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Die Luft ist nicht rein

Da wohnt man schon zwischen den Meeren und dann das: Ausgerechnet Schleswig-Holstein mischt im Ranking der dicksten Luft weit oben mit. Am Theodor-Heuss-Ring in Kiel wabern so viele Stickoxide durch die Gegend, dass die dortige Messstation regelmäßig Alarm schlägt. Der Jahresgrenzwert liegt bei 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter Luft, dort sind es im Schnitt 65. Es droht sogar ein gerichtlich angeordnetes Fahrverbot für alte Dieselautos.

Wer sich am Theodor-Heuss-Ring an den Straßenrand stellt, sieht, hört und riecht das Problem. Der Ring, Teil der Bundesstraße 76, ist die meistbefahrene Straße in der Landeshauptstadt. Über 100.000 Autos rauschen dort am Tag entlang. Hinzu kommt die Lage in einer Häuserschlucht und ein leichter Anstieg, der viele Autofahrer dazu veranlasst, einen Gang runterzuschalten. Kein Wunder, dass der kleine weiße Kasten, in dem sich die Luftmessinstrumente befinden, ständig meldet: Grenzwert überschritten. Besonders schlimm ist es mittags und abends, jeweils nachdem die Pendlerwellen durchgerollt sind.

Für über 70 Prozent der NO2-Emissionen des Straßenverkehrs in Städten sind Dieselmotoren verantwortlich. Einst wurden sie steuerbegünstigt, weil sie im Vergleich zu Benzinern weniger CO2 ausstoßen - dabei wurde vor allem an den Klimaschutz gedacht. Etwas unter den Tisch fiel aber leider, dass Diesel immense Mengen anderer Partikel und Gase ausstoßen - Feinstaub, Schwefeloxide, Stickoxide. Allesamt hochgradig gesundheitsschädigend.

Weil einige Autohersteller mit ihrer Schummel-Software auch noch dafür gesorgt haben, dass Millionen Dreckschleudern die Autohäuser verließen, obwohl sie gesetzlich vorgeschriebene Abgas-Grenzwerte nicht einhielten, haben Deutschlands Städte jetzt ein Problem. 57 Prozent der städtischen verkehrsnahen Luftmessstationen registrierten im Jahr 2016 Überschreitungen des Jahresgrenzwertes, vermeldet das Umweltbundesamt. In Schleswig-Holstein ist dies neben Kiel auch in Norderstedt der Fall. Bei 44 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft lag hier im vergangenen Jahr der Wert. Itzehoe liegt mit 37 Mikrogramm knapp unter den zulässigen 40 Mikrogramm.


Warum sind Stickoxide so gefährlich?

Doch was bedeutet eigentlich dieser Grenzwert - und reicht der aus? Dazu muss man sich zunächst vor Augen führen, was Stickoxide mit unserem menschlichen Körper machen. Die Liste der möglichen Gesundheitsschäden ist lang und reicht von Kopfschmerzen über Schwindel und Atemnot bis hin zu Befindlichkeitsstörungen. Für Asthmatiker ist das Abgas besonders problematisch. Bei zu hohen Konzentrationen steigt außerdem das Risiko für Schlaganfälle. „Eine ziemlich schlimme Substanz", urteilt Hermann Kruse, Toxikologe an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel. Er weist auf eine weitere Gefahr hin, die oft vergessen werde: NO2 schädige auch das Immunsystem.

Außerdem dürfe man nicht außer Acht lassen, dass trotz eines Jahresdurchschnitts im grünen Bereich einzelne Tage mit sehr hohen Werten auftreten können. „Im Körper können auch einmalige drastische Erhöhungen schon einen Effekt auslösen", betont der Toxikologe. „Das kann dann der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt." Die bestehenden Grenzwerte reichen seiner Meinung nach auf keinen Fall aus. „Bis vor wenigen Jahren lag die Jahresobergrenze noch bei durchschnittlich 80 Mikrogramm pro Kubikmeter. Auf Drängen von Toxikologen, aber auch von Ingenieuren wurde er nach langen Diskussionen im Jahr 2010 auf 40 gesenkt. Aber dieser Wert ist immer noch nicht gesundheitsschützend." Nach Kruses Ansicht müsste das zulässige Jahresmittel auf 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft halbiert werden. Das sei dann ein Vorsorgewert. „Und mit dieser Meinung bin ich bei Weitem nicht der Einzige", unterstreicht er.


Uneinigkeit über Grenzwerte

An den Grenzwerten scheiden sich die Geister. Einige - meist industrienahe - Experten sagen: Alles Hysterie, die Werte sind viel zu niedrig angesetzt. Andere fordern wie der Kieler Toxikologe die weitere Verschärfung. Folgendes Experiment wird in diesem Zusammenhang gern geschildert: Das Health Effect Institute in Boston hat 2015 Ratten Dieselabgasen eines Euro5-Motors mit Partikelfilter ausgesetzt. Lungenschäden konnten sie nicht nachweisen. Leichte Reizungen der Atemwege traten erst bei einer NO2-Konzentration von etwa 8000 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf. Also wirklich alles nur Panikmache?

Nein. Denn was man bedenken muss: Während die Ratten nur vergleichsweise kurz großen Mengen von Stickstoffoxiden ausgesetzt waren, sind Menschen - vor allem Stadtbewohner - dies im schlimmsten Fall ihr ganzes Leben lang. Und auf ein weiteres Problem weist Hermann Kruse hin: Man darf NO2 nicht isoliert betrachten. „Das Gas ist auch in Verbindung mit anderen Schadstoffen schädlich, Wechselwirkungen beispielsweise mit Stäuben werden leider oft ausgeblendet."


Tückischer Feinstaub

Neben Stickoxiden ist auch Feinstaub wesentlicher Verschmutzer unserer Atemluft. Feinstaub, das sind winzige, für unser Auge unsichtbare Staubkörnchen, die bei Verbrennungsprozessen in die Luft gepustet werden. Das Tückische an ihnen: Sie können bis in die Lungenbläschen vordringen, von dort in die Blutbahn gelangen und sich im gesamten Körper verteilen. Hohe Feinstaub-Konzentrationen machen Menschen krank: massive Atembeschwerden, allergische Reaktionen, Verschlimmerung bei Asthma und Lungenentzündung sind typische Folgen. Dass Feinstaub krebserregend ist, gilt mittlerweile als bewiesen.

Zum Glück halten sich die Werte in Schleswig-Holstein im Rahmen. Die Grenze von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Außenluft im Tagesmittel darf im Jahr an 35 Tagen überschritten werden. Alle Orte bleiben darunter. Aber dennoch: An allen Messstationen sind in diesem Jahr die Tage mit Überschreitungen deutlich mehr geworden. Teilweise hat sich die Anzahl im Vergleich zum gesamten Vorjahr schon verdreifacht - obwohl das Jahr noch nicht zu Ende ist. Wie kann das sein? „Die Anzahl der Tage mit Überschreitung schwankt von Jahr zu Jahr, bedingt durch die meteorologischen Randbedingungen", erklärt Nicola Kabel, Sprecherin des Kieler Umweltministeriums.

Nicht vergessen darf man auch, dass es neben dem Straßenverkehr noch andere Luftverschmutzer gibt, die gerade in puncto Feinstaubemissionen eine nicht geringe Rolle spielen: Industriebetriebe, Kraftwerke, private Kaminnutzer, Schiffe. Kiel erlebt in den letzten Jahren einen regelrechten Kreuzfahrer-Boom. Immer mehr dicke Pötte machen dort fest. Und während die Passagiere kurz auf Landausflug gehen, qualmen die Schornsteine fleißig weiter und pusten Schiffsdiesel in die Hafenluft. Die Versorgung mit Landstrom ist leider für die allermeisten immer noch Zukunftsmusik.

Aber jetzt auch mal zu den guten Nachrichten: In weiten Teilen Schleswig-Holsteins kann man die Luft beherzt einatmen, ohne befürchten zu müssen, dass sie einen krank macht. Denn gefährliche Konzentrationen gibt es nur punktuell, räumlich begrenzt - in erster Linie in den Städten, da, wo der Verkehr brummt. Im ländlichen Raum, speziell an den Küsten oder auf den Inseln, ist die Luft makellos.


Druck aus Brüssel

An gut 20 Messstationen wird über das Land verteilt die Luftqualität amtlich überwacht. Für jede einzelne Stunde kann man die Werte im Internet einsehen und sich so informieren, wie es in der Heimatstadt oder -region aussieht. Die Daten werden vom Land direkt ans Umweltbundesamt und von dort an die EU-Kommission weitergeleitet - Brüssel hat sozusagen die Luft-Oberaufsicht. Und macht Druck, wenn trotz mehrmaliger Grenzwert-Überschreitung nichts passiert. Seit Langem droht die EU Deutschland mit einer Klage wegen zu hoher Stickoxid-Werte in den Städten, das Vertragsverletzungsverfahren zieht sich schon über Jahre. Nun sieht es so aus, als würde Brüssel tatsächlich Ernst machen: Anfang Dezember will die EU-Kommission endgültig über die Klage entscheiden, hieß es in dieser Woche. Und kaum jemand zweifelt daran, dass sich Deutschland bald vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten muss.

Klagen will auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) - und zwar unter anderem gegen Kiel und Norderstedt wegen Untätigkeit in Sachen Luftreinhaltung. Im Sommer hatte die DUH 45 deutsche Städte dazu aufgefordert, Konzepte zur Luftreinhaltung vorzulegen. Die Frist ist inzwischen verstrichen - ohne dass Schleswig-Holstein etwas eingereicht hat. Das Umweltministerium gibt an, mit den entsprechenden Behörden der „Problem-Städte" an Plänen zu arbeiten - aber das dauert wohl mindestens bis zum nächsten Jahr. „Die für die Luftreinhaltung zuständigen Behörden sollen mit den Klagen dazu bewegt werden, die (...) Luftreinhaltepläne derart fortzuschreiben, dass die NO2-Grenzwerte ,schnellstmöglich', das heißt bereits im Jahr 2018, eingehalten werden", erklärt die DUH. Ein Diesel-Fahrverbot in Kiel hält ihr Geschäftsführer Jürgen Resch für unumgänglich. Die für Februar angekündigte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird mit Spannung erwartet.


Luftreinhaltepläne für SH

Grundsätzlich gilt: Fallen Städte in Sachen dicker Luft negativ auf, muss das Umweltministerium Luftreinhaltepläne aufstellen. In den letzten Jahren war das in Ratzeburg, Itzehoe, Kiel und Norderstedt der Fall. In Ratzeburg wurde daraufhin beispielsweise die Verkehrsführung im Ort neu geregelt und eine zuvor stark befahrene Straße entlastet - mit Erfolg für die Luftqualität, die Stickoxidbelastung ist seitdem zurückgegangen. Auch in Itzehoe führte eine geänderte Lenkung der Autos und Lkw zu besseren Messwerten. Daran arbeitet zur Zeit auch Norderstedt. Hier hofft man auf den Abschluss des A7-Ausbaus nördlich des Elbtunnels und das Ende des Ausweichverkehrs in die Innenstadt, wodurch sich das Problem von selbst erledigen könnte.

Größtes Sorgenkind ist und bleibt Kiel. Die Stadt hat auf dem Theodor-Heuss-Ring neuen Asphalt verlegt - und zwar einen ganz besonderen, „photokatalytischen". Bestimmte beigemischte Stoffe sorgen dafür, dass giftige Abgase abgebaut werden. „Wir hoffen außerdem, dass viele Dieselfahrer das von den Herstellern angebotene Software-Update für die Abgasreinigung annehmen. Und wir erwarten vom Bund Anreize dafür, dass alte Diesel schnell vom Markt verschwinden - ob das Autos von Handwerkern sind, von den Kieler Verkehrsbetrieben oder aus unserer eigenen Flotte", sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer im Interview mit unserer Zeitung. „Und wenn das nichts nützt, müssen wir über die Nachrüstung von Hardware an den Autos nachdenken."

Die Nachrüstung von Hardware, das bedeutet meist das Einbauen sogenannter AdBlue-Technik. Dabei wird künstlicher Harnstoff über einen zusätzlichen Tank ins Abgas gespritzt. Bis zu 90 Prozent weniger Stickoxide gelangen so in die Luft. Aber die nachträgliche Montage ist teuer, weshalb sich die Hersteller bislang erfolgreich sträuben und mit Software-Updates lediglich Oberflächen-Kosmetik betreiben wollen.

Mit der Entschärfung der Diesel-Fahrzeuge allein wäre das Problem der dicken Luft aber auch noch nicht gelöst. „Es genügt nicht, nur an einer Schraube zu drehen", meint der Toxikologe Hermann Kruse. „Sicherlich sind die Diesel-Motoren ein ganz gewichtiger Punkt, aber man muss auch bei den Schiffen, der Hausfeuerung und kleinindustriellen Betrieben ansetzen." So seien zum Beispiel die Zementwerke im Land große NO2-Emittenten.


Aktuelle Daten zur Luftqualität gibt es beim Umweltbundesamt.

von Merle Bornemann erstellt am 25.Nov.2017

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