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Männer, die auf Fliegen starren

Heute spielt YB gegen Skënderbeu Korça in der Europa League. Die Wettindustrie blüht in Albanien, und dank ihr ist auch die Begeisterung für den Fussball gross. Es fragt sich bloss, für welchen.

https://www.derbund.ch/sport/fussball/Maenner-die-auf-Fliegen-starren/story/29879118


Es ist 20.45 Uhr und in Tirana sterben sie tausend kleine Tode. Die Werbung ist vorbei, der Ball rollt. Alles sitzt jetzt in den kleinen Büdchen, den grösseren Bars, Wettscheine in der einen, Zigarette in der anderen Hand, den Blick gebannt auf dem Bildschirm, wo sich im dicken Qualm Insekten tummeln. Männer, die auf Fliegen starren. Alles flimmert und flackert und flieht, an der einen Ecke projizieren sie das Spiel an eine weisse Hausmauer, Real beim BVB, Ronaldo greift an, geblockt, Dortmund hofft. Es ist Champions League, die grosse Bühne, bevor heute die Young Boys gegen Skënderbeu Korça ein paar Etagen tiefer in der Europa League spielen.


Sportwetten sind in Albanien ungesund populär. «Es ist tatsächlich etwas manisch geworden», sagt Armand Plaka, Germanist, Historiker und Sportjournalist. Fussball ist gross hier – die Frage ist nur, welcher. In den Strassen gibt es nicht nur die Wettstuben, es gibt auch die riesigen Plakate, von denen Dzeko und Icardi grüssen, Roma und Inter, Serie A, Italien ist nah. «Die Leute schauen sich alles Mögliche an, sie wissen bestens Bescheid – nur nicht über albanischen Fussball», sagt Plaka.


«Do you know Schinznach?»

Vom Jugoslawienkrieg blieb der stolze Staat am südlichen Ende der Adria zumindest politisch verschont. Doch auch Albanien war lange Zeit im eisernen Griff einer sozialistischen Führung, Enver Hoxha regierte bis zu seinem Tod mit harter Hand. 1992 fiel das Regime, und zunächst einmal funktionierte gar nichts mehr. Bis heute ist die Arbeitslosigkeit hoch, 17 Prozent, bei den Jugendlichen fast ein Drittel. Zwischen 300 und 350 Euro verdienen die Albaner pro Monat im Durchschnitt. Im Wetten sucht so mancher einen willkommenen Nebenverdienst – und findet bestenfalls einen Zeitvertreib.


Das ganze Viertel scheint in Aufruhr jetzt. Real ist hoch im Kurs und Real drückt aufs Tempo, aha, Besuch aus der Schweiz, «do you know Schinznach?» – Albanien ist überall. «Schinznach, beautiful place!», nun, man muss ja nicht immer einer Meinung sein, es geht weiter, draussen überbieten sich die hupenden Autos wie wilde Marktschreier – bis plötzlich Bale trifft. 1:0 für Real Madrid. Jubel, als hätte Armando Sadiku gerade eben wieder zum 3:0 gegen Armenien getroffen, wie damals, im entscheidenden Spiel zur EM 2016. Den Cousin (den einzigen, natürlich!) des ehemaligen FCZ-Stürmers trifft man an einem Abend im Ausgehviertel übrigens zwischen fünf- und zehnmal an.

Wer sich so von der einen Spielhalle zur nächsten hangelt, fragt sich irgendwann, wo all die wunderbar fussballverrückten Menschen denn eigentlich hingehen, wenn sie den Sport selber im Stadion sehen wollen. Im Schnitt kamen vergangene Saison nicht einmal 2000 Zuschauer in die Stadien der albanischen Kategoria Superiore. Die Tradition darbt in der Liga.


Die einstmals stolzen Hauptstadtclubs, welche zu sozialistischen Zeiten die Pokale unter sich aufteilten, sind keine Adressen mehr: Partizani, der Armeeclub, wartet seit 1993 auf den Titel in der Meisterschaft, Polizeiverein Dinamo und Rekordmeister KF Tirana sind abgestiegen. Den albanischen Fussball regieren neue Kräfte. Das scheint nicht immer allen zu gefallen.

Arqile Zhidro steht auf dem Rasen im Nationalstadion von Elbasan, in seinem Rücken wie zum Schutz die Berge um seine Heimat Korça, vor ihm wie ein Gegner die flachen Vororte von Tirana. Er zieht an seiner Zigarette, der Wind weht ihm die Glut ins Gesicht. «Wir sind Aussenseiter», sagt er und grinst etwas gar grimmig. Vor dem Vergleich mit YB kommt die Aussage des Pressesprechers von Skënderbeu nicht gerade überraschend, Zhidro bezieht sie aber auf das Verhältnis zwischen seinem Club aus dem Hinterland und den Grossmächten in der Hauptstadt.


Skënderbeu Korça ist der aktuell erfolgreichste Verein im albanischen Fussball. Kritiker sagen neureich, Anhänger fleissig, und die Geschichte, wie sie die Fans gerne portieren, geht so: 1933 ist der Club aus der Kleinstadt an der mazedonischen Grenze zum letzten Mal Meister geworden. Im Winter 2010 finden diverse Geschäftsmänner in Korça, das sei lang genug. Der albanische CEO desselben Getränkeherstellers, der auch in Leipzig und Salzburg in den Fussball investiert, wird Präsident und installiert einen neuen Trainer. 2011 wird Skënderbeu wieder Meister, erstmals nach 78 Jahren. Es folgen fünf Titel, zwei Supercups, drei Pokalfinals und zwei Gruppenphasen in der Europa League. «Skënderbeu ist wichtig für den albanischen Fussball, keine Frage», sagt Bled Kuka, TV-Journalist von ABC News in Tirana. Er gehört zur zweiten, eher skeptischen Gruppe. Im neuen Verwaltungsrat von Skënderbeu sass lange Zeit auch Ridvan Bode, der damalige Finanzminister der Regierung. Er habe für den Aufstieg eine wichtige Rolle gespielt und dessen Geld stamme definitiv nicht nur aus privater Hand, so Kuka.


Vergangene Saison hat Skënderbeu eine Sperre abgesessen. Verdacht auf Spielabsprachen, so befand die Uefa und verbannte den Club für eine Saison von allen europäischen Wettbewerben. Wegen unklarer Beweislage ist die Strafe bis heute umstritten. Zhidro vom Verein mag nicht drüber sprechen, Journalist Kuka sagt: «Sportler in Albanien sind anfällig für solche Geschäfte. Sie verdienen schlechter als früher, in Zeiten des Regimes, als sie auch ein gewisses Ansehen genossen.»


Die letzte Saison verlief für Skënderbeu nicht ganz nach den neuen Ansprüchen. Rang 3 in der Meisterschaft, ein verlorener Cupfinal gegen Erzrivale KF Tirana. Entsprechend weit war der Weg in die Gruppenphase der Europa League, sämtliche Qualifikationsrunden mussten die Albaner überstehen. Das Ausweichstadion in Elbasan (die Arena in Korça genügt den Uefa-Ansprüchen nicht) war nur im Playoff gegen Zagreb gut gefüllt. Vor dem Vergleich mit YB sind 7000 der 12'000 Plätze verkauft.


Richtig Zunder wird dann in drei Wochen drin sein, wenn Partizan Belgrad kommt. Es ist der einzige Moment, in dem Vereinsfussball in Albanien nationale Bedeutung erfährt, die von Gewalt geprägte Vergangenheit zwischen Serben und Albanern lässt kaum jemanden kalt. Auswärtsfans sind keine zugelassen, das Gewaltpotenzial ist hoch. Die Uefa verhindert bereits Partien zwischen ukrainischen und russischen Mannschaften, hier ist es noch nicht so weit.


Und so dreht hier ein Rädchen und dort eins, alles hängt am Ende irgendwie zusammen, die Uefa reibt sich die Hände ob dem feinen Geschäft, während die Zocker ihr Geld auf den Tresen knallen, als hätten sie zu Hause noch jede Menge davon. Ein Scheinchen darfs auch heute sein, Arsenal gelingen drei Auswärtstore bei Borisow, oder siegt Milan gegen Rijeka auch mit Handicap? Sicher ist nur: Irgendwann ist wieder 20.45 Uhr.