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Jüdische Stiftungen in Hamburg: Von Räubern und ihren Erben

Nachdem die meisten Juden aus der Stadt verschleppt, ihre Grundstücke zusammen mit ihrem übrigen Besitz geraubt und ihre Stiftungen arisiert worden sind, zieht Leo Lippmann eine traurige Bilanz. Zahlen und Statistiken waren seine Welt, als er noch als Staatsrat der Finanzdeputation dienen durfte. 1933 ist er als Beamter entlassen worden, wegen seiner jüdischen Herkunft. Zehn Jahre später, im Januar 1943, erstellt er einen Bericht über die "Liquidation der jüdischen Stiftungen und Vereine in Hamburg". Als Vorstandsmitglied des aufgelösten Jüdischen Religionsverbandes Hamburg hat er den Raub aus unmittelbarer Nähe erlebt. Die Nationalsozialisten haben alle Stiftungen "arisiert". Auch Einrichtungen wie das Israelitische Krankenhaus, das Waisenhaus und 22 von Juden gegründete Wohnstiftungen sind betroffen.

Hamburg nennt sich heute stolz "Stiftungshauptstadt". Früh gehörten Juden zu den Gründern wohltätiger Institutionen. Das erste jüdische Legat lässt sich für 1649 nachweisen. In den folgenden Jahrhunderten schufen Juden zahlreiche weitere Stiftungen, darunter ein Drittel aller Wohnstifte. Die Nationalsozialisten beendeten diese Tradition - und nach dem Zweiten Weltkrieg tat Hamburg wenig, um sie wieder zu beleben. Im Gegenteil: Die Stadt bemühte sich, aus der zwangsweisen Auflösung der jüdischen Stifte weiterhin Nutzen zu ziehen.

"Im Laufe des Jahres 1942 wurden auch die letzten noch bestehenden hamburgischen jüdischen Stiftungen durch ihre Eingliederung in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland aufgehoben", stellt Lippmann in seinem Bericht fest. Er gibt den Gesamtwert der Stiftungen mit 1,85 Millionen Reichsmark an. Allerdings stammt diese Zahl von den Behörden, die den Grundstücken niedrige Einheitswerte zuschrieben. Anfang 1943 erwirbt die Hansestadt mit einem Sammelkaufvertrag 34 jüdische Grundstücke von der Jüdischen Gemeinde, die unter Kontrolle der Gestapo steht. 15 der Grundstücke gehörten jüdischen Stiftungen. So geht das Lazarus-Gumpel-Stift, dessen Wert Lippmann mit 175.600 Reichsmark angibt, für 120.000 Reichsmark an die Hansestadt. Auch die Oppenheimer Stiftung in der Kielortallee, die Samuel-Lewisohn-Stiftung im Kleinen Schäferkamp und die Samuel-Levy-Stiftung in der Bundesstraße gehören zur Verkaufsmasse.



Lippmann und ein Kollege aus dem Vorstand der abgewickelten Hamburger Gemeinde mussten den Verkauf absegnen, eine Wahl hatten sie nicht. Die Behörden hatten einige der Stiftsgebäude zuvor als "Judenhäuser" genutzt, jüdische Einwohner zwangsweise einquartiert und von dort in das Konzentrationslager Theresienstadt und andere Ghettos sowie in Vernichtungslager im Osten deportiert. Die Kosten für Gebäude und Unterbringung musste die Jüdische Gemeinde tragen. "Der Zweck der Stifte wurde pervertiert", stellt Angela Schwarz fest. Die Historikerin gilt als beste Expertin für die Geschichte der jüdischen Wohnstifte in Hamburg.

Sie hat auch die "Arisierungen" untersucht. Paritätische Stiftungen, von Juden gegründet, wurden vom NS-Regime gezwungen, ausschließlich "deutsche Volksgenossen" zu unterstützen. In einige der Stifte zogen später "Ausgebombte". Den Besitz der früheren Bewohner versteigerten renommiere Auktionshäuser wie Schopmann oder Carl F. Schlüter. Die Auktionatoren erhielten sechs Prozent des Erlöses, der Rest ging an die Staatskasse. Allein im Martin-Brunn-Stift nahm die Stadt durch eine Versteigerung des "arisierten" jüdischen Eigentums 49.636,25 Reichsmark ein. Zahlreiche Hamburger Familien brachten auf diese Weise günstig Möbel, Porzellan und Silberbesteck in ihren Besitz.

Leo Lippmann nahm sich gemeinsam mit seiner Frau das Leben, kurz bevor sie deportiert werden sollten. Sein Bericht über das Ende der jüdischen Stiftungen wird zum bedeutenden Zeitdokument.

Nach der Besetzung Hamburgs durch die Engländer versuchen diese, den großen Raub rückgängig zu machen. Amerikaner und Briten gründen in den von ihnen kontrollierten Zonen jüdische Treuhandorganisationen, die den Besitz der Ermordeten zurückfordern können. Den Nutznießern der "Arisierungen" soll die "Beute" entzogen werden. In Hamburg übernimmt es die Jewish Trust Corporation for Germany (JTC) 1950, ehemals jüdische Immobilien, Grundstücke und Wertpapiere aufzuspüren. Im kriegsbeschädigten Hamburg, wo viele Archive von Bomben und Feuern zerstört sind, ist das eine schwierige Mission.

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