Tondern | Das Granitpflaster vor dem Rathaus ist mit roten Glitzerherzen bedeckt. Es ist kurz vor 10 Uhr, und die Tür zum Trausaal öffnet sich bereits zum sechsten Mal an diesem Freitagmorgen. Schweißperlen glänzen auf der Stirn von Standesbeamtin Heidi Jensen. Es sind 28 Grad. Sie nimmt einen großen Schluck aus ihrer Wasserflasche, die sie unter dem hölzernen Rednerpult deponiert hat. Schnell von der Banane abbeißen, dann geht es auch schon weiter. Der nächste Bräutigam geht ungeduldig im Warteraum auf und ab: Josef Eichinger, 63 Jahre, aus Vilshofen in Bayern möchte heute die 46-jährige Van Dinh aus Vietnam heiraten. "Herzlich willkommen bei uns", begrüßt Heidi Jensen Paar Nummer 7 mit strahlendem Lächeln. Van Dinhs weiße Seidenhose unter dem rot-goldenen Gewand rauscht bei jedem Schritt, als sie neben ihrem Zukünftigen in den großen Trausaal schreitet. "In ihrer Heimat ist das die traditionelle Hochzeitstracht", erklärt die Trauzeugin. "Wir haben uns übers Internet kennengelernt", sagt der Bräutigam. "Dann bin ich zu ihr nach Saigon geflogen und wir haben uns auf Anhieb gut verstanden." Die Braut nickt freundlich, aber viel Deutsch versteht sie nicht.
1800 Paare pro JahrFünf Minuten, ein Kuss und zwei Unterschriften später sind die beiden Mann und Frau. "Des woars scho?" Josef Eichinger ist überrascht. Die Standesbeamtin versichert ihm, dass alles seine Richtigkeit habe und zeigt ihm die Eheurkunde. "Tyskland - das ist Dänisch für Deutschland, haben Sie vielleicht schon mal gehört", erklärt sie. Hat er nicht, aber das ist jetzt egal. Ein Foto mit Heidi Jensen, dann ein Glas eisgekühlter Sekt. Am nächsten Tag geht es wieder auf die Autobahn, 1000 Kilometer nach Süden. Die Eichingers sind eines von rund 1800 Paaren, die sich jährlich in Tondern das Ja-Wort geben. Dänische Paare verirren sich selten in das Rathaus der beschaulichen 7500-Seelen-Gemeinde kurz hinter der Grenze. Meist gehen hier binationale Paare den Bund der Ehe ein, vor allem Deutsche haben die süddänische Idylle als Heiratsmekka für sich entdeckt. Allerdings nicht wegen der beschaulichen Atmosphäre und der Nähe zum Meer. "Wegen dem furchtbaren Bürokratismus in Deutschland", sagt Josef Eichinger. In Deutschland wird die Ehe problemlos anerkannt, aufgrund eines Abkommens zwischen den Ländern.
Behörden-Marathon für AusländerWer sich in Deutschland vermählen will, aber nicht im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, dem steht ein Behörden-Marathon bevor. Vielen Paaren geht dabei der Atem aus. Das Problem: Sie müssen Dokumente vorlegen, die es in ihren Heimatländern oft gar nicht gibt. So zum Beispiel das "Ehefähigkeitszeugnis", das bescheinigt, "dass einer beabsichtigten Eheschließung keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen", heißt es im deutschen Recht. Besonders schwer haben es Menschen aus Ländern, die es gar nicht mehr gibt. Die Sowjetunion oder Jugoslawien zum Beispiel. Urkunden aus diesen aufgelösten Staatenverbünden akzeptieren deutsche Standesämter nicht. Eine Fahrt in den Geburtsort ist nötig, um dort eine neue Urkunde zu beantragen. Das kostet Zeit, Nerven und Geld. Um dem deutschen Bürokratismus zu entfliehen, strömen die Heiratswilligen nach Dänemark. Dort herrschen liberalere Ehegesetze. Besonders vorteilhaft für Paare wie Josef Eichinger und Van Dinh: Um den legalen Aufenthalt nachzuweisen, genügt hier ein Touristenvisum. Ein längerfristiges Visum, wie in Deutschland erforderlich, hätte die Vietnamesin nie bekommen. Außerdem geht es schnell: Von Anmeldung bis zum Ja-Wort vergehen im besten Fall nur drei Tage.
Gemietete TrauzeugenAuf dem Tisch von Heidi Jensen liegt bereits ein kleiner Haufen Papiertücher, mit denen sie zwischen den Trauungen ihr Gesicht trocken tupft. 15 Minuten sind pro Paar vorgesehen, aber gehetzt wird nicht. Zeit für Fotos und einen netten Plausch muss sein. "Wir nehmen uns die Zeit, die das einzelne Paar braucht", meint die Dänin. Gegen die 53 Trauungen in der Vorwoche seien die 35 Male in dieser Woche ein Klacks, sagt ihre Kollegin Bente Stenger. Für die Hochzeit von Andreas Mergel aus Hamburg und Bergita Krushevci, gebürtige Kosovarin, nehmen wieder zwei Senioren im Saal Platz. Es ist das vierte Paar, dessen Ja-Wort sie heute als Trauzeugen begleiten dürfen, obwohl sie die beiden noch nie zuvor gesehen haben. Zwei Trauzeugen sind hier Pflicht. Damit das nicht zur Hürde wird, stellt das Rathaus diese kostenlos bereit - als Teil des Rundum-Sorglos-Pakets. Rekrutiert werden sie im örtlichen Seniorentreff. "Die Rentner haben immer Lust, diese Aufgabe zu übernehmen", erzählt die Standesbeamtin. Als Gegenleistung bekommt die Senioreneinrichtung Spenden.
Heiratstourismus als wichtiger WirtschaftsfaktorDer Heiratstourismus hat sich in Süddänemark zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt. Floristen, Fotografen, Brautmode-Geschäfte und Hotels findet man reichlich in der Fußgängerzone Tonderns. Bis vor Kurzem galt eine Mindestaufenthaltsdauer von drei Tagen vor der Eheschließung - mit Hotelnachweis. Diese wurde jedoch gekippt, da die Pflicht gegen das EU-Recht verstößt, wie die dänsiche Zeitung "Jydske Vestkysten" berichtet. Doch weiterhin werden wohl viele Paare die Hochzeit mit ein paar Urlaubstagen in der Region verbinden. Kurz nach 12 Uhr erfüllt gurgelnder Jubel den Trausaal. Diane Yefono und Arsene Kemegni, gebürtige Kameruner, haben sich die Ringe angesteckt. Das Hochzeitsessen wollen die frisch Vermählten samt mitgereister Geschwister und Freunde auf einem Autobahn-Rastplatz einnehmen. So schnell wie möglich wollen sie zurück "nach Hause" - ins deutsche Gießen. Dort leben und arbeiten sie seit vielen Jahren. Nur heiraten, das konnten sie dort nicht. "Zu viel Stress mit Formalitäten."
von Merle Bornemann, Schleswig-Holstein am Sonntag erstellt am 05.Aug.2013 | 01:55 Uhr