Nach einem Clubwochenende müssen in Hannover 3.000 Menschen in Quarantäne, 140 sind mit Corona infiziert. Wie konnte das passieren? Eine Rekonstruktion
"Es war ein milder Sommerabend, wir hatten Lust zu tanzen und waren gut drauf. Endlich wieder in den Club gehen, den Alltag vergessen und meinen Bachelorabschluss feiern. Ich habe mich sicher gefühlt - das war im Nachhinein ein Fehler." (Thomas Becker, 21)
In drei Wochen zwischen Ende Juni und Mitte Juli war das Feiern in den Clubs in fast wieder so wie vor der Pandemie: Weil die Inzidenzen niedrig waren, wurde die Maskenpflicht für Innenräume aufgehoben. Wenig später vermeldete das Gesundheitsamt: 140 Infizierte und rund 3.000 Menschen in Quarantäne aufgrund eines Partywochenendes. Wie konnte das passieren - trotz verpflichtender Tests am Einlass und steigender Impfquote? Und wie geht die Clubszene damit um?
Wir haben mit sieben Menschen aus Hannover gesprochen. Ein Clubbesucher bekam nach dem Feiern hohes Fieber, eine andere Gästin musste in Quarantäne. Die dritte verbreitete möglicherweise das Virus im Club weiter, ohne es zu wissen. Ein DJ erzählt, wie er einen Rave ohne Masken veranstaltete und zwei Clubbetreiber, warum sie durch den Ausbruch viel Stammpublikum verloren. Außerdem haben wir das Gesundheitsamt befragt: Dessen Mitarbeitende mussten nach den Partys Sonderschichten einlegen.
StillstandSeit der Pandemie ist es um den Raschplatz und das Steintor in Hannover seltsam ruhig. Normalerweise feiern hier am Wochenende zum Teil Tausende Menschen. Zum Beispiel in der Dax Bierbörse, in der sich die Getränkepreise ständig ändern oder im Technoclub Tiefgang. In den letzten Monaten war das anders, seit Mitte April 2020 waren die Innenräume vieler Clubs zu. Erst im Juni durften sie wieder öffnen - mit Maskenpflicht und begrenzter Auslastung. Für Clubs, DJs und Partygänger ein Fiasko.
Daniel Rennert, DJ, legt in verschiedenen Clubs auf Mir gefällt es am besten, wenn das ganze Publikum restlos ausrastet. Wegen der Pandemie durfte man in Hannover seit über einem Jahr nicht tanzen, das war eine Katastrophe. Der Partyszene ging es schlecht. Es gab viele illegale Raves. Da wollte ich nicht auflegen. Stattdessen habe ich Streams gemacht. Wir haben über 2.000 Leute erreicht, Geld habe ich damit aber nicht verdient. Ich musste mir noch einen anderen Job suchen. Zurzeit bin ich Gabelstaplerfahrer.
Nico Aurer, betreibt den Technoclub Tiefgang Seit anderthalb Jahren lebe ich am Existenzminimum. Zuletzt waren wir drei Monatsmieten im Rückstand. Als die Clubs schließen mussten, sind wir kreativ geworden und haben den Club zu einer Bar umgestaltet, sodass wir weiter offen bleiben konnten. Der Aufwand ist aber insgesamt doppelt so groß: Man braucht mehr Personal, da sich immer jemand um die Testung kümmern und darauf achten muss, dass alle Hygienemaßnahmen eingehalten werden. Zwischenzeitlich wollte die Polizei den Laden dichtmachen, weil die Leute draußen zu nah beieinander standen.
Theo Vagt, Besitzer Dax Bierbörse, seit 21 Jahren Clubbetreiber Seit März 2020 habe ich sechs Millionen Euro weniger Umsatz gemacht. Inzwischen haben fast alle Mitarbeitenden einen Nebenjob. Aber ich bin froh, dass ich die Leute noch habe. Es bewirbt sich niemand mehr. Alle haben jetzt Angst, in die Eventindustrie oder in die Gastro zu gehen, weil Corona gezeigt hat, wie unsicher die Branche von heute auf morgen sein kann.
Birte Weiß, 22, arbeitet als Automobilkauffrau Mir hat das Tanzen während des Lockdowns sehr gefehlt. Vor allem, wenn ich was getrunken hatte, habe ich immer Lust bekommen, mal wieder wegzugehen. Einmal war ich im November im Club: Man musste Maske tragen und durfte nicht tanzen. Aber das war für mich kein richtiges Feiern.
Thomas Becker, 21, gerade fertig mit dem Wirtschaftsinformatikstudium Kurz vor Corona habe ich das Feiern für mich entdeckt. Anfang 2020 - das war die beste Zeit meines Studiums bisher. Ich war mit meinen Freunden fast jedes Wochenende in Clubs unterwegs. Seit drei Semestern sehe ich meine Kommilitoninnen und Kommilitonen meistens nur im Videocall. In einem Club lernt man andere ungehemmter kennen als vor dem Computer.