus und zeigt diese ganz oben in einem Kasten an. „Das ist einerseits schön, denn es geht genau darum, allen den Zugang zu freiem Wissen zu ermöglichen. Andererseits schneiden wir uns ein Stück weit ins eigene Fleisch, weil die Menschen dadurch gar nicht realisieren, dass das Wissen von Wikipedia ist", so Garád. Ein weiteres großes Zukunftsthema sei „Generative AI" und die Frage nach der Rolle der Verfasser:innen von Inhalten. „Wir müssen, wie ich glaube, unsere Rolle neu definieren. Wenn Texte selbst von einer künstlichen Intelligenz geschrieben werden, dann sind wir Menschen die Wächter:innen und schauen, welche Aspekte im Text wie gewichtet sind", sagt Garád abschließend.


Was ist Wikimedia?

Wikimedia gibt es auf der ganzen Welt. Fast 40 unabhängige Länderorganisationen sowie rund 140 thematische Organisationen und Benutzer:innen-Gruppen unterstützen die Wikimedia-Projekte vor Ort. Das größte und bekannteste Wikimedia-Projekt ist Wikipedia. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Projekte, etwa Wiktionary, Wikisource, Wikibooks, Wikimedia Commons und Wikinews. Alle Wikimedia-Projekte werden von der gemeinnützigen Wikimedia Foundation mit Sitz in San Francisco betrieben. Die Wikimania, das internationale Jahrestreffen der Wiki-Community, findet heuer von 7. bis 10. August in Katowice in Polen statt.


Die Finanzierung

Wikimedia Österreich ist als gemeinnütziger Verein aufgebaut und hat seinen Sitz im 8. Bezirk. Der Großteil des Geldes, das Wikimedia zur Verfügung steht, kommt von einem Grant der Wikimedia Foundation. Auf den Wikipedia-Seiten gibt es Spendenbanner, die von Wikimedia USA geschalten werden. Ein Teil der Einnahmen geht an die Wikimedia Foundation. Je nach Themenschwerpunkt bekommt Wikimedia Österreich Förderungen von Institutionen oder der Stadt Wien. Die Wikipedianer:innen, also die Personen, die Inhalte produzieren, arbeiten ehrenamtlich und freiwillig.


Spannende Wiki-Fakten

Der Name Wikipedia setzt sich aus dem hawaiianischen Wort „wiki" (schnell) und dem englischen Begriff „Encyclopedia" (Enzyklopädie) zusammen.

Es gibt einen Wikipedia-Song zur Melodie des Eagles-Hits „Hotel California". Im meistgelesenen englischen Wikipedia-Artikel des Jahres 2023 ging es um ChatGPT.

Die Online-Enzyklopädie liefert viele kuriose und ungewöhnliche Artikel. Drei der skurrilsten Artikel beschäftigen sich mit Themen wie dem Ruf nach „Helga", der Trendsportart „Schachboxen" oder dem „Klopapier-Orientierungsproblem".

Ausgabe 01/24
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