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Zwischen Meinungsfreiheit und Manipulation (Salzburger Nachrichten)

Im Hörsaal wird Wissen vermittelt – doch ist es durch Ideologie gefärbt? Quelle: https://www.sn.at/panorama/wissen/zwischen-meinungsfreiheit-und-manipulation-1008820 © Salzburger Nachrichten VerlagsgesmbH & Co KG 2020

Universitätsprofessoren vermitteln im Hörsaal in erster Linie Fakten. Zu jeder Portion Wissen kommen aber auch Meinungen und Werte als Beilage dazu. Kann man überhaupt noch von objektiver Wissensvermittlung sprechen?


Dieser Beitrag wurde 2016 im Rahmen einer Lehrredaktion an der Universität Salzburg in Kooperation mit den "Salzburger Nachrichten" erstellt.


Nun sitzen sie hier in den Reihen, die Studienanfänger, direkt vom Klassenzimmer hierher in den Hörsaal geschleudert. Dies ist der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Die Erwartung steht ihnen ins Gesicht geschrieben: Jetzt wird alles anders, alles besser. Links und rechts die noch fremden Gesichter der Gleichgesinnten. Und vorn am Pult, da steht einer, der weiß, wovon er redet. Einer, der sagt, wie der Hase läuft. Die Erstsemestrigen sitzen da und klappen ihre Köpfe auf. Im Laufe der kommenden Jahre lassen sie die Köpfe befüllen, um sich anschließend mit vollbepackten Gehirnen in die Arbeitswelt zu stürzen. Was konkret dann in diesen Köpfen herumschwirrt, bestimmen vor allem die Universitätsprofessoren. Also auch der eine da vorn am Pult.

Bodybuilding der Fähigkeiten

An Universitäten werden Wissenschaften gelehrt. In erster Linie kommt also Wissen in die Köpfe. Doch dieses Wissen kommt nicht auf einem leeren Tablett daher - ganz im Gegenteil: Fähigkeiten, Ansichtsweisen und Meinungen sind mit von der Partie. Genau an diesem Punkt stellt man sich die Frage: Werden da auch Werte in die Köpfe gepflanzt? Maximilian Fochler vom Institut für Wissenschaftsforschung an der Uni Wien ist sich sicher, dass im Studium auch "ein spezifisches wissenschaftliches Weltbild mitvermittelt wird". Je nach Studienort und -richtung könne dieses Weltbild unterschiedlich ausfallen. 

Universitätsprofessor Stephan Kirste von der Uni Salzburg geht noch einen Schritt weiter - Fakten findet er am unwichtigsten. Zentral sei die Entwicklung von Fähigkeiten und dafür bräuchte man nun einmal Material. "Dieses Material, das wir den Studenten mitgeben, ist wie ein Steinblock für den Künstler und jeder muss sich selbst was herausmeißeln. Das ist das Bodybuilding der Fähigkeiten", sagt Kirste. Dass Meinung dabei miteinfließt, sei ganz normal und auch notwendig. Je mehr Meinungen umso besser. Man solle nicht eine einzige Ideologie vermitteln, sondern die Fähigkeit, Ideologien zu hinterfragen. Dann sei laut Kirste auch objektive Wissensvermittlung möglich: "Wenn wir im Hörsaal kontroverse Meinungen diskutieren, können die Studenten ein kritisches Bewusstsein entwickeln und dann ist Objektivität durchaus möglich". Soweit also der Idealfall. Ob das in der Realität in den Hörsälen auch immer so eingehalten wird? "Ich fürchte nein", meint Stephan Kirste.

Doch selbst wenn dies im Unterricht wie am Schnürchen läuft, so tritt in vielen Fällen ein Kuriosum auf: Studenten wollen Meinung hören. "Was halten Sie denn nun davon?", fragte eine Studentin einst Professor Kirste - und erstaunte ihn damit. Auch unter Studierenden besteht offenbar der Wunsch nach einer klaren Meinungsäußerung. Im Regelfall übernimmt der Professor eine gewisse Vorbildfunktion für Studenten ein. Diese streben immerhin danach, einmal all das zu wissen und zu können, was der Professor weiß und kann. Wird nun zu einem Thema eine klare Wertung abgegeben, kann dies manipulativ aber eben auch hilfreich sein. "Man gibt den Studenten damit auch eine Orientierungshilfe", sagt Kirste. Bei Prüfungen kann dies jedoch schnell nach hinten losgehen: "Viele Studenten schreiben das hin, was ich selbst über das Thema denke, und sie glauben, damit meine Prüfungen bestehen zu können. Können sie aber nicht", erzählt der Professor. Eine Meinung auswendig zu lernen, sei der Weg des geringeren Widerstands. Sich ein eigenes Bild zu machen, erfordere viel mehr Arbeit.

Werbung in eigener Sache?

Auch mit der verwendeten Literatur können Universitätsprofessoren eine Orientierung bieten. Dass sie oft die eigens publizierten Bücher als Pflichtlektüre angeben, ist längst kein Geheimnis mehr. Dies wird meist als Werbung in eigener Sache belächelt und auch gar nicht weiter hinterfragt. Solange dieses Verhalten nicht auf Kosten der Vielfalt geht, sehen Experten auch keinen Grund zur Sorge: "Wir haben in vielen Fächern zu wenig gute Lehrbücher. Wenn man also eines schreibt, warum sollte man es nicht verwenden und in der Diskussion mit Studierenden weiterentwickeln?", gibt Maximilian Fochler zu bedenken. Auch Stephan Kirste sieht das entspannt: "Man schreibt solche Bücher mit Herzblut. Ich bin ja auch überzeugt, dass meine Werke gut sind, sonst hätte ich sie nicht publiziert. Wenn ich sie nun empfehle, dann ist das nur ehrlich. Die eigene Meinung immer zu verstecken, ist unehrlich."

Problematisch wird es dann, wenn sich damit unter dem Deckmantel der Wissensvermittlung Ideologie versteckt und die Freiheit der Wissenschaft missbraucht wird. Im Mai flog aus diesem Grund ein Dozent von gleich drei Berliner Hochschulen. Wolfgang Hebold war für seine diskriminierenden und islamfeindlichen Äußerungen bekannt. Dass er die Studenten ausrechnen ließ, welcher statistischen Zusammenhang zwischen der Anzahl von Terroranschlägen und dem Anteil der Muslime in der Bevölkerung bestehe, war nicht sein einziger Fehltritt. An dieser Stelle sind sich Experten einig: Das geht so nicht. "Wenn Professoren die Autorität, die sie gegenüber Studenten haben, ausnutzen, um die radikalen Ansichten zu verbreiten, dann ist eine Grenze überschritten", sagt Stephan Kirste. In einem solchen Fall werde die Freiheit der Wissenschaft missbraucht. Einerseits befänden wir uns in Österreich in der glücklichen Lage der freien Meinungsäußerung. Andererseits müsse man wissen, wo die Grenze zu ziehen sei. "Das ist nicht immer so leicht", gibt Kirste zu.

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