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Was Pflanzen mit Kolonialismus zu tun haben


Botanische Gärten bieten Menschen Erholungsräume mitten in der Stadt. In Bonn will man noch ein bisschen mehr: Über Kolonialismus aufklären. Wie kann das gelingen?

Von Mirjam Ratmann


Der Gestank von muffigen Schuhen liegt in der Luft. Die Kiwis, die an einem hölzernen Gestänge nach unten ranken, sind bald reif. Cornelia Löhne greift nach einer runden, gelblich-orangenen Frucht: einer Pomeranze. Zwar hätten die Pflanzen heute nichts mehr direkt mit dem Kolonialismus zu tun, sagt sie, während sie die Frucht nach oben hält. Doch die Pomeranze, die ursprünglich aus Asien kam, wurde als erste exotische Pflanze nach Europa gebracht und galt fortan als Statussymbol des Adels. " Diese Pflanzen wurden als Machtdemonstration zur Schau gestellt", sagt Löhne. Noch bedeutender war nur die Ananas, für die die Holländer das Gewächshaus erfanden, um die Frucht in Europa ziehen zu können.


Seit 2016 verantwortet die promovierte Botanikerin die Pflanzensammlung der botanischen Gärten in Bonn - rund 10.000 Pflanzenarten gibt es an den zwei Standorten, im Nutzpflanzengarten und dem Hauptgarten am Poppelsdorfer Schloss samt Gewächshaus zu entdecken. Ihre Aufgabe als Kustodin sieht sie darin diese Sammlung zu überblicken, sich mit anderen botanischen Gärten auszutauschen, Menschen für Pflanzen zu begeistern und Bildungsarbeit zu leisten. Darunter fällt auch, über Kolonialismus aufzuklären. Ein einzigartiges Angebot in Nordrhein-Westfalen.


Ihre Ursprünge haben die botanischen Gärten im 19. Jahrhundert. Waren sie einst rein wissenschaftliche Orte, um Arzneipflanzen und Heilkräuter zu erforschen, wurden sie bald zu einem Erholungsort. Heute sitzen hier Menschen auf Holzbänken, ihr Mittagessen in der Hand. Andere streifen durch die Gewächshäuser oder den Schlossgarten. Dass sie hier nicht nur heimischen Nutzpflanzen wie Tomaten oder Steckrüben sehen, sondern ebenso tropische Pflanzen wie die Ananas oder Kiwis liegt am Kolonialismus.


Während der Kolonialzeit wurden Forscher von der „Botanischen Zentralstelle für die deutschen Kolonien" in Berlin entsandt, um in Südamerika, Asien und Afrika nach exotischen Pflanzen zu suchen. Pflanzen wie Kautschuk, Kamille oder Agave wurden in europäische Kolonien gebracht, um dort Plantagenwirtschaften hochzuziehen - manche bestehen bis heute. Gleichzeitig schädigte es bisweilen die wirtschaftliche Grundlage der Ursprungsländer. Ob die Forscher diese Pflanzen auf legalem Wege mitbrachten oder raubten - das wird seit Jahren diskutiert.


Bei Löhne kam diese Diskussion vor etwa zwei Jahren an. Damals wandte sich die Gruppe „Bonn postkolonial" an sie. Die Studierenden wiesen die Botanikerin auf koloniale Bezüge der botanischen Gärten hin. Löhne habe zunächst abwehrend reagiert, sagt sie. " Dann habe ich mich aber näher damit beschäftigt und realisiert, dass selbst unsere Wappenpflanze, die Titanwurz, koloniale Bezüge aufweist." Die größte Blume der Welt, die einmal jährlich zahlreiche Besucherinnen und Besucher anlockt, stammt ursprünglich aus Indonesien. Der Botaniker Max Koernicke, der die Pflanze nach Bonn holte, konnte nur durch ein Stipendium des Reichskolonialamtes dorthin reisen. Er war glühender Verfechter des Kolonialismus.

Löhne glaubt, dass es wichtiger sei sich für Pflanzen zu begeistern, als sich auf die Vergangenheit zu fokussieren. 


Trotzdem hat sie, als einzige Kustodin in NRW, an dem Positionspapier des Verbandes Botanischer Gärten zum kolonialen Erbe der Gärten mitgearbeitet. In dem Papier verpflichten sich die sieben beteiligten Gärten dazu, über koloniale Bezüge aufzuklären und den Austausch mit Gärten im Globalen Süden zu stärken. Heute würde man Pflanzen nur noch sammeln, wenn es die Genehmigungen aus den Ursprungsländern dafür gibt, sagt Löhne. " Es ist wichtig, die Rechte der Ursprungsländer zu wahren, sodass deren genetische Ressourcen intakt bleiben. Darin haben botanische Gärten eine Vorreiterrolle eingenommen."


Eine erste Folge des Papiers: Thematische Führungen zum Kolonialismus. Bei der ersten waren gleich 30 Menschen dabei, deutlich mehr als erwartet. Weitere Führungen zu diesem Thema sollen deshalb folgen. Konkrete Termine gibt es noch nicht. Außerdem hat sich Löhne vorgenommen, die Schilder, die neben Pflanzen stehen, zu überarbeiten und koloniale Bezüge aufgreifen. So zum Beispiel bei der Wüstenpflanze Welwitschia mit ihren zwei langen grünen Blättern, die nach dem österreichischen Botaniker Friedrich Welwitsch benannt ist.


In Namibia oder Angola ist sie unter dem Namen "n'tumbo" oder "onyanga" bekannt. Indigene Namen so wie das indigene Wissen gingen durch den Kolonialismus verloren. Einerseits sei es wichtig auf die indigenen Namen hinzuweisen, sagt Löhne. " Es braucht aber eindeutige biologische Namen, damit wir die Pflanzen katalogisieren können."

Dass Pflanzen ein geeignetes Hilfsmittel sind, um gesellschaftliche Aufklärungsarbeit zu leisten, davon ist Löhne überzeugt. Denn gerade mit botanischen Gärten würden Menschen häufig positive Gefühle verbinden, sagt sie. "Wir versuchen Menschen abzuholen, indem wir ihnen einen schönen Ort schaffen und nahbare Pflanzen präsentieren, wie zum Beispiel den Kakaobaum. Und im zweiten Schritt können wir unterschwellig ernste Themen - wie Kolonialismus - einbringen."

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