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Kita-Gebühren: Der 100-Euro-Mythos - wie das Krippengeld verpufft

Wenn nach den Sommerferien das neue Kita-Jahr beginnt, müssen viele Eltern in Schleswig-Holstein für die Betreuung tiefer in die Tasche greifen. Zahlreiche Kommunen erhöhen die Gebühren in teilweise beträchtlichem Umfang. Das ist per se nichts Ungewöhnliches - kommt aber nun auffällig geballt und zu einem Zeitpunkt, der einen Zusammenhang mit dem Kita-Geld, das Eltern ab Januar 2017 finanziell entlasten soll, nahelegt. Den Zuschuss von 100 Euro vom Land sollen Eltern von Kindern unter drei Jahren erhalten, deren Nachwuchs in einer öffentlich geförderten Kinderkrippe betreut wird. Auf diesen schielen nun offenbar die Kommunen.

Nicht alle formulieren es so ehrlich wie Petra Bülow, Bürgermeisterin in Hollingstedt (Kreis Schleswig-Flensburg): „Das ist Geld, das eigentlich in die Kita-Haushalte fließen sollte." Um 16 Prozent steigen die Gebühren im U3-Bereich in ihrer Gemeinde ab Sommer. Die Entlastung der Eltern legitimiere das Drehen an der Gebührenschraube, so Bülow. Mit der Erhöhung ist ihre Kommune nicht allein - weitere Beispiele findet man derzeit wie Sand am Meer. Itzehoe erhöht ab dem neuen Kita-Jahr die Elternbeiträge um fünf Prozent, auch im Kreis Rendsburg-Eckernförde wird vielerorts draufgeschlagen: zum Beispiel in Wasbek und Padenstedt, aber auch in Lindau, wo sich Eltern auf gepfefferte Preise gefasst machen müssen - 160 Euro mehr und somit satte 630 Euro werden dort ab August für die Ganztagsbetreuung eines U3-Kindes fällig. Flensburg warnt schon mal, dass im Zuge der geplanten Kita-Neubauten damit zu rechnen sei, „dass es zu einer Diskussion über eine Anpassung der Gebühren kommt", sagt Rathaus-Sprecher Clemens Teschendorf. Auch Kiel will nach Angaben der Pressestelle demnächst die Gebühren „überprüfen und ggf. anpassen".

„Sehr viele Gemeinden sind zu einer Erhöhung gezwungen. Das sind keine Einzelfälle", sagt Jörg Bülow, Landesgeschäftsführer des Gemeindetages. Im letzten Jahr hätten sich die Personalkosten durch den Tarifabschluss massiv erhöht, zudem würden Kinder immer früher und für immer längere Zeit betreut - das müsse eine Kommune irgendwie stemmen. „Das Land verteilt mit dem Krippengeld Geschenke an die Eltern und lässt die Kommunalpolitiker als Buhmänner dastehen - das ist ein unfaires Miteinander." Das Krippengeld komme zum falschen Zeitpunkt. Elternentlastung sei zwar gut und wichtig, aber momentan müsse vordringlich in die Qualität, vor allem eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels in den Kitas, investiert werden.

Markus Potten, Geschäftsführer vom Verband Evangelischer Kindertageseinrichtungen (VEK) in Schleswig-Holstein, sieht das ähnlich. „Die Erhöhungen sind nicht pauschal auf das Krippengeld zurückzuführen, wegen gestiegener Betriebskosten war längst absehbar, dass die Elternbeiträge weiter ansteigen würden", erklärt er und ergänzt: „Natürlich ist eine Gebührenerhöhung für Eltern weder im Sinne des Krippengeld-Erfinders noch in unserem Sinne - zumal Eltern in Schleswig-Holstein im Vergleich zu anderen Bundesländern für die Kita-Betreuung ohnehin schon überdurchschnittlich hoch zur Kasse gebeten werden." Zum Vergleich: Während in Schleswig-Holstein ein Platz zwischen 200 bis 700 Euro kostet, ist die Kita in Hamburg und Berlin beitragsfrei.

Das Hauptproblem sieht er wie Jörg Bülow im „chronisch unterfinanzierten Kita-System im Land". Zusätzliche Mittel seien zuletzt vor allem dazu verwendet worden, zusätzliche Plätze zu schaffen und den Rechtsanspruch der Eltern auf einen Betreuungsplatz zu erfüllen - die Qualität vor allem im Ü3-Bereich sei dabei auf der Strecke geblieben.

Zudem ist die Finanzierung der Kitas in Schleswig-Holstein extrem undurchsichtig, in jeder Kommune setzt sie sich unterschiedlich zusammen, weshalb ein Überblick kaum möglich ist. Das will Sozialministerin Kristin Alheit (SPD), aus deren Budget auch das Krippengeld fließt, bald angehen: „Mein Ziel ist es, mit den Kommunen gemeinsam zu einem einfacheren und nachvollziehbareren Finanzierungssystem zu kommen. Niemandem ist vermittelbar, warum die Gebühren in einzelnen Gemeinden derart unterschiedlich sind." Langfristiges Ziel sei eine beitragsfreie Kita.

Zum „Klau" des von ihr eingeführten Krippengeldes durch viele Kommunen sagtAlheit: „Es ist weder nachvollziehbar noch angemessen, wenn sie mit Verweis auf unsere zukünftige Elternentlastung Elternbeiträge wieder erhöhen. Wir investieren bewusst mehrgleisig: in Kommunen bei den Kita-Betriebskosten, verbessern zusätzlich die Fachkraftquote und führen jetzt als dritte Säule die Elternentlastung ein." Sie betont, dass das Land parallel zum Krippengeld für Eltern den Kommunen insgesamt 51 Millionen Euro bis 2018 (11 Millionen in 2016, je 20 in 2017 und 2018) für zusätzliche Personalausgaben in der Ganztagsbetreuung der Kinder bereitstelle. Damit solle der Betreuungsschlüssel verbessert werden.

Die Kita-Eltern in Schleswig-Holstein sind empört darüber, dass viele Kommunen sich das Krippengeld durch die Hintertür wiederholen. „Schlimm, dass es nun wieder keine Entlastung für die Eltern gibt. Die Kommunen können ja leider tun und lassen, was sie wollen", beklagt Landeselternvertreter Volker Peters. Er bezweifelt, dass die Kommunen das zusätzliche Geld tatsächlich für die Qualitätsverbesserung der Kita-Betreuung verwenden.

Chaos im Kinderzimmer: Ein Kommentar von Merle Bornemann:

Bei diesem Preis muss man als Eltern zweimal hinschauen, und sich dann erstmal setzen: 630 Euro kostet in der Gemeinde Lindau (bei Gettorf) ein Ganztagsplatz in der Krippe. In Neumünster sind es dagegen nur 182 Euro. Während das neue Krippengeld von 100 Euro monatlich Eltern in Neumünster also eine Schnäppchen-Betreuung beschert, ist es in Lindau nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das System Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein gleicht einem unaufgeräumten Kinderzimmer. Das pure Chaos. Grundsätzlich gilt: Die Kosten für die Kinderbetreuung teilen sich Eltern, Kommunen und das Land. Doch die Anteile variieren von Kommune zu Kommune. Wo klamme Kassen herrschen oder die Prioritäten anders liegen, buttern Eltern viel dazu.

Gebäude, Ausstattung, Personal - keine Frage, so ein Krippenplatz kostet insgesamt viel Geld. Rund 12.400 Euro im Jahr, wie eine Erhebung 2012 ergab. Doch das sollte uns die frühkindliche Bildung auch wert sein. Immerhin geht es hier um unser aller Zukunft. Und die sollte allen Kindern - ob aus armen oder reichen Elternhäusern - ermöglicht werden. Ein Armutszeugnis für das Land, wenn es manchen aufgrund der hohen Elternbeiträge verwehrt bleibt.

Deshalb ist das Krippengeld eine gute Idee. Dass sich die Kommunen dieses nun durch höhere Gebühren von Familien wieder reinholen, kann man ihnen dennoch nicht übel nehmen, wenn sie denn die Euros tatsächlich in die Kita-Qualität investieren - reichen doch die Zuschüsse vom Land hinten und vorne nicht aus.

Das ganze System gehört auf den Prüfstand. Zum Glück hat Sozialministerin Alheit das bereits erkannt. Nun müssen Taten folgen.

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