Es gibt Geld, viel Geld. Um die Schulen digital fit zu machen, stellen Bund und Länder viele Milliarden bereit. Doch es hakt in der Umsetzung. Ein Problem: Viele Lehrer und Schulleiter - auch in Unterfranken - fühlen sich vom Ministerium alleine gelassen. Es gebe einen immensen Bedarf an Know-how, aber zu wenig Unterstützung. Recherchen der Redaktion zeigen beispielhaft, wie ein Technologie-Konzern dieses Vakuum für sich nutzt.
Smart Technologies ist im Bildungssektor kein unbekannter Name, die meisten Lehrer werden das kanadische Unternehmen kennen. Smart gilt als einer der weltweit führenden Hersteller interaktiver Whiteboards - eine Art digitale Tafel - und hat nach eigenen Angaben weltweit mehr als drei Millionen Klassenräume damit ausgestattet. Der Jahresumsatz 2016 betrug 348 Millionen Dollar.
2015 gründete der Konzern das "Netzwerk Digitale Bildung". Das Ziel: Experten aus Unternehmen, Wissenschaft und dem Bildungssektor zusammenbringen, um die Schulen bei der Digitalisierung zu unterstützen. Das Netzwerk organisiert Veranstaltungen, präsentiert sich in den Medien, auf Messen und im Netz, veröffentlicht Broschüren, Checklisten und Erfahrungsberichte. Doch die vermeintlich neutrale Beratung der Schulen wirft Fragen auf.
Ein Insider berichtet, dass es Smart Technologies seit einiger Zeit verstärkt um die eigenen Vertriebs-Interessen gehe. Der Konzern investiere viel Geld in das Projekt und habe entsprechend Einfluss. Im Netzwerk, das ursprünglich als Debatten-Plattform gegründet wurde, gehe es mittlerweile vor allem um Marketing und um die Frage, wie Smart profitieren könne.
Die Doppelrolle
Die offizielle Version ist eine andere: Man empfehle den Schulen keine bestimmten Marken oder Hersteller, teilt das Netzwerk mit. "Ein Lobbyverein sind wir nicht", betont auch Sarah Henkelmann. Sie ist Sprecherin des Netzwerks und präsentiert sich in Interviews als Bildungsexpertin. Was Henkelmann dabei nicht erwähnt: Seit Ende vergangenen Jahres arbeitet sie zeitgleich für Smart Technologies. Ihre Aufgaben: Hochrangige Kontakte in Ministerien knüpfen und den Konzern als Vordenker im Bildungssektor positionieren.
Es fällt auf, wie präsent Smart auf der Website und in Beiträgen des Netzwerks ist: Ganz oben auf der Startseite ist eine Broschüre des Konzerns abrufbar. Immer wieder wird auf das Smart-Lehrernetzwerk hingewiesen und in einem Blog wird erzählt, wie erfolgreich der Konzern eine Hamburger Schule mit digitaler Technik ausgestattet hat. Beiträge über die Konkurrenz? Fehlanzeige.
Das Netzwerk, das weder rechtlich organisiert ist noch eigene Mitarbeiter hat, weist die Kritik zurück: Es fände keine Zensur durch die beteiligten Unternehmen statt. Die Inhalte würden unabhängige Experten beisteuern - darunter Professoren, Pädagogen und Journalisten.
Auf Nachfrage der Redaktion bezeichnen jedoch fünf dieser Experten ihre Rolle als weitgehend inaktiv. Zwar wurde der ein oder andere Gastbeitrag von ihnen veröffentlicht, doch alle beschreiben den Kontakt zum Netzwerk als sehr sporadisch. Trotzdem werden sie als Teil der Community auf der Website aufgeführt. Im Verlauf der Recherche haben einige von ihnen ihren Eintrag löschen lassen. Auch eine Hamburger Kommunikationsagentur, die das Netzwerk mit aufgebaut hat, beendete die Zusammenarbeit.
Verschleierung kommerzieller Interessen
Felix Kamella beschäftigt sich bei der Organisation Lobbycontrol mit dem Thema "Lobbyismus an Schulen". Für ihn sind die Aktivitäten des Netzwerks "absolut kritisch" zu bewerten. Die Digitalisierungs-Debatte werde massiv von den Interessen der Technologie-Unternehmen dominiert. "Da muss die Politik aufpassen, dass sie nicht die Kontrolle verliert", warnt Kamella.
Auch Dieter Brückner, Vorsitzender der Bundesdirektorenkonferenz, sieht mit Blick auf das Netzwerk klare Anhaltspunkte für eine Verschleierung kommerzieller Interessen. "Das ist eine absolute Grauzone", sagt der Schulleiter aus Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). Grundsätzlich hat Brückner nichts gegen die Zusammenarbeit von Unternehmen und Schulen, doch das müsse mit "offenem Visier" passieren.
Keine Transparenz bei den Finanzen
Der Konzern selbst teilt schriftlich mit: Man fördere das Netzwerk, weil man das Ziel "Pädagogik vor Technik" unterstütze. Smart steuere dabei "Erfahrungen und Expertise aus mehr als 30 Jahren Unternehmenshistorie" bei, habe aber keinen Einfluss auf die Veröffentlichung der Inhalte. Dies sei ein "gängiges und akzeptiertes Modell", sich als Unternehmen zu engagieren. Die Frage, wie viel Geld der Konzern genau in das Netzwerk steckt, bleibt unbeantwortet. Auf der Website sind lediglich vier sogenannte Förderpartner angegeben - darunter Smart.
Milliarden für die Digitalisierung an Schulen
Zurück nach Unterfranken: Derzeit ist das Netzwerk im Freistaat unterwegs und bietet insgesamt 20 Workshops an. Der Titel der Veranstaltungsreihe: „Wie profitieren Bayerns Schulen vom Digitalpakt?" Eingeladen werden genau die Personen, die am Ende entscheiden, welche Technik angeschafft wird: Schulleiter, Lehrer, IT-Betreuer, Verwaltungsmitarbeiter und Bürgermeister.
Es gehe darum zu informieren und den Austausch zwischen den Teilnehmern zu ermöglichen, teilt das Netzwerk mit. Es handele sich nicht um eine Verkaufsveranstaltung. Doch wieder tritt Smart auffällig oft in Erscheinung - auch beim Workshop in Würzburg.
Dort stellte der Konzern drei seiner Whiteboard-Modelle zur Verfügung und an die Teilnehmer wurde eine Unternehmens-Broschüre verteilt. Die drei Referenten haben nachweislich enge - zum Teil finanzielle - Verbindungen zu dem kanadischen Konzern. Neben Netzwerk-Sprecherin Henkelmann waren ein selbstständiger Medienpädagoge, der zeitgleich auf Honorarbasis für Smart arbeitet, sowie ein Lehrer aus Frankfurt, an dessen Schule der Konzern eine Art Musterklassenzimmer einrichtete, vor Ort. Das Problem: Darauf wurde offenbar nicht explizit hingewiesen. So berichten es zwei Teilnehmer.
Martin Heilig, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Unterfranken, spricht von einem "Musterbeispiel für Lobbyarbeit". Smart Technologies verstecke sich hinter dem scheinbar neutralen Fortbildungsangebot. "Das ist absolut unzulässig", sagt Heilig, der im kommenden Jahr für die Würzburger Grünen als Oberbürgermeister kandidiert. Es könne nicht sein, dass ein Technologie-Konzern staatliche Hoheitsaufgaben übernehme. Seine Kritik richtet sich auch an das zuständige Ministerium. Durch die mangelnde Unterstützung sei ein Vakuum entstanden, das Technologie-Konzerne für ihre eigenen Interessen nutzen.
Ungestörter Lobbyismus
In München sieht man das anders: Es gebe vielfältige staatliche Angebote, teilt das Kultusministerium mit. Daher halte man auch eine Teilnahme an den Workshops des Netzwerks für nicht erforderlich. Das Wort "Lobbyismus" fällt nicht. Stattdessen erklärt ein Sprecher: Grundsätzlich gebe es staatliche Berater, die derartige Angebote bewerten und gegebenenfalls die Schulen sensibilisieren. Man erwarte, dass kommerzielle Anbieter transparent informieren. Welche Kontakte es zwischen Schulen und privaten Unternehmen, Stiftungen und Verbänden gibt, weiß das Ministerium aber nicht.
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