2 subscriptions and 0 subscribers
Article

Zur Inflation eines unschuldigen Wortes

„Spannend“ ist das wohl unverdächtigste Modewort unserer Zeit. In den letzten Jahren hat es auch Einzug in Hörsäle und Seminarräume gehalten. Warum nur? 

Es ist die berühmteste Szene der Filmgeschichte: Eine Frau steigt in die Dusche, dreht das Wasser auf und schmiert ihren Körper mit Seife ein. Plötzlich betritt ein Unbekannter das Badezimmer. Er nähert sich der Dusche, zieht den Vorhang beiseite und sticht mehrmals mit einem Messer auf die Frau ein. Nach nicht einmal 45 Sekunden ist der Mord passé und die Duschszene aus Alfred Hitchcocks „Psycho“ Legende. Sie ist dramatisch, fesselnd, mitreißend, keine Frage. Sie ist aber vor allem eines: spannend.

Szenenwechsel: Der Hörsaal ist an diesem regnerischen Dezembertag nur zu einem Viertel gefüllt, man blickt in trübsinnige Gesichter. Allein die zum heutigen Vortrag einladende Lehrstuhlinhaberin sprüht vor Euphorie: „Ich freue mich unseren heutigen Gast begrüßen zu können, wir alle können uns auf seinen spannenden Vortrag freuen.“ Aber nicht nur das: Der Gast verfüge nämlich auch über einen „spannenden Lebenslauf“ (Stationen: Bielefeld und Jena) und sein letztes Buch war natürlich nur eines – „total spannend“. Leider lässt sich das nicht für seinen Vortragstil behaupten. Nach einer halben Stunde arbeitet jeder im Saal gedanklich seine Weihnachtsgeschenkeliste ab. Nicht so die Lehrstuhlinhaberin: „Vielen Dank für diesen wirklich spannenden Vortrag.“

Auf dem ersten Blick ist es kein besonderes Wort. „Spannend“ erscheint harmlos und unverdächtig, jeder benutzt es mehrfach am Tag, ganz selbstverständlich. So ist es zunächst auch nur ein bloßer Verdacht: Was hat dieses Wort hier an der Uni zu suchen? Können Referate, Forschungsfragen, ganze Vorträge „spannend“ sein wie ein meisterhafter Hitchcock? Das amerikanische Unternehmen Google hat in den letzten Jahren mehr als acht Millionen Bücher aus fünf Jahrhunderten gescannt, darunter 650 000 in deutscher Sprache. Das entspricht etwa sechs Prozent aller jemals gedruckten Bücher. Mit Hilfe des Google Ngram Viewers kann man nun die Häufigkeit von Buchstaben und Wörtern in Texten ermitteln. Die Analyse zu „spannend“ liefert ein überraschendes Ergebnis: Während seine Verwendung über 200 Jahre bis in die 1970er Jahre nur geringfügig größer wird, ist seit 40 Jahren ein Anstieg um mehr als das Vierfache zu verzeichnen.

Das bestätigt auch der Heidelberger Sprachwissenschaftler Ekkehard Felder: „‚Spannend‘ ist eine Vokabel, die schon relativ lange Karriere macht und sich in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit erfreut.“ Felder, Inhaber des Lehrstuhls für Germanistische Linguistik, habe es selbst 1992 das erste Mal von einem Sprachwissenschaftler gehört und war „schwer irritiert“. Heute nehme er es schon gar nicht mehr wahr. Warum auch, schließlich spreche nichts dagegen, es habe viel mehr etwas „Elegantes“, erst recht nichts „Unwortartiges“, so Felder.

Wirklich nicht? Der große zehnbändige Duden fasst Bedeutung, Herkunft und Beispiele eines Wortes in einen kompletten Eintrag zusammen. Zu „spannend“ ist in der dritten Auflage aus dem Jahr 1999 zu lesen: „wohl ausgehend vom Bild einer gespannten Stahlfeder od. der gespannten Muskeln = freudig erregt sein; voller Verlangen sein“. Als Bedeutungen kommen „Spannung erregend“ und „fesselnd“ infrage. Erstaunliches fördert erst die aktuelle, vierte Auflage des großen Dudens zutage. Dort findet sich zunächst dieselbe schon eben zitierte Bedeutungserklärung, aber nun im Jahre 2012 tritt eine zweite Bedeutung hinzu: „interessant“.

Die sprachliche Erweiterung von „spannend“ in den letzten Jahren führt Ekkehard Felder auf Sprachwandelphänomene zurück. Diese werden zu Beginn durch Individuen angestoßen, die Sprachgebrauchsformen verwenden, welche wiederum eine gewisse Plausibilität entfalten oder andere Menschen einfach ansprechen. „Dann übernimmt man ein Wort, keiner denkt an Sprachwandel, letztendlich tut man aber genau das.“ So passierte es mit „spannend“ eben auch. Denn während es sich bei „interessant“ um eine vielschichtige Vokabel handle, welche sowohl klar positiv als auch zweideutig (z.B. „ein interessantes Essen“) verwendet werden kann, wird „spannend“ gegenwärtig nicht negativ gebraucht. „Es ist eine klar positiv konnotierte Festlegung des Sprechers“, so Felder.

„Spannend“ ist also das neue „interessant“ und so scheint seine inflationäre Verwendung im universitären Alltag zumindest ansatzweise erklärbar. In einer akademischen Welt, in der wir ständig gezwungen werden, die eigenen Interessen und Forschungen von der Masse hervorzuheben, ist „spannend“ das Adjektiv, das die Gratwanderung zwischen wissenschaftlichem Marketing und scheinbarer Seriosität am besten meistert. Es ist eben ein Wort, das niemandem weh tut, kein „cool“, kein „krass“, kein „geil“. Es ist der sprachliche Konsens unserer universitären Klasse. Denn egal, ob Professor, Doktorand oder Student, wir alle benutzen diese unscheinbare Vokabel und haben sie so zu dem Ausdruck unserer Zeit gemacht. Seine inflationäre Verwendung kommt dabei immer mehr als sprachliche Einfallslosigkeit daher und entwertet so die ursprüngliche Bedeutung des Wortes.

„Wenn sich rumspricht, dass ‚spannend‘ in den Verdacht gerät, inflationär gebraucht zu werden, muss es auch irgendwann abgelöst werden“, gibt Sprachwissenschaftler Felder zu bedenken. „Denn inflationär eingesetzte Wörter entfalten keine Wirkung mehr, sind wenig überzeugend und kaum glaubwürdig.“ Jeder will authentisch sein – wie ist man aber authentisch, wenn man eine Vokabel benutzt, die viele gebrauchen? Was also kommt nach „spannend“? Ein Blick ins Synonymwörterbuch offenbart das ganze Dilemma – „atemberaubend, aufregend, dramatisch, mitreißend, packend“.

Die Alternativen verheißen nicht viel Gutes. Doch irgendwann muss es ein neues Wort geben, das das gleiche Schicksal ereilen wird. Welches könnte es sein? Es bleibt in der Tat – „spannend“.

http://www.ruprecht.de/?p=7390

Veröffentlicht am 27. Januar 2015