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Psychotherapie: Wie psychisch Kranke zermürbt werden

Seit ihrer Jugend war Anna immer wieder in Therapie. Sie leidet unter Depressionen, einer Essstörung, auch eine posttraumatische Belastungsstörung wurde diagnostiziert. Ihre Mutter habe ihr Gewalt angetan, so schildert es Anna. Körperlich, psychisch - da war sie noch ein Kind. Anna heißt eigentlich anders, ihren echten Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Auch das Videogespräch kostet sie Überwindung. "Die ganze Sache macht mir Angst", sagt die 25-Jährige. "Ich fühle mich unter Druck gesetzt. Und ich bin wütend auf meine Krankenkasse." Hinter Anna liegt die lange Suche nach einem Therapieplatz. Anfang dieses Jahres ist sie aus einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft ausgezogen und lebt nun allein. Doch die Corona-Krise wurde zu einer weiteren psychischen Herausforderung. Isolation und Einsamkeit verstärkten ihre Symptome.

warteten Patienten 2020 im Durchschnitt auf einen Therapieplatz, fünf Wochen mehr als 2019.

Es gibt viele Menschen in Deutschland, die nach Monaten im Ausnahmezustand psychologische Hilfe benötigen - und keine Hilfe finden. Psychotherapeuten berichten von einer steigenden Nachfrage nach Therapieplätzen. Auch die Wartezeiten sind länger geworden. Das zeigt zumindest eine nicht repräsentative Umfrage des Verbandes für psychologische Psychotherapeuten unter seinen Mitgliedern: Während deren Patientinnen im Jahr vor der Pandemie durchschnittlich 17 Wochen auf einen Therapieplatz warten mussten, waren es im Corona-Jahr 2020 im Mittel 22 Wochen. "Das Versorgungssystem war dem Bedarf an Psychotherapie schon vor der Pandemie nicht gewachsen", sagt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK): "Nun steigt der Bedarf noch zusätzlich."

Auch Julia kennt die Strapazen, die in Deutschland mit einer Therapeutensuche verbunden sind. Die 34-Jährige wurde Opfer einer Straftat und leidet seitdem unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. "Ich habe bei mindestens 50 Kassentherapeuten angerufen. Entweder gab es keinen Platz, oder es hat zwischenmenschlich nicht gepasst", sagt Julia; auch sie will ihren Namen nicht öffentlich machen. Die Stationen ihrer erfolglosen Suche nach einem Therapieplatz dokumentiert sie in einer Tabelle, einem Beweisstück gegenüber den Krankenkassen.

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