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Rot-rot-grüne Trockenübungen

Jürgen Trittin im Gespräch mit Gernot Grumbach

Auf Einladung der Frankfurter Jusos sprachen Vertreter von SPD, Grünen und Linken über eine mögliche Regierungskoalition und die Fehler der Agenda 2010. In vielen Punkten herrschte Einigkeit. Doch bei der Beteiligung an Kriegseinsätzen und dem Verbleib in der Nato sind die Standpunkte verhärtet.

Frankfurt. Eigentlich hätte Linken-Urgestein Gregor Gysi neben dem grünen Ex-Umweltminister Jürgen Trittin und Gernot-Grumbach, dem stellvertretenden Landesvorsitzenden der SPD Hessen, auf dem Podium im Saalbau Gallus sitzen sollen.

Doch da Gysi vom Streik an den Berliner Flughäfen überrumpelt wurde, musste ihn Janine Wissler, die rasch aus dem Fitnessstudio herbeitelefonierte Fraktionschefin der hessischen Linken, vertreten.

Ein schlechtes Omen für rot-rot-grüne Regierungspläne? Mitnichten! Denn alle drei Politiker mühten sich redlich, sozialpolitische Gemeinsamkeiten zu unterstreichen und der 2003 von Gerhard Schröder verkündeten Agenda 2010 den Kampf anzusagen.

„Es ist allen klar, dass damals schwere Fehler begangen wurden", distanzierte sich Jürgen Trittin als erster von der unter Rot-Grün beschlossenen Reform. „Wir haben die Dinge, die schief gelaufen sind, korrigiert und die Wirtschaft ist nicht wettbewerbsunfähig geworden", relativierte Trittin.

Doch das eigentliche Problem sei, dass die Agenda verdeckte Armut sichtbar gemacht habe, aber keine einzige Zumutung für Besserverdiener beinhaltete.

Hierdurch seien „unglaublich viele Menschen zu Nicht-Wählern" geworden und die rechnerische Mehrheitsfähigkeit links der Mitte untergraben worden. „Wenn man die wieder kriegen will, muss man diese Gerechtigkeit wieder herstellen", forderte Trittin. Eine Möglichkeit sei eine Garantie-Rente, in die alle einzahlen, „auch Architekten und Abgeordnete".

Für Janine Wissler sind Niedriglöhne und Leiharbeit keine Nebeneffekte der Agenda, sondern integrale Bestandteile. „Es gibt mehr Arbeitsplätze in Deutschland, aber viele Menschen können nicht mehr davon leben", prangerte Wissler an. Daher müsse man nicht nur die Ausgestaltung der Reform, sondern die Agenda „als solche infrage stellen".

Selbst SPD-Mitglied Grumbach geizte nicht mit Kritik an der Agenda 2010. Diese sei der „Abschied von Politik als Politik" gewesen, weil die damalige Regierung externe Experten beauftragte, ein Konzept vorzulegen und deren Vorschläge „eins zu eins umgesetzt" habe. Wichtige Auseinandersetzung habe die SPD seither nicht in Parlamenten verloren, sondern in wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Debatten. Jetzt laute die Frage: Kriegen wir das zurückgedreht?

Auch Frankfurts DGB-Chef Philipp Jacks würde sich eine Glättung sozialer Härten wünschen. Dass Deutschland weiterhin gut dastehe, sei nicht der Verdienst der Agenda 2010, sondern dem Umstand geschuldet, „dass wir in den Krisenjahren Geld in die Wirtschaft gepumpt haben."

Doch auch hierin waren sich die Teilnehmer der von den Frankfurter Jusos organisierten Gesprächsrunde einig: Um die gewünschten Reformen durchzusetzen, muss es zunächst eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün geben.

„Ich möchte nicht, dass Martin Schulz der neue Bart der alten Koalition wird", sagte Jürgen Trittin. Doch einen Regierungswechsel werde es nur geben, wenn man Menschen wieder an die Wahlurne bringe, die durch die sozialen Einschnitte der letzten Jahre zu Nichtwählern wurden.

Um dies zu bewerkstelligen, forderte Gernot Grumbach, mit möglichst einheitlichen Wahlprogrammen aufzutreten, statt sich an ideologischen Differenzen zu entzweien. Doch genau hier dürfte eines der Kernprobleme eines rot-rot-grünen Bündnisses liegen.

Janine Wissler machte deutlich, dass Deutschlands Austritt aus der Nato im Grundsatzprogramm der Linken verankert ist und die Partei sich an keiner Regierung beteiligen will, wenn sich die Bundeswehr an Kriegseinsätzen beteiligt. Gernot Grumbach entgegnete, in zerfallenden Staatsgebilden sei es zu spät für rein pazifistische Lösung. „Wer sagt, wir gehen da raus, der muss wissen, wie viel Tote er zu verantworten hat", mahnte er an. Auch Jürgen Trittin warnte davor, dass Deutschland nicht im Abseits stehen dürfe, wenn es um die Lösung internationaler Konflikte gehe.

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