Im Jahr 2021 erreichte die digitale Werbung einen Anteil von 64.4 Prozent am gesamten Werbeumsatz. Das ist die wichtigste Kennzahl des Trendberichts der Group M. Pandemie und Lockdown haben die Digitalisierung stark beschleunigt und 2021 das Wachstum des Marktes (30.5 Prozent im Vergleich zu 2020) angetrieben. Auch im nächsten Jahr wird der gesamte Werbemarkt noch um 10 Prozent wachsen, bevor er sich dann in den folgenden Jahren bei einer jährlichen Wachstumsrate von fünf Prozent einpendelt, so die Vorhersage der Mediaplaner.
55 Prozent der deutschen Marketingentscheider wollen ihre Budgets für 2022 erhöhen, sagt der Jahresbericht von Integral Ad Science (IAS). Die Ausgaben an Agenturen erhöhen wollen „nur" 50 Prozent, so lautet das Ergebnis einer Umfrage von DCMN. Folglich denken einige Marketer darüber nach, in Zukunft mehr selbst zu machen.
„Die Budgets werden auch in das Experimentieren mit neuen Formaten und Werbekanälen fließen. Abgesehen von der digitalen Werbung sind die drei Kanäle, auf die sich deutsche Marken konzentrieren und in die sie am meisten investieren wollen: mobile Werbung, Out-of-Home und Podcasts", sagt Matthias Riedl, CEO und Mitbegründer von DCMN.
Jürgen Galler, Marketingurgestein und CEO von 1plusX, erkennt drei wichtige Trends für 2022: „Man wird sich auf die Frage konzentrieren, wie man an der Schnittstelle zwischen Datenschutz und effektiver Zielgruppenansprache vermarkten kann. In der Zwischenzeit gehen immer mehr Medienunternehmen Allianzen in Form von Fusionen und technologischen Partnerschaften ein. Und schließlich werden Marken versuchen, die Chancen zu nutzen, die sich ihnen durch schnell wachsende Kanäle wie Connected TV (CTV) und das mit Spannung erwartete Metaversum bieten."
Fast alle befragten Marketing-Experten sehen 2022 als das Jahr der First Party Daten. Sowohl bei Publishern als auch bei Advertisern spielt der Aufbau eigener, besser Datenpools eine große Rolle. Michael Diestelberg, VP Product & Marketing bei Mapp sagt: „Jedes werbetreibende Unternehmen braucht eine valide First-Party-Daten-Strategie und entsprechende datenschutzkonforme Tools. 2022 wird das Jahr der First-Party-Daten."
Dabei geht es aber nicht mehr nur um den Erhalt der schieren Reichweite. Engagement heißt die neue, qualitative Metrik, und die gewinnt an Bedeutung, meint Nicolas Poppitz, Managing Director Deutschland bei Teads. „Während der Großteil der Branche noch diskutiert und nach einem geeigneten Weg sucht, kann man schon jetzt Audiences komplett ohne Cookies ansprechen, denn Aufmerksamkeit ist der neue qualitative Media-KPI."
Dem pflichtet Philipp Dommers bei, der Geschäftsführer von Welect sagt:„Das große Thema 'Werbewirkung jenseits vom Cookie-Tracking', wird wie auch 2021 das kommende Jahr bestimmen."
Aber das Thema 1st-Party-Daten bringt eine wichtige Herausforderung mit sich, und die steht für Achim Schlosser, den CTO der European netID Foundation im Mittelpunkt: „Technologische Ansätze für 1st Party Daten basierte Modelle werden ein Kernthema sein: etwa Data Clean Rooms und Marktplätze - Stichwort: Data Use without Sharing". Und da ist Schlosser einer Meinung mit Siamac Rhanavard, der mit seiner Agentur Echte Liebe viele kleinere und mittlere Kunden betreut: „Nachhaltige Datenerhebung lohnt sich! Dabei darf jedoch der hohe Anspruch an Klarheit und Transparenz gegenüber den Nutzern bzw. Kunden nicht vernachlässigt werden."
Eines der Themen, auf dass alle Marketer dieser Tage schauen, ist der digitale Großbildschirm. Die D-Force hat damit begonnen, durch Spot-Replacement Eigenwerbung in den Streams von RTL und P7S1 durch selbst verkaufte digitale Werbung zu ersetzen. Unabhängige Drittanbieter wie Zattoo oder Waipu TV erweitern die Reichweite. Und auch der SmartTV-Platzhirsch Samsung bietet immer mehr Werbeformen für zielgerichtet ausgespielte Werbung auf dem Fernseher an.
Für Ilhan Zengin, den CEO und Gründer der ShowHeroes Group, ist Brand Safety hier ein wichtiger Plattform-Vorteil: „Der Bewegtbildmarkt boomt seit Jahren: Zeit, ihn auf ein neues Level - und auf neue Geräte - zu heben. Brand safe, programmatisch und kontextuell: So wird Video-Advertising künftig auch auf dem Big Screen aussehen."
Allerdings sieht Zengin auch, dass der gesamte digitale Markt für die Marketer und Mediaplaner inzwischen ziemlich komplex ist. Er erwartet eine Bereinigung: „Wirtschaftlich betrachtet gibt es vor allem einen Trend: Konsolidierung. Zusammenschlüsse, Übernahmen oder Zukäufe. Gerade im Digitalbusiness müssen Unternehmen wachsen und sich positionieren."
Tanno Krauß, der Head of Demand Sales DACH bei FreeWheel, lässt Zahlen sprechen: „Werbetreibende folgen den Zuschauern: Fast drei Viertel (71 Prozent) der deutschen Marketer werden ihre Ausgaben für Advanced-TV-Plattformen, einschließlich CTV, in den nächsten 12 Monaten erhöhen." Das zumindest zeigt eine aktuelle FreeWheel-Umfrage.
Was bislang allerdings noch in den Kinderschuhen steckt ist die Beantwortung der Frage nach den richtigen Creatives für den digitalen Großbildschirm. Wenn es nach Martin Schottstädt geht, dem CMO des Social Media Powerhouses Happygang, dann sollte man von Social Media lernen und nicht nur klassische TV-Spots portieren. „Wer im Jahr 2022 mit seiner Botschaft zu den User:innen durchdringen will, sollte daher auf Kurzvideos setzen, deren Content auf den Lebensalltag und die Bedürfnisse seiner Zielgruppe abgestimmt ist. Wichtiger denn je ist, das Herstellen eines Wir-Gefühls. Bewegtbild-Content muss es möglich machen, sich mit diesem zu identifizieren und in die eigene Gefühlswelt eintauchen zu können."
Auch Kathleen Jaedtke, Head of Marketing DACH bei HubSpot, sieht CTV als Teil der gesamten Videostrategie: „Unternehmen werden dazu übergehen, Strategien für Repurposing zu entwickeln, also dem gezielten Wiederverwerten von bestehenden, hochwertigen Inhalten und die Umwandlung in neue Formate. Content-Teams werden stärker Inhalte aus Audio- und Bewegtbildformaten wie Webinaren, Round-Table-Gesprächen, Podcasts, Konferenzen recyclen. So erhalten die Inhalte ein zweites, drittes, viertes Leben und zahlen erneut auf die Positionierung und die Reichweite des Unternehmens ein."
Digital out of Home
Das Potential ist da, aber die Nachfrage lässt noch auf sich warten. Die Rede ist von der Digitalisierung der Außenwerbung. Je mobiler die Menschen nach oder mit Corona werden, umso mehr Werbungtreibende werden vor allem das, was sie in anderen digitalen Werbeformen gelernt haben, auch auf „das letzte Massenmedium" ausweiten, wie Mr. Media Thomas Koch es nennt. Klassische Außenwerber müssen um- und dazulernen.
Carol Starr, VP Sales DACH bei Hivestack, analysiert: „Trotz der Einschränkungen bei der Mobilität hat der deutsche Markt in Bezug auf die Werbeausgaben sich als unglaublich widerstandsfähig erwiesen. DOOH konnte trotz der Pandemie einen erheblichen Zuwachs verzeichnen (Umsatz 2021: 643 Mio. US-Dollar). Deutschland stellt mittlerweile weltweit den viertgrößten Markt für OOH dar."
Für Starr wird das Wachstumspotential vor allem deshalb gehoben, weil die Einkaufswege etabliert und effizient sind. „Fortschritte im programmatischen DOOH haben es Werbetreibenden ermöglicht, flexible und agile Werbekampagnen durchzuführen. Der Kanal hat sich neben CTV zu einem der am schnellsten wachsenden Kanäle entwickelt und alle Zeichen deuten darauf hin dass dieser Trend auch in 2022 weiter Aufwind erhalten wird."
Und DOOH muss aus ihrer Sicht kein Solitär bleiben: „Im Zuge der weltweiten Einführung von 5G und einer verbesserten Konnektivität werden wir eine weitere Konvergenz dieser Kanäle erleben, da Werbetreibende synchronisierte, sequenzielle Kampagnen auf Indoor- und Outdoor-Bildschirmen zunehmend durchführen werden."
Wahrend CTV und DOOH eindeutige Trendthemen bei den meisten Marketern sind, ist die Resonanz in Sachen Audio eher gemischt. Kathleen Jaedtke, Head of Marketing DACH bei HubSpot, ist unzufrieden: „Ich finde die minimalen Fortschritte in der Sprachsuche und im Voice Commerce enttäuschend. Seit 2017/18 ist in dem Bereich leider nicht viel passiert."
Im Gegensatz dazu sieht Marianne Bullwinkel, die Geschäftsführerin vom Radiovermarkter RMS Grund, Grund zur Euphorie: „Voice ist das Trendthema 2022. Die Nutzung steigt rasant, Smart Speaker durchdringen zunehmend den Alltag."
Man bekommt beide Statements auf einen Nenner, wenn man die passive Nutzung der Smart Speaker als Unterhaltungsmedium gegen eine interaktive Nutzung abgrenzt. Tatsächlich ist es ruhig geworden um die „Interface-Leistung" von Alexa und Co. Die Nutzung verharrt auf einfachen Info-Abfragen („Alexa, wie hoch ist der Eifelturm?") - und eben Medienkonsum.
Das aber Audio als Medium gewaltiges Potential für zielgerichtete Werbeausspielung hat, die vor allem viel Aufmerksamkeit genießt, da kann auch Jaedtke mitgehen:„Podcasts werden auch 2022 zu den Marketingtrends gehören, denn die Nutzung steigt seit drei Jahren stetig an. Podcasting birgt großes Potenzial für Unternehmen, weil es auf viele Ziele einzahlen kann, wie Branding, Zielgruppenaufbau, Kundenbindung oder Reputation. Gleichzeitig können sich Unternehmen als Thoughtleader in einem bestimmten Bereich positionieren."
Eine weitere Ausdifferenzierung des Marktes ist vorhersehbar, meint die Hubspot-Managerin: „Zu den Podcast-Trends 2022 zählen kürzere Sendeformate von bis zu zehn Minuten. Unternehmen werden damit vermehrt experimentieren. Das ist auch sinnvoll, denn laut neuesten Studien zur Podcast-Hörerschaft wünscht sich die Hälfte knackigen Audio-Content." Und Tina Jürgens, Geschäftsführerin zebra-audio.net, präzisiert: „In der Podcast-Branche gibt es zwei Trends, die für 2022 zentral sein werden. Zum einen ist das die Standardisierung von Werbeformen und Nutzungsmessungen, zum anderen die Diversifizierung der Inhalte."
Während CTV, DOOH und Podcasts die Medien sind, auf die die Marketer 2022 verstärkt schauen werden, so sehen einige Experten auch übergreifende Aufgaben auf die CMOs zukommen, etwa die Änderung der Arbeitsabläufe.
Milko Malev, Director Communications & Media bei der DMEXCO,erwartet, dass Marketingabteilungen noch deutlich agiler werden müssen: „Die Digitalbranche lebt von Hypes und Trends, auf die sie stetig reagieren muss. Für Marketer bedeutet das 2022 vor allem neue Aufgaben und Data Management - ein Dauertrend, der jedoch vieles mit sich zieht. Von First-Party-Data über datenbasiertes Storytelling bis hin zu Personalisierung entlang des gesamten Funnels: Unser Business lebt von Daten. Als Marketer müssen wir uns deshalb weiterentwickeln und unsere Rollen neu definieren. Beispielsweise mit No-Code-Anwendungen, die Software-Entwicklung ohne Developer-Kenntnisse ermöglichen. Kreativität und Development rücken somit näher zusammen, Produktideen und Reaktionen auf Kunden-Feedback können schneller umgesetzt werden."
Dabei helfen natürlich die Erfahrungem, die in der Pandemie gesammelt wurden. Claudia Projic, Geschäftsführerin der Kyto GmbH, sagt: „Im alltäglichen Umgang mit Softwarelösungen konnten viele Akteure die positiven Effekte digitaler Transformation erstmals selbst erfahren und analysieren. Mit dieser Grundlage können Unternehmer auf zukünftige Herausforderungen digital intuitiver, kreativer und selbstbewusster reagieren."
Apropos Storytelling. Miriam Rupp, die Gründerin und Geschäftsführerin der Agentur Mashup Communications, vermutet, dass Marketer im kommenden Jahr noch weiter über den Tellerrand schauen und sich mit anderen Marken kooperative Kampagnen ausdenken: „Lego bringt Star-Wars-Figuren heraus, Adidas und die Berliner Verkehrsbetriebe launchen einen Schuh, GoPro und RedBull promoten Extremsportler:innen. Brand-Partnerschaften sind ein unterhaltsamer Weg, die Zielgruppen und Reichweiten von zwei Marken zu kombinieren und damit zu vervielfachen."
Und natürlich stehen inhaltlich die Zeichen auf gelebten (und nicht nur gepredigten) Purpose: „In einer Purpose-getriebenen Welt braucht es ein neues Level an Zusammenhalt. Immer häufiger organisieren sich Firmen aus ein und derselben Branche, also auch Konkurrenten, um für eine gemeinsame Initiative einzustehen. Ob es sich um die größten deutschen digitalen Bildungsanbieter handelt, die pandemiebedingte Lernrückstände bekämpfen wollen, um die Impfkampagne, bei der 150 Brands ihren Markenclaim änderten, oder um Agenturen, die sich für eine bessere Arbeitswelt einsetzen - vereint Haltung zeigen, also kollaboratives Storydoing, wird die Grenzen zwischen Wettbewerbern und Verbündeten durchlässiger machen und für echten Impact sorgen können", glaubt Rupp.
Und da geht auch Eric Hinzpeter mit, Content-Marketing-Experte von Smarketer: „Als branchenübergreifender Trend hat sich dabei auch die Forderung vieler internationaler Kund:innen nach Diversity entwickelt. Auch immer mehr deutsche Konzerne setzen auf inklusive und korrekt gegenderte Werbung, ein speziell im deutschen Sprachraum auftretendes sprachliches Thema. Das gilt einerseits für die Kreation von Werbemitteln, andererseits aber auch für die Kommunikation in den sozialen Medien."
Insgesamt steht ein spannendes Marketingjahr 2022 ins Haus. Bemerkenswert ist, dass keiner der Befragten Augmented Reality und nur einer das Thema Metaverse als Trend für das kommende Jahr erwähnt. Aber Trends im Marketing zeichnen sich natürlich dadurch aus, dass sie sich auch sehr kurzfristig ändern können.
Das ist ja eines der wichtigsten Wesensmerkmale dieser dynamischen Branche.