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Gefahr durch psychisch Kranke: Wer kümmert sich um die Verwirrten auf der Straße?


In Düsseldorf ging am Donnerstag ein psychisch gestörter Mann mit einer Axt auf Passanten los. Auch in Hessens Städten und Gemeinden sind auf Straßen und Plätzen immer mehr verwirrte Menschen unterwegs. Müssen wir Angst vor ähnlichen Vorfällen in der Region haben? SEK-Beamte im Eingangsbereich des Hauptbahnhofs von Düsseldorf. Foto: David Young Frankfurt/Limburg.

Die Fahrgäste sitzen in der Linie 12 zwischen Willy-Brandt-Platz und Frankfurter Hauptbahnhof. Eine psychisch kranke Person torkelt durch den Wagen und schreit wie am Spieß. Die Menschen haben Mitleid, fühlen sich aber auch bedroht. Was wäre, wenn die Person bewaffnet ist und Stimmen aus ihrer Wahnwelt hört, die sie zu Aggressionen auffordern? Zum Glück endet die Sache wie meistens harmlos. Der Fahrer verständigt Hilfe.

Wer in den Stadtzentren unterwegs ist, muss damit rechnen, solche und ähnliche Vorfälle täglich zu erleben, vielleicht sogar mehrmals. Besonders Frauen fühlen sich logischerweise bedroht, wenn ihnen im Dunkeln oder in der menschenleeren U-Bahn-Station solche psychisch gestörten, laut schimpfenden oder gar brüllenden Menschen begegnen. Wie soll man sich also in solchen Fällen verhalten? „Ich würde diese Menschen einfach ignorieren", sagt Professor Tilo Kircher, Direktor für Psychiatrie und Psychotherapie in der Uniklinik Marburg. „Generell geht von diesen Menschen keine Gefahr aus. Man muss keine Panik machen, wo diese nicht angebracht ist, nur weil Menschen in der U-Bahn murmeln oder ausfällig werden. "

„Freiheit als höchstes Gut"

Aber können wir diese armen Menschen denn einfach ihrem Schicksal überlassen? Einige sind schließlich auch eine Gefahr für sich selbst, wie jene Frau, die in Frankfurt-Sachsenhausen immer wieder mit ihrem Einkaufswagen mitten auf der vielbefahrenen Schnellstraße steht. Professor Kircher räumt ein, dass es ihm als Arzt und Therapeut leid tut, weil man mit einfachen medizinischen Mitteln etwas bewirken könne. Aber man könne eben niemand zu solchen Schritten zwingen. Es gebe nun mal keine Zwangsbehandlung: „Individuelle Freiheit ist das höchste Gut in freiheitlich-westlichen Gesellschaften", so Kircher, der Wert darauf legt, nicht über den Düsseldorfer Fall zu reden, sondern nur allgemein über die psychisch Gestörten auf der Straße. „Solange man andere nicht gefährdet, kann jeder machen, was er möchte. Das ist auch richtig."

Am Freitagmittag kam es in Eschborn zu einem versuchten Tötungsdelikt, infolgedessen ein 36-jähriger Mann schwer verletzt wurde. Der flüchtige Täter konnte noch am gleichen Tag festgenommen werden.

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Professor René Gottschalk, Leiter des Gesundheitsamtes der Stadt Frankfurt", pflichtet bei: „Prinzipiell ist es richtig, dem Patientenwillen das oberste Primat zuzuordnen. Nicht alles, was der Allgemeinheit verrückt erscheint, ist es auch. Es ist eine fließende Grenze zwischen Störung und Gefährdung. Man muss die Menschen auch davor schützen, weggesperrt zu werden."

Es gibt allerdings Ausnahmen von dieser Regel. Und zwar dann, wenn die betreffende Person ihr Leben akut gefährdet. Dann könnten laut Ralph Rohr, Sprecher des Frankfurter Ordnungsamts, Zwangseinweisungen verfügt werden, „möglichst in Rücksprache mit einem Arzt".

Einweisung in Limburg

Das gilt auch, wenn andere gefährdet werden. Wie zum Beispiel in einem stadtbekannten Limburger Fall, wo ein Obdachloser, der alle Hilfs- und Wohnangebote verweigerte, vorläufig in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Der 41-Jährige hatte vor Monaten beschlossen, dass ihm in Limburg eine Reihe an Gebäuden gehören. Unter anderem die Commerzbank-Filiale am Limburger Kornmarkt. Er betrat das Gebäude und forderte, dass man ihm die Schlüssel für den Tresor aushändigt. Und blieb stundenlang dort, bis Hausverbot erteilt wurde. Nach einiger Zeit hat die Bank einen privaten Wachdienst engagiert, der wie auch andere Leute von dem Obdachlosen bedroht wurde. Die Polizei holte den Mann regelmäßig ab und nahm ihn in Gewahrsam. Ende Februar wurde verfügt, dass der Mann zeitweise in die Psychiatrie nach Hadamar kommt, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellte.

Schwierige Gratwanderung

Insgesamt bleibt der Umgang mit problematischen Menschen auf der Straße eine schwierige Gratwanderung. Professor Gottschalk nennt die ungeklärte Lage „ein echtes Problem. Wenn jemand einen Herzinfarkt hat, ist alles genau geregelt". Hessen sei das letzte Bundesland, das kein Hilfegesetz für psychisch Kranke habe. Ein solches Gesetz sei für September avisiert.

Zumindest bis dahin ist beim Umgang mit psychisch Kranken auf der Straße Fingerspitzengefühl gefragt. Wer panisch reagiert und zu schnell nach Ordnungskräften ruft, kann spießig und herzlos wirken. Wer alles laufen lässt, gleichgültig - oder gefährlich leichtsinnig. So wurde in der Wuppertaler Wohnung des Düsseldorfer Attentäters, der zehn Menschen mit einer Axt verletzte, ein Attest über eine „paranoide Schizophrenie" gefunden. Offensichtlich hatte sich niemand ausreichend um den Mann gekümmert.

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