Kommentar:
Wenn es stimmt – und das erscheint zum jetzigen Zeitpunkt zumindest
plausibel – dann ist es ein wissenschaftlicher Durchbruch. Vergleichbar mit dem
ersten geklonten Säugetier Dolly, oder mit dem ersten in vitro gezeugten
Menschen. Es wäre aber eine andere Art von Durchbruch. Denn der chinesische
Forscher He Jiankui hat erstmal nichts Besonderes geleistet - dass es technisch
möglich sein dürfte, auch menschliche Embryonen mit Crispr-Cas9 genetisch zu
verändern, das war anhand der bisherigen Forschungsergebnisse absehbar.
Er hat auch kaum neue wissenschaftliche Erkenntnisse zutage gefördert.
Nein: Ein Durchbruch - und auch ein Tabubruch - ist es, weil He Jiankui einfach
losgelegt hat, während andere noch diskutieren, über die medizinischen und
ethischen Implikationen bei Eingriffen in die Keimbahn des Menschen.
Denn wie hier einen kompletten Menschen zu verändern, also alle seine Zellen,
und auch alle seiner potentiellen Nachkommen, das ist etwas ganz anderes als
somatische Gentherapien, die nur bestimmte Zellen und Gewebe eines
Menschen betreffen.
Aus großer Macht folgt große Verantwortung. Und die Genschere Crispr-Cas ist
ein sehr mächtiges Werkzeug, mit dem man das Genom de Menschen
verändern kann.
Deshalb gibt es jetzt zurecht Kritik. Auch am Vorgehen von He Jiankui: Er hat bis
zuletzt im Geheimen operiert. Außerdem hat er nicht den in der Wissenschaft
üblichen Weg gewählt, seine Ergebnisse zunächst in einer Fachzeitschrift zu
veröffentlichen. Stattdessen gab es Agenturmeldungen und Youtube-Videos.
Im Kern aber geht es hier um die Frage, ob Eingriffe in die menschliche
Keimbahn überhaupt erlaubt sein sollten. Die meisten Experten sagen: Nein! Zu
riskant. Sogar eine der Erfinderinnen der Genschere CrisprCas9, die US-
amerikanische Chemikerin Jennifer Doudna, hatte schon vor Jahren zusammen
mit anderen Forschern in einem Aufruf gefordert: „Verändert nicht die
menschliche Keimbahn!“
Dieser und ähnliche Appelle haben in diesem Fall offensichtlich nicht
ausgereicht.
Das kann man jetzt bedauern und beklagen und anprangern. Aber rückgängig
machen kann man es nicht mehr. Der Geist ist aus der Flasche, die Babys sind
geboren.
Um es mal positiv zu sehen: Vielleicht ist der Fall aus China zumindest ein
Weckruf. Die lange befürchteten Designer-Babys sind damit ein Stück näher
gerückt. Es ist offenbar möglich, menschliche Babys genetisch zu verändern.
Und es ist somit potentiell auch möglich, schwere Erbkrankheiten zu beheben -
in einigen speziellen Fällen. Oder eben auch andere Merkmale zu verändern.
Die ethische Debatte ähnelt der zur Präimplantationsdiagnostik: In beiden
Fällen wird nachhaltig in die menschliche Evolution eingegriffen, auch wenn es
Unterschiede gibt: Mit der Genschere Crispr-Cas9 werden die Embryonen aktiv
genetisch verändert – womöglich mit unerwünschten Nebenwirkungen im
Erbgut, die wir heute noch nicht komplett absehen können.
Bei der PID hat man eine Regelung gefunden. Zwar keine Lösung, die für alle
Länder auf der Welt gilt. Und auch keine Lösung, mit der alle zufrieden sind. Es
ist ein Kompromiss. In Deutschland zum Beispiel ist die PID nur in seltenen
Ausnahmefällen zulässig, etwa zur Vermeidung von schweren Erbkrankheiten.
Sobald in Zukunft mehr über die möglichen Risiken bekannt ist, wären ähnliche
Kompromisse auch für Genveränderungen mit CrisprCas9 denkbar.
Ein wichtiger erster Schritt wäre es aber, sich möglichst bald darauf zu einigen,
zumindest vorerst nicht in die Keimbahn des Menschen einzugreifen. Dass die
Genschere nämlich wirklich nur an den gewünschten Stellen des Erbmoleküls
schneidet, ganz ohne Nebenwirkungen, das darf zurecht bezweifelt werden.
Ob und in welchem Umfang der Einsatz an Embryonen in Zukunft denkbar sein
könnte, und bei welchen Krankheiten, das wird am Ende wohl jedes Land für
sich entscheiden müssen. Gut möglich, dass die Entscheidung für China dann
anders ausfällt als für England, Belgien oder Deutschland. Aber die
gesellschaftliche Diskussion darüber muss dringend geführt werden, auch in
Deutschland, und zwar jetzt.
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