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Ein Wiesbadener Busfahrer erzählt von seiner Erfahrung mit Gewalt

„31 Jahre lang war ich Busfahrer und das war auch mein Wunschberuf", erzählt Siegfried Weber*. „Ich habe Leute zur Arbeit, Kinder zur Schule und Studenten zur Uni gebracht und das immer unheimlich gern." Heute kann der 57-Jährige seinen Traumberuf nicht mehr ausüben. Im letzten Jahr wurde er durch einen Fahrgast so sehr an der Hand verletzt, dass er nie mehr als Busfahrer arbeiten können wird.


Ein kurzer Moment veränderte alles

Am 22. Januar 2019 war Siegfried Weber wie immer mit der Linie 24 von der Wilhelmstraße kommend in Richtung Bierstadt unterwegs. Gegen 14:30 Uhr stieg ein stark alkoholisierter Mann ein, wurde laut, bedrängte andere Fahrgäste. „Er hat rumgeschimpft und rumgeschrien", erinnert sich Weber zurück. „Ich hab dann ins Mikrofon reingerufen - wie wir es im Deeskalationstraining gelernt haben - dass jetzt Ruhe sein soll, sonst muss ich die Polizei rufen." Der Mann beruhigte sich nicht, Weber wies ihn erneut darauf hin, dass er die Polizei rufen müsse. „Dann kam eine Frau zu mir, die meinte, jemand würde sie verbal angreifen, sei frauenfeindlich. Sie bat mich um Hilfe."


Der Busfahrer schildert, wie er ausstieg, nach hinten ging und dem Mann sagte, er müsse jetzt aussteigen, was dieser dann auch tat. Weber wollte zurück zum Fahrersitz, kam allerdings nur bis zur Mitteltür, weil der Bus zu diesem Zeitpunkt noch sehr voll war. „Dann stand er auf einmal vor mir und boxte mir auf die linke Seite von der Brust. Ich hab ihn dann an der Kleidung gepackt, um ihn von mir zu halten und dann hat er sich fallen lassen." Webers rechte Hand verdrehte sich dadurch so stark, dass Bänder rissen und Sehnen bis in die Schulter gezerrt wurden.


Immer wieder wird die Hand auch heute noch dick, blau und schmerzt, so der Busfahrer. Auch psychisch mache ihm die Sache noch zu schaffen. Zurzeit kämpft er außerdem darum, dass der Vorfall als Arbeitsunfall anerkannt wird. Er hat einen Strafantrag gegen den Angreifer gestellt; bald startet die Verhandlung. Eine neue Arbeit hat er glücklicherweise im Kassenbetrieb von ESWE Verkehr gefunden.


Den Beruf des Busfahrers wird er nicht mehr ausüben können. „Ich kann das Lenkrad nicht mehr halten. Die Vibrationen, die entstehen, wenn man zum Beispiel in ein Schlagloch fährt, tun richtig weh", erzählt Siegfried Weber ein Jahr nach dem Vorfall. Auch seine Hobbys könne er dadurch nicht mehr ausüben. „Ich spiele seit 50 Jahren Gitarre, das funktioniert nicht mehr. Ich bin leidenschaftlich gerne Motorrad gefahren, das geht auch nicht mehr. Mein Leben hat sich tatsächlich sehr geändert dadurch."


Fehlende Zivilcourage

Eine Sache enttäuscht ihn aber auch über ein Jahr nach dem Vorfall noch besonders. „Es kam niemand, um mir zu helfen. Ich habe sogar später im Spiegel gesehen, dass einige Jugendliche das ganze mitgefilmt haben", erzählt er. Während er auf die Polizei wartete und sein Angreifer immer wieder um den Bus herumlief, wurde der Innenraum immer leerer. „Ich saß dann erstmal allein da." Lediglich die Frau, die ihn zuvor um Hilfe gebeten hatte, sei bei ihm geblieben. „Wirklich gut gewesen wäre, wenn die Leute sofort gekommen wären und gesagt hätten 'Lass den Fahrer in Ruhe'. Dann wäre das mit Sicherheit anders gelaufen."


Immer mehr Angriffe gegen Busfahrer in Wiesbaden


Mit seiner Erfahrung ist Siegfried Weber nicht allein. Immer wieder berichtet die Wiesbadener Polizei davon, dass Busfahrer und Busfahrerinnen angegriffen werden - oft auch ohne Hilfe von anderen zu bekommen. „Er ist leider ein Betroffener von vielen", sagt ESWE-Sprecher Christian Giesen. Alle fünf Jahre absolvieren die Fahrer deshalb gemeinsam mit der Polizei ein Deeskalationstraining. Dabei lernen sie anhand realitätsnaher Rollenspiele, wie sie sich in Gefahrensituationen verhalten müssen. Auch für Fahrgäste bieten Stadt, ESWE Verkehr und Polizei immer wieder Zivilcourage-Schulungen an.


Die Erfahrung im vergangenen Jahr war auch für Siegfried Weber nicht die erste, in der er sein Wissen aus den Trainings einsetzen musste. „Wenn man früher in den Bus gegangen ist, dann wurde der Busfahrer respektiert. Wenn er etwas gesagt hat, dann wurde das auch eingehalten", erinnert er sich. „So ist das heute überhaupt nicht mehr. Jetzt sagen die Leute eher 'Was willst du? Hast du hier mitzureden, oder was?'." Woran das liegen könnte, kann er nicht genau sagen. Aber er will zumindest versuchen, etwas zu tun, damit sich das wieder ändert.


Deshalb ist er jetzt ein Gesicht der bundesweiten Kampagne „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch" des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB). Der DGB macht damit auf Gewalt gegen Beschäftigte aufmerksam und lässt Betroffene ihre Geschichten erzählen. „Nur mit Öffentlichkeit und klarer Darstellung kann man den Leuten zeigen, dass das so nicht geht", ist Weber überzeugt. „Es ist die einzige Möglichkeit." (nl)


*Name aus persönlichen Gründen von der Redaktion geändert

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