Wenn der einzige Mitarbeiter plötzlich mit 63 in Rente geht, stellt das Unternehmen vor unerwartete kleine und große Probleme. Ein Optiker erzählt, was das für ihn und seine Firma bedeutet.
Matthias Eckert, 55, führt seit 1981 ein Optikgeschäft in Olpe, einer Kleinstadt im Sauerland. Sein einziger Mitarbeiter hat die „Rente mit 63″ in Anspruch genommen. Hier erzählt er von seinem neuen Leben als Einzelkämpfer.„Wir waren ein eingespieltes Team. Acht Jahre hat Jürgen Ilgner fest angestellt in Vollzeit bei mir in der Optik gearbeitet. Wir konnten uns aufeinander verlassen. Wenn ich ein paar Tage nicht da war, hat er von der Werkstatt bis zur Refraktion alles übernommen. Wir kennen uns schon lange, haben nach der Ausbildung zusammen in einem Betrieb gearbeitet und vor einigen Jahren wieder zusammengefunden.
Die Reform mit der „Rente mit 63″ hat mich sehr überrascht. Jürgen hat diese Möglichkeit in Anspruch genommen, ich hätte das ja genauso gemacht, wenn ich gekonnt hätte. Eigentlich hätte er noch zwei Jahre länger gearbeitet, bis 65 Jahre.
Am 14. Juli war Jürgens letzter Arbeitstag. Meine Frau hat ihm seinen Lieblingskuchen, einen Käsekuchen, gebacken, den Kaffee haben wir wie immer zusammen in der Werkstatt getrunken. Emotional war der Tag aber nicht, wir haben uns verabschiedet wie immer - so als würden wir uns morgen wiedersehen.
Jetzt bin ich Einzelkämpfer.
Gegen einen neuen Mitarbeiter habe ich mich vor allem aus finanziellen Gründen entschieden. Die Konkurrenz nimmt stetig zu. Demnächst eröffnet Fielmann eine Filiale in Olpe und der Preisdruck durch den Onlinehandel ist enorm. Hier auf dem Land ist es außerdem schwer, einen gut ausgebildeten Optiker zu finden.
Mein Alltag verändert sich jetzt sehr. Alles muss flexibler gestaltet werden. Auf die Bank gehe ich zum Beispiel vor der Arbeit oder direkt nach der Mittagspause. Arztbesuche sind schwierig. Ich versuche dann mit den Kunden Termine auszumachen und mir einige Stunden frei zu halten. Wenn viel Arbeit in der Werkstatt ist, werde ich aufwendige Brillen an eine Einschleifwerkstatt outsourcen müssen. Das dauert zwar einige Tage länger, aber in der Zeit kann ich mich auf den Verkauf und die Refraktionen konzentrieren. So kann ich Spitzen gut abfangen.
Betriebsferien gab es in den 35 Jahren noch nie. Aber vielleicht mache ich diesen Sommer eine Woche das Geschäft zu. Ich muss jetzt gut abwägen zwischen Aufträgen und Lebensqualität. Darüber werde ich mit den Kunden im Vorfeld sprechen, sie haben ja selbst auch Urlaub und werden bestimmt Verständnis dafür haben.
Ein Bekannter von mir macht es auch so und schließt sogar am Montagvormittag seinen Laden nicht auf, um Bankbesuche, Buchhaltung und Co. erledigen zu können. Mein älterer Bruder war wie ich alleine im Geschäft, als sein Mitarbeiter in Rente ging. Er hat dann komplizierte Brillenfassungen an meine Werkstatt geschickt und sich für einen Nachmittag in der Woche eine Aushilfe gesucht.
Unterstützt werde ich von meiner Frau im Verkauf und im Büro. Auch Jürgen wird bestimmt hin und wieder einen Tag aushelfen. Es ist schön, dass die Verbindung nicht abreißt. Und soweit komme ich gut zurecht. In vier Jahren möchte ich selbst in Rente gehen, dann habe ich auch 45 Jahre gearbeitet, ich meine, das ist genug."
Rentenreform: Seit dem 1. Juli 2014 können Angestellte, die mindestens 45 Beitragsjahre in der Rentenkasse vorweisen können, ab einem Alter von 63 Jahren ohne Abschläge in den Ruhestand gehen. Das reguläre gesetzliche Renteneintrittsalter liegt derzeit bei 65 Jahren und vier Monaten. Die Rente mit 63 ist Teil eines umfangreichen Rentenpakets der Bundesregierung.