Badische Zeitung | 24.03.2014
Wo in der französischen Metropole streiften Grass, Heine oder Tucholsky gerne umher und fanden Anregungen für ihre Texte? Ein literarischer Stadtspaziergang
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Paris war stets ein
Anziehungspunkt für deutschsprachige Schriftsteller. Sie schrieben schwärmerische
Gedichte über die Stadt, trafen andere Autoren oder kümmerten sich um Bücher,
die die Nazis vernichten wollten. Ein Autor wurde allerdings von einem Ast
erschlagen.
HEINRICH HEINE / FRIEDHOF MONTMARTRE
Heinrich Heine liegt unter weißem Marmor. Auf dem Plan des Friedhofs Montmartre hat sein Grab die Nummer 54. Über den Friedhof führt eine Autobrücke, Friedhofsstille kommt hier deswegen nicht auf. Emile Zola, Jacques Offenbach, Stendhal, François Truffaut, Hector Berlioz – sie alle leisten Heine hier Gesellschaft.
Auf Heines Grab liegen eine rosa Rose und zwei Bleistifte. Ein Tourist lässt sich fotografieren vor der romantisch-melancholischen Büste des Schriftstellers. „Sterbe ich in Paris, so will ich auf dem Kirchhofe des Montmartre begraben werden, auf keinem anderen, denn unter der Bevölkerung des Faubourg Montmartre habe ich mein liebstes Leben gelebt“, schrieb er in seinem Testament. Bei der Beerdigung Heines am Morgen des 20. Februar 1856 war nur ein kleines Häuflein Trauergäste da, überwiegend Deutsche.
Heine, geboren in Düsseldorf, sprach wie viele Gebildete damals die französische Sprache. 1831 siedelte er nach Paris über und schrieb für die „Allgemeine Zeitung“ in Augsburg über Frankreich. Immer wieder hatte er Geldnöte. Immer wieder hatte er mit Krankheiten zu kämpfen – mit Lähmungserscheinungen in der linken Hand und in der rechten Gesichtshälfte, mit Augenleiden oder Rückenmarksschwindsucht. In den 25 Jahren seiner Pariser Zeit wechselte er 24 Mal die Wohnung. Doch Paris war seine Stadt. In einem Brief an einen Freund schrieb er: „Fragt Sie jemand, wie ich mich hier befinde, so sagen Sie: wie ein Fisch im Wasser. Oder vielmehr sagen Sie den Leuten, wenn im Meer ein Fisch den anderen nach seinem Befinden fragt, so antwortet dieser: Ich befinde mich wie Heine in Paris.“
(Métro Place de Clichy)
ÖDÖN VON HORVATH / CHAMPS-ELYSEES
Ödön von Horvath hatte abergläubische
Angst vor Autos und Flugzeugen. Auch Aufzüge mied er in Paris und nahm lieber die
Treppen. „Vor den Nazis habe ich keine so große Angst. Es gibt ärgere Dinge,
nämlich die, vor denen man Angst hat, ohne zu wissen warum. Ich fürchte mich
zum Beispiel vor der Straße. Straßen können einen übelwollen, können einen
vernichten. Straßen machen mir Angst.“ Das sagte er wenige Tage vor seinem Tod
zu Klaus Mann.
Am Abend des 1. Juni 1938 ist Ödön von Horvath in einer Seitenstraße der Champs-Elysées unterwegs. Er ist in Paris, weil er mit einem Regisseur über die Verfilmung seines Romans „Jugend ohne Gott“ sprechen will. Es gewittert, ein heftiger Wind kommt auf. Beim Theater Marigny läuft er weiter Richtung Place de la Concorde. Plötzlich stürzt von einem Kastanienbaum ein Ast herab. Er trifft den Schriftsteller im Genick. Er ist sofort tot.
Heute hängt an der Fassade
des Theaters Marigny in der Avenue de Marigny eine kleine Erinnerungstafel aus
Marmor an den Autor der „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Passanten eilen vorbei.
Nur wenige Schritte weiter ist der Elysée-Palast, der Sitz des Präsidenten. Im
Nachruf in der „Pariser Tageszeitung“, vom Schriftsteller Joseph Roth
geschrieben, steht: „Ödön von Horvath, einer der besten österreichischen
Schriftsteller, deutschsprachiger Ungar von Geburt, ist vorgestern in Paris das
Opfer eines jener Unfälle geworden, die wir als ‚sinnlos’ zu bezeichnen
pflegen, weil uns das Unerklärliche sinnlos erscheint.“
Nur wenige Tage vorher in Amsterdam, hatte Ödön von Horvath eine Wahrsagerin gefragt, ob der Vertragsabschluss zum Film denn zustande kommen würde. Die Frau sagte: „Sie werden, mein Herr, in Paris das größte Abenteuer ihres Lebens haben.“
(Métro Champs-Élysées-Clemenceau)
THOMAS MANN / HOTEL ST. JAMES ALBANY
In den Tuilerien springen
Kinder auf einem Trampolin. Etwas weiter, hinter den großen Metallgittern des
Parks, führt die Rue de Rivoli vorbei. Hausnummer 202: das Luxushotel St. James
Albany. Vier Sterne, Spa. Der Louvre ganz nah, die Zimmerpreise ganz hoch. Die
Dame an der Rezeption ist es gewohnt, dass hier immer wieder Thomas-Mann-Fans
ins Foyer spazieren und am Innenhof einfach stehenbleiben und tief einatmen.
In diesem Hotel macht der
Held von Thomas Manns Roman „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“
(1954) mit dem Namen Armand seine Erfahrungen als Kellner und Liftboy. Hier
erlebt er seine amourösen Abenteuer - dieses Hotel ist Ausgangspunkt für seine
Pariser Eskapaden. Im Aufzug trifft er Madame Houpflé
wieder, deren Schmuck er auf der Reise nach Paris gestohlen hat. Sie lädt den
„schönen Lifttreiber“ zu einem nächtlichen Rendezvous auf ihrem Zimmer ein. Und
bietet ihm nach seinem Geständnis an, sie weiter zu bestehlen.
Im Restaurant, durch das man gehen kann, um wieder ans Tageslicht der Wirklichkeit zu gelangen, verspeisen Gäste Austern und trinken Champagner. Und so manch ein Mann-Leser wird in diesem Hotel sich wünschen, dass der große Autor den Roman doch nicht unvollendet hinterlassen hätte.
(Métro Tuileries)
STEFAN ZWEIG / PALAIS ROYAL
Am Bassin des großen Springbrunnens lesen Leute Zeitung, andere essen ein Sandwich. Einige von Musée du Louvre erschlagene Touristen kommen hier, im Jardin du Palais Royal, auf den Stühlen wieder zu Kräften. Der Palais Royal war lange Zeit ein Ort, wo das Nachtleben pulsierte. Einst von Kardinal Richelieu im 17. Jahrhundert errichtet, wurden hier ein Jahrhundert später rund um den Palastgarten Häuser mit Arkadengängen gebaut. Läden, Kneipen, Wohnungen, Vergnügungsstätten, Huren – hier ging es rund. Da die ganze Anlage dem Herzog von Orléans gehörte, einem Verwandten des Königs, war das Gelände ein rechtsfreier Raum. Die Polizei hatte keinen Zutritt, und so wurde das Areal zu einem sozialen Zentrum für alle möglichen Versammlungen. Kein Wunder, dass hier Geschichte geschrieben wurde: Im Café Foy hielt der Journalist und Anwalt Camilles Desmoulins, auf einem Tisch stehend, mit einer Pistole in der Hand, am 13. Juli 1789 seine Ansprache, mit der er das Volk von Paris zum Sturm auf die Bastille aufrief: „Zu den Waffen, Bürger!“
Wer in diesem kleinen Park sitzt, der tut es wie einst der österreichische Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942). „Die Geschichte Frankreichs sprach hier aus jedem Stein; außerdem lag nur eine Straße weit die Nationalbibliothek, wo ich meine Vormittage verbrachte, und nahe auch das Louvremuseum mit seinen Bildern, die Boulevards mit ihrem menschlichen Geström; ich war endlich dort, wohin ich mich gewünscht, dort wo seit Jahrhunderten heiß und rhythmisch der Herzschlag Frankreichs ging, im innersten Paris...“
(Métro Palais Royal/Musée du Louvre)
RAINER MARIA RILKE / JARDIN DU LUXEMBOURG
Spaziergänge durch Paris können
Auslöser für Gedichte sein. Rainer Maria Rilke (1875-1926) etwa schrieb „Der
Panther im Jardin des Plantes Paris“ oder „Karussell“. Dieses Karussell im Park Jardin du Luxembourg
gibt es immer noch, es ist sogar das Originalkarussell, das Rilke einst beobachtete.
„Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge und hält sich mit der kleinen heißen
Hand, dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge. Und dann und wann ein weißer
Elefant.“ Der Elefant hat inzwischen eine graue Farbe bekommen. Den Hirsch gibt
es noch, nur der Löwe scheint ausgetauscht worden zu sein. Die Karussellpferde
tragen Patina und Kinderfingerkratzer. Während die Kinder ihre Karussellrunden
drehen, sitzen die Eltern auf grünen Bänken und schauen genau zu.
Der Jardin du Luxembourg ist einer der Lieblingsparks der Pariser. Ein paar Schritte weiter blicken Schachspieler auf ihre Bretter, Ponys tragen adrett gekleidete Kinder auf ihren Rücken, auf den Metallstühlen sitzen Leute und lesen Bücher. Auch Erich Kästner hatte in seinem Lyrikrepertoire ein Gedicht „Jardin du Luxembourg“: „Alle Leute, auch die ernsten Herrn, spüren hier: Die Erde ist ein Stern! Und die Kinder haben hübsche Namen und sind fast so schön wie auf Reklamen.“
(Métro Jardin du Luxembourg)
DIE DEUTSCHE FREIHEITSBIBLIOTHEK
Es ist eine unscheinbare
Adresse: 65, Boulevard Arago. Und doch haben hier einmal namhafte deutsche
Schriftsteller gearbeitet: Johannes R. Becher, Alfred Döblin, Lion
Feuchtwanger, Egon Erwin Kisch, Anna Seghers und viele andere. Ein Jahr nach
den Bücherverbrennungen in Deutschland, als im Reich Hitlers die „undeutschen
Bücher“ auf Scheiterhaufen landeten, wurde hier, am 10. Mai 1934, die „Deutsche
Freiheitsbibliothek“ gegründet – man nannte sie auch „Bibliothek der
verbrannten Bücher“. Die Eröffnungsrede hielten damals Egon Erwin Kisch und
Alfred Kerr. Der Präsident dieser besonderen Bibliothek: Heinrich Mann.
An diesem Ort in Paris sammelte
man die in Deutschland verbotenen Werke deutscher und ausländischer
Schriftsteller. Man gab Mitteilungen heraus mit Nachrichten über Verfolgung und
Widerstand in Deutschland. Emigranten trafen sich hier. Thomas Mann hielt
Vorträge. Der Gründer der Bibliothek, der Schriftsteller und
Literaturwissenschaftler, Alfred Kantorowicz, bezeichnete diesen Ort als eine
„Pflegestätte des deutschen Geistes im Exil“: „Bei der Nachricht von dieser
öffentlichen Zurschaustellung des Rückfalls in die Barbarei und des manifesten
Triumphes der Gegenaufklärung hatte ich mir in meiner Pariser Dachkammer
vorgenommen, diesen Tag der Schande zu einem Ehrentage des Freien Buches und
des Freien Gedankens zu machen.“
Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Paris im Jahr 1940 mussten die Emigranten flüchten. Die Bibliothek wurde zerstört, 15000 bis 20000 Bände der Bibliothek verschwanden für immer.
(Métro Glacière)
GÜNTHER GRASS UND PAUL CELAN / PLACE DE LA CONTRESCARPE
Wenn es warm ist, sind die
Stühle auf den Terrassen der Cafés an der Place de la Contrescarpe immer gut
besetzt. Ein Gitarrist spielt unter den Bäumen. Ab und zu fährt ein
Motorradfahrer eine Runde um den Platz, langsam, um sein PS-starkes Gefährt allen vorzuführen. Touristen strömen aus der Marktgasse Rue Mouffetard. In der Aperitifstunde
am späten Nachmittag stehen Gläser voller Heineken oder Rosé auf den Tischen. „In
Paris, während ich schon an der Blechtrommel saß, war es Paul Celan, der mich auf
Rabelais aufmerksam machte“, sagte Günter Grass einmal einem Radiosender. Vermutlich
sprachen sie über den berühmten französischen Renaissance-Dichter hier, in
einer der Bars an der Place de la Contrescarpe.
Dieser Platz war einer der
Lieblingsplätze von Paul Celan. Der große Lyriker des 20. Jahrhunderts, dessen
Gedicht „Die Todesfuge“ 1952 erschien, war oft im Quartier Latin unterwegs und
saß stundenlang im Café La Chope an der Place de la Contrescarpe. Grass wiederum
war 1956 nach Paris gezogen. Er lebte dort mit seiner Frau Anna in einem düsteren
Hinterhof in der Avenue d’Italie, seine ersten beiden Kinder kamen in Paris auf
die Welt. Hier schrieb er den Großteil seines Romans „Die Blechtrommel“. Der
Roman, 1959 erschienen, wurde zum Bestseller und machte Grass zu einem
Literaturstar im Nachkriegsdeutschland.
Mit Celan verband ihn eine intellektuelle Freundschaft. Immer wieder traf der damals noch unbekannte Grass (Jahrgang 1927) den jüdischen Autor Celan (1920), den die Nazi-Zeit traumatisiert hatte. Ende 1970 macht sich Celan selbst ein Ende, indem er sich in die Seine stürzte. Jahrzehnte später wird Grass in seiner Autobiographie „Vom Häuten der Zwiebel“ schreiben: „In Paris war Paul Celan nicht zu helfen“.
(Métro Place Monge)
KURT TUCHOLSKY / PARC MONCEAU
Sonntagmorgens traben Hunderte von Joggern im Park Monceau im Kreis. Volkslaufstimmung. Vor dem mehrgängigen Déjeuner, dem Mittagessen, will manch ein Franzose hier noch ein paar Gramm verlieren. „Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen. Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist. Hier darf ich links gehen. Unter grünen Bäumen sagt keine Tafel, was verboten ist“, schrieb Kurt Tucholsky in seinem Gedicht „Park Monceau“. Der Park liegt im 8. und 17. Arrondissement von Paris. Der Schriftsteller und Satiriker Tucholsky, 1890 in Berlin als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, lebte ab 1924 in Paris. Er war Korrespondent, schrieb für die „Weltbühne“ und die „Vossische Zeitung“. In Paris blickte er mit Sorge auf Deutschland, warnte vor dem Nationalsozialismus. Seine Liebe zu Frankreich war groß: „Dank, dass ich in dir leben darf. (...) Du warst gastlich vom ersten Tage an. Du hast niemals den Fremden verspottet, wenn er Vokabeln, Bräuche, Stadtviertel verwechselte.“ ++
Seit 1769 gibt es diesen kleinen englischen Park. Kurvige Wege, unregelmäßig aufgestellte Statuen - das war damals neu, anders als bei den traditionellen französischen Gärten. Claude Monet malte hier fünf Bilder. 1797 fand hier der erste Fallschirmsprung Europas statt aus 400 Metern Höhe. Heute lieben ihn die Familien. Kinder spielen auf einem Spielplatz oder fahren Karussell. Ein kleiner Wasserfall plätschert. Auf den grünen Bänken sitzen die Menschen in der Sonne, ihre Augen geschlossen.
(Métro: Monceau)