http://www.wdr5.de/sendungen/neugiergenuegt/feature/schleuser108.html
Die Hauptangeklagte
"Ich bin kein Bandenmitglied", sagt die alleinerziehende Mutter Asadeh* (*Die Namen der Angeklagten und Geschleusten sind geändert, um ihre Persönlichkeit zu schützen.) über sich selbst. Sie habe lediglich Landsleuten in einer Notlage geholfen, die sich aufgrund ihrer Flucht zu ihren Familien nach Kanada in Deutschland oder anderswo aufgehalten haben. "Das Monströse der Anklageschrift besteht darin, dass mir vorgeworfen wird, bei meinen Hilfen für die Flüchtlinge in Deutschland gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande gehandelt zu haben."
Die 37-Jährige entspricht nicht dem Klischee eines skrupellosen Schleusers. Asadeh ist eine iranische Deutsche, die selbst als Flüchtlingskind nach Deutschland kam. Sie hat sich hochgearbeitet, eine Ausbildung zur Raumausstatterin absolviert. Wenige Monate vor ihrer Verhaftung machte sie sich selbständig. Für den Staatsanwalt Stefan Willkomm ist diese Frau der Kopf einer deutsch-iranischen Schleuserbande. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten vor, in insgesamt 22 Fällen in unterschiedlicher Beteiligung gewerbs- und bandenmäßig geschleust zu haben: "Dabei handelt es sich um einen Verbrechenstatbestand, der mit Strafe von ein bis 15 Jahren bedroht ist."
Der Helfer
Auf der Anklagebank sitzt auch Said, Mitte 30. Er ist aus dem Iran geflohen, sein Asylantrag wurde anerkannt. Als Asylbewerber lernte er Asadeh kennen. Die beiden verliebten sich und Asadeh holte ihn aus dem Flüchtlingsheim raus - zu ihr in die Wohnung nach Köln. Said erfuhr, dass sie anderen Flüchtlingen hilft. Und er machte mit. "Ich habe Geld an Flüchtlinge weitergeleitet. Habe ihnen Sim-Karten und Handys besorgt, immer in Absprache mit ihr." Er habe gedacht, er helfe den Menschen, so, wie sie im geholfen hatte: "Es waren Leute, die Geld bezahlt hatten. Damals wusste ich nicht, an wen. Sie hatten Angst, dass sie für ihr Geld keine Leistung bekommen."
Während er mit der heute Hauptangeklagten zusammenlebte, warteten seine Ehefrau und sein kleiner Sohn im Iran auf eine Möglichkeit zur Ausreise. Said schaffte es, sie nach Deutschland zu holen. Anfangs wohnte das Paar in der Wohnung Asadehs. Er beendete die Affäre und zog mit Frau und Kind aus. Said und drei weitere Helfer könnten mit Bewährungs- und Geldstrafen davon kommen. Die Hauptangeklagte will der Staatsanwalt ins Gefängnis bringen.
Die Geschleusten
Es geht um über fünfzig Männer und Frauen, die den Iran verlassen wollten. Asedeh, Said und weitere Komplizen sollen die illegale Einreise nach Deutschland und die ebenso illegale Weiterreise organisiert haben. Die geschleusten Menschen wollten gar nicht in Deutschland bleiben. Sie wollten nach Kanada, wo Frau und Kind, Bruder oder Onkel leben. Manche hatten schon vergeblich Touristenvisa für EU-Staaten beantragt. Ohne falsche Pässe und kommerzielle Fluchthelfer würden sie ihr Ziel niemals erreichen. "Durchschleusen" ist aber auch verboten.
Das Ehepaar am Check-In
Das iranische Ehepaar Hoseni fällt den Mitarbeiterinnen am Check-In-Schalter auf. Ein Bundespolizist verhört die beiden nach der Festnahme am Düsseldorfer Flughafen: "Sie hatten gefälschte israelische Pässe dabei." Für 10.000 Euro seien die Pässe aus Thailand gekommen und in der Türkei an das Paar übergeben worden. Von der Türkei flog das Ehepaar erst nach Wien und dann in die Schweiz. Dort wurde ihr Asylantrag abgelehnt. "Und dann sind sie mit dem Zug nach Köln und im Anschluss nach Düsseldorf gefahren", ergänzt der Bundespolizist.
Die Hauptangeklagte Asadeh bestätigt, das Paar aus der Schweiz abgeholt zu haben. Sie habe ihnen einen Anwalt besorgt, damit sie den Transitbereich des Flughafens verlassen konnten. Bei der Durchsuchung der Reisenden finden die Polizisten eine Überweisung über mehrere hundert Euro auf Asadehs Konto.
Der Durchreisende als Asylbewerber
Die Geschleusten selbst sagen als Zeugen vor dem Richter aus, geben ihre illegale Einreise zu, aber sie stehen dort nicht unter Anklage. Sie sollen die Angeklagten belasten. Die meisten leben jetzt als Asylbewerber in deutschen Flüchtlingsheimen. Einen 34-jährigen Ingenieur aus dem Iran fragt Richter Mike Wissmann hakt nach: "Sie haben gesagt, ihre Schwester lebt in Kanada. Wollen Sie da jetzt hin?" Der Zeuge weicht aus: "Ich will dahin, wo ich anerkannt werde. Ich fühle mich hier sicher." Jeder im Gerichtssaal spürt, dass der Mann das sagt, weil er es sagen muss. Denn die illegale Einreise wird ihm nur dann nicht zur Last gelegt, wenn er als Flüchtling in Deutschland anerkannt werden möchte. Er darf nicht sagen, dass er eigentlich nach Kanada zu seiner Schwester will. Dann würde ihm die Abschiebung drohen.
Der leidende Familienvater
Am Flughafen Düsseldorf: Passkontrolle am Gate zum Abflug mit dem Reiseziel Vancouver. Herr Ahmadi, ein Psychologe aus Teheran, wird festgehalten. Sein Gesicht passt nicht zu dem Bild in seinem Pass. Es sieht ihm ähnlich, aber er ist es nicht. Der Mann gibt zu, dass er den Pass von einem Fluchthelfer erhalten hat. Eine Bundespolizistin verhört ihn und berichtet davon im Prozess: "In Kanada leben seine Frau, seine Tochter und der Sohn. Das hat er ausgesagt. Er leide psychisch unter der Trennung." Er habe schon einmal versucht, über Frankfurt nach Kanada zu gelangen. Und so versuchte dieser Mann verzweifelt, zu Frau und Kindern zu gelangen, deren Flucht nach Kanada gelungen ist. Die Bundespolizei wertet in solchen Fällen die Mobiltelefone aus. Sie findet die Handynummern, die zu den mutmaßlichen Schleusern führen.
Die "guten" Schleuser
Dass Fluchthelfer für ihre Arbeit Geld verlangen, galt bis in die 1980er Jahre hinein als legitim, solange sie die deutsch-deutsche Flucht ermöglichten. Der Bundesgerichtshof gab sogar einem Schleuser Recht, der von einem DDR-Bürger die vereinbarten 10.000 Mark Schleuserlohn verlangt hatte, obwohl dessen Flucht in den Westen misslungen war. Der BGH kam in seinem Urteil zu dem Schluss, "dass ein solcher Vertrag nicht allgemein gegen die guten Sitten verstößt. Es ist nicht in jedem Fall anstößig, eine Hilfeleistung, selbst für einen Menschen in einer Notlage, von einer Vergütung abhängig zu machen. Fluchthilfevergütungen von 15.000 Mark oder 13.000 Mark je 'geschleuster' Person erscheinen im Hinblick auf hohe Unkosten des Fluchthelfers nicht als überhöht."
Die Schleuserin als Opfer
In dem Prozess um bandenmäßige Schleusung vor dem Landgericht in Düsseldorf belegen die abgehörten Telefonate, dass die Angeklagten tatsächlich knallhart über Geld sprechen. Die Hauptangeklagte Asadeh erklärt unter Tränen, sie wollte ihre Mutter, die im Irak lebt, nach Deutschland holen. Deshalb habe sie sich auf die Zusammenarbeit mit einem Iraner eingelassen, der in Kanada sitzt und der Chef des Fluchthelfer-Netzwerks ist. Als Gegenleistung für ihre Mitarbeit bei den Schleusungen könnte dieser Mann ihre Mutter nach Deutschland bringen. Der Staatsanwalt nimmt ihr das nicht ab. Er will sie für fast vier Jahre hinter Gitter bringen, denn sie sei aus seiner Sicht diejenige, "die erkennbar als einzige finanzielle Gewinne aus der Sache gezogen hat und die hier als Kopf der Gruppe in Deutschland fungiert hat".
Die Mitangeklagten
Zwei der Angeklagten haben schon gestanden und wurden verurteilt. Ein Konditor aus Köln, der seinen Bruder aus dem Iran holen wollte und bei einigen Schleusungen mitgeholfen hat. Der Mann kam mit einer Bewährungsstrafe davon. Der Zweite ist ein Drucker, der im Iran für die Opposition gearbeitet hat. Als vor fünf Jahren die "Grüne Revolution" niedergeschlagen wurde, musste er das Land verlassen. Auch er wollte eigentlich nach Kanada, kam aber nur bis Paris und dann nach Deutschland. Hier ging ihm das Geld aus. Daraufhin half er bei Schleusungen mit, damit wiederum ihm geholfen wird, nach Kanada zu gelangen. Er überbrachte mehrfach falsche Pässe, ließ Geflüchtete bei sich übernachten, begleitete sie ins Hotel oder zum Flughafen. Dafür wurde er zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Die Sozialwissenschaftlerin
Alltag in einer Welt, die von Mobilität geprägt ist: Auch Menschen, denen nicht das Recht zugestanden wird, frei zu reisen, nehmen sich dieses Recht. Zahlreiche Schleusungen sind schließlich erfolgreich. Die Verfolgung der Schleuser führt bisher nicht dazu, dass solche Straftaten verhindert werden. Sie tragen eher dazu bei, dass Schleusungen risikoreich und deshalb teuer bleiben und damit auch lukrativ. Das bestätigt die Sozialwissenschaftlerin Gerda Heck. Sie hat die Reiserouten von Migranten erforscht: "Schleuserprozesse verweisen vor allem auf die Doppelmoral der deutschen wie auch der europäischen Migrationspolitik." Migrationskontrolle produziere genau das, was sie eigentlich verhindern soll, den irregulären Grenzübertritt. Dafür müssten Menschen Fluchthelfer oder Schleuser in Anspruch nehmen, um eine Grenze zu passieren: "Ohne diese Dienstleistung ist es heutzutage für viele Menschen nahezu unmöglich geworden, in Europa oder Nordamerika noch Schutz zu suchen."
Autor des Radiobeitrags: Miltiadis Oulios
Redaktion: Andreas Blendin
Stand: 01.12.2014, 10.05 Uhr