Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 23/2022.
Wenn Paare in die Krise schlittern, geschieht dies oft schleichend. Wie wird die Arbeit aufgeteilt, die im Haushalt anfällt? Wie streng will man zu den Kindern sein? Wer kümmert sich um die Finanzen? Der Alltag bietet genügend Anlässe, um sich zu streiten.
Streits folgen in vielen Partnerschaften einer Choreografie: Einer klagt an, der andere stellt sich stur. Werden die Vorwürfe aggressiver, wird das Schweigen länger. Anschuldigungen ("Du kümmerst Dich nie um die Wäsche!") beantwortet der Partner mit neuen Anschuldigungen ("Und Du hörst mir nie zu!"). Verletzungen häufen sich, Verbitterung setzt ein. Das wohlwollende Miteinander der Anfangszeit weicht unversöhnlichem Groll. Beide fühlen sich unverstanden und fragen sich: Was hat uns bloß so ruiniert?
Damit die Beziehung oder die Ehe nicht an solchen Konflikten scheitert, suchen Tausende Paare jedes Jahr die Hilfe eines Therapeuten. Eine Paartherapie kann Partnern aus der Krise helfen. Tatsächlich aber ist Therapie nicht gleich Therapie. Es gibt im Gegenteil große Unterschiede, was ihre Wirksamkeit angeht.
Newsletter
Willkommen im Wochenende
Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende - lesen Sie hier die aktuelle Ausgabe und abonnieren Sie unseren Letter.
Mit Ihrer Registrierung nehmen Sie die Datenschutzerklärung zur Kenntnis.
Prüfen Sie Ihr Postfach und bestätigen Sie das Newsletter-Abonnement.
Vor allem eine Therapieform hat sich in den vergangenen Jahren als besonders wirksam erwiesen - auch wenn sie bisher in Deutschland kaum bekannt ist: die sogenannte emotionsfokussierte Therapie. Gemeinsam mit bestimmten verhaltenstherapeutischen Therapien, ist sie "anderen Therapiemethoden überlegen", sagt der Psychotherapieforscher Wolfgang Lutz von der Universität Trier. Dutzende Studien belegen, dass sie schon nach kurzer Zeit und so gut wie keine andere Therapie bei Partnerschaftsproblemen hilft.
Aber was genau macht diese Therapie so erfolgreich? Und wie funktioniert sie überhaupt?
Grundlage der emotionsfokussierten Paartherapie ist die Bindungstheorie ( siehe Infobox). Zwischen Paaren, so die Herangehensweise der EFT, herrschen Bindungen, die denen zwischen Eltern und Kind nicht unähnlich sind. Paarkonflikte hingegen sind Unterbrechungen dieser engen Bindung.
Kein sicherer Hafen mehrWährend es noch in den Neunzigerjahren in der Paartherapie vor allem um Kommunikations- und Problemlösetrainings ging - was nur bedingt hilft -, legt die emotionsfokussierte Paartherapie seit jeher den Schwerpunkt auf das Bindungsbedürfnis beider Partner.
Bindungstheorie
Die Bindungstheorie hat der britische Kinderarzt John Bowlby entwickelt. Seine Grundannahme ist, dass Kinder über bestimmte Arten des Bindungsverhaltens Beziehungen zu ihren Bezugspersonen entwickeln, um ihre Überlebenschancen zu erhöhen. Eine gute Bindung sorgt nicht nur für p hysische Nähe, Nahrung und Schutz, sondern ist auch ein sicherer Hafen für die Erkundung der Welt und hilft Kindern mit Erregungszuständen und Emotionen zurechtzukommen. Bindungserfahrungen aus der Kindheit wirken sich auf spätere Beziehungen aus.
Menschen suchen in belastenden Situationen Trost und Sicherheit bei nahestehenden Personen. Während Kinder bei ihren Eltern einen sicheren Hafen suchen, wenden sich Erwachsene in der Regel an ihren Partner. Bei ihm oder ihr fühlen sie sich geliebt, verstanden und angenommen.
Stößt uns diese vertraute und geliebte Person im Streit jedoch zurück oder greift uns sogar an, reagieren wir mit Wut, Enttäuschung, Frust und Trauer. Den Stress, den diese Emotionen hervorrufen, lindert am besten Verständnis und Nähe. Beides kann der Partner während eines Konflikts aber nicht bieten, Er ist ja gerade der, der den Stress verursacht hat.
Der Stress also bleibt - und hat Folgen: Gestresste Menschen, das zeigen verschiedene Studien, empfinden weniger Mitgefühl (Current Biology: Jeffrey Mogil, 2015). Die Folge ist, dass sie sich zunehmend unempathischer verhalten. Die Beziehung gerät in eine Abwärtsspirale. Dauert dieser Zustand an, verlieren die Partner gegenseitig ihre Bedeutung als sicherer Hafen und Freund. Stattdessen erleben sie sich als Feinde. Eine Trennung erscheint zunehmend als Erlösung.
Anstatt die Konflikte zu lösen, ermutige ich beide Partner immer wieder, sich verletzlich zu zeigen. Christian Roesler, PaartherapeutChristian Roesler kennt dieses Phänomen. Er arbeitet als Professor für Klinische Psychologie mit dem Schwerpunkt Familie an der Katholischen Hochschule in Freiburg. Seit 28 Jahren versucht er Paaren, die um ihre Beziehung ringen, zu helfen. Früher vor allem in Form einer klassischen Paarberatung mit einer Mischung aus psychodynamischen und systemischen Elementen. Etwa die Hälfte der Beziehungen, erzählt Roesler, hätten sich wieder versöhnt.
Bei einem anderen Teil der Paare scheiterte der klinische Psychologe jedoch mit diesem Vorgehen. In vielen Sitzungen stritten die Paare einfach weiter, bis sie schließlich nicht mehr kamen.
"Ich dachte früher, dass bei diesen Paaren der Streit vielleicht schon zu weit fortgeschritten sei und die Entfremdung der Partner zu groß. Dass ich nicht mehr helfen kann", sagt Roesler. Aber zufriedengeben wollte er sich damit nicht. Also begann der Paartherapeut sich mit emotionsfokussierter Paartherapie zu beschäftigen und richtete den Fokus zunehmend auf das Bindungsbedürfnis der Partner. Und plötzlich liefen die Sitzungen anders.
"Anstatt die Konflikte zu lösen, ermutige ich beide Partner immer wieder, ihre Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken - sprich sich verletzlich zu zeigen", sagt Roesler. Seine Übersetzungsarbeit führt dazu, dass sich die Atmosphäre entspannt und beide Partner beginnen, wohlwollender miteinander umzugehen. Bis sie es schließlich wagen, sich mit ihren Bedürfnissen direkt aneinander zu wenden.
"Es ist magisch und eindrucksvoll zu sehen, wie die Paare sich öffnen und wagen, einander nah zu sein", erzählt Roesler, "und damit relativieren sich plötzlich viele Konfliktthemen wieder."