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Ordentlich Kohle machen

Kohle aus Pflanzenresten – wofür die Natur Millionen von Jahren benötigt, das erledigt eine Anlage in Karlsruhe quasi im Nu. Und zwar mithilfe der hydrothermalen Carbonisierung (HTC). Der Schweizer Konzern AVA-CO2 mit Sitz in Zug hat das eigentlich längst bekannte Verfahren nach dessen Wiederentdeckung verbessert und zur Industriereife gebracht.

 

Von Mirko Besch (Foto: www.fredmcfar.com)


Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts hatte der deutsche Chemiker und spätere Nobelpreisträger Friedrich Bergius den geologischen Vorgang der Kohlebildung aus Biomasse im Labor untersucht und das Verfahren 1913 ausführlich beschrieben. Da damals jedoch andere Energieträger ausreichend und günstig zur Verfügung standen, geriet die hydrothermale Carbonisierung in Vergessenheit. Erst knapp 100 Jahre später wurde sie 2006 von Markus Antonietti, Professor an der Universität Potsdam und Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, wiederentdeckt.

„Das Prinzip ist das eines Dampfkochtopfs – nur mit erhöhter Temperatur von 180 bis 220 Grad Celsius und 25 Bar“, erklärt Stepan Kusche. Er ist seit Juli 2013 Geschäftsführer der Unternehmenstochter AVA-CO2 Forschung GmbH in Karlsruhe. In der dortigen HTC-Anlage, die im Oktober 2010 als weltweit erste industrielle Demonstrationsanlage in Betrieb ging, werden nasse oder angefeuchtete biogene Reststoffe wie zum Beispiel grasartige Materialien, Abfälle der fruchtverarbeitenden Industrie, Getreidekornhülsen, Kaffeesatz oder Pferdemist karbonisiert und in Kohle umgewandelt. Dabei wird die Umwelt nicht belastet, denn es entstehen – im Gegensatz zu anderen Biomasse-Konversionstechniken wie der alkoholischen Gärung oder der Holzverkohlung – keine CO2-Emissionen. Der in der Biomasse gebundene Kohlenstoff wird bei der HTC annähernd zu 100 Prozent in Kohle umgewandelt. „In der nassen Biomasse gibt es lange und verzweigte Kohlenwasserstoffketten. Diese werden zerlegt und anschließend weitgehend zerstört. Nach dieser Hydrolyse beginnt der Prozess der Karbonisierung und anschließend der Polymerisation. Das heißt, wir zerstören eine Struktur und setzen sie nach unseren Vorstellungen neu zusammen. Das machen wir über die Prozessparameter“, sagt der 48-Jährige. Die Karbonisierungszeit auf dem Weg zum gewünschten Endprodukt, der HTC-Kohle, liege dabei zwischen drei und fünf Stunden. „Das hängt von der Biomasse ab.“

Durch den Prozess entsteht zunächst ein sogenanntes Biokohle-Slurry,­ eine Art Schlamm, der anschließend abgekühlt und dann über eine Membrankammerfilterpresse gefahren wird. Übrig bleiben schließlich die Biokohle sowie Prozesswasser. Während das Wasser aufbereitet und wieder im Prozess eingesetzt werden kann, wird die in der Karlsruher Anlage hergestellte Kohle zu unterschiedlichen Brennversuchen bei Zement- und Stahlwerken oder in Monoverbrennungsanlagen verwendet. Denn rechtlich gesehen ist die HTC-Kohle trotz der zahlreichen Vorteile derzeit noch als Abfallkohle eingestuft und nicht als Regelbrennstoff anerkannt. Sie darf somit nicht in Kleinfeuerungsanlagen in Privathaushalten eingesetzt werden. Aber das Interesse der Industrie, insbesondere von Zementwerken, an der CO2-neutralen Biokohle ist sehr groß – und dort ist ihr Einsatz möglich. „Die HTC-Kohle weist einen hohen Heizwert von 20 bis 30 Megajoule pro Kilogramm auf – höher als fossile Braunkohle – und verfügt über eine sehr gute Kohlenstoffeffizienz, die bei über 93 Prozent liegt. Außerdem verbrennt sie gut und verschlackt dabei nicht“, erläutert Stepan Kusche.

Für den Wissenschaftler und Geschäftsführer gibt es aber durchaus noch Möglichkeiten der Effizienzsteigerung, die er mit seinem neun Mitarbeiter zählenden Team versucht, in die Tat umzusetzen. „Die Wärme, die bei dem Prozess entsteht, wollen wir künftig wiedergewinnen und nutzen“, nennt er ein Beispiel. Außerdem beteilige sich das Karlsruher Unternehmen an internationalen Forschungsprojekten und setze selbst Forschungsreihen auf. Und nicht zuletzt plant AVA-CO2 derzeit in Süddeutschland die erste HTC-Großanlage, die 2015 in Betrieb gehen und künftig 80.000 Tonnen Biomasse pro Jahr verarbeiten  soll. Zum Vergleich: Die Anlage in Karlsruhe ist für jährlich 8.400 Tonnen ausgelegt.

 

Zur Person

Stepan Kusche studierte an der TU Clausthal Chemie-Ingenieurwesen, bildete sich anschließend weiter zum Qualitätsmanagementbeauftragten und Umweltbetriebsprüfer, ehe er in die Industrie einstieg. Dort baute Kusche als Projektleiter das Seaborne-Verfahren zur Verwertung von Klärschlämmen auf. Danach folgten verschiedene Stationen als Projektleiter im weltweiten Anlagenbau sowie als technischer Leiter und Prokurist in der industriellen Prozesswasseraufbereitung.