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Wie Mainzer und Wiesbadener zu Rivalen wurden

Frühjahr 1841: Ein Zug donnert über die Strecke der Taunus-Eisenbahn in Richtung Wiesbaden. Dicker, weißer Dampf quillt in einer hohen Säule aus dem Schornstein der Lokomotive, die Eisenräder rattern laut über die Gleise. Die Bahnstrecke von Frankfurt nach Wiesbaden ist eine absolute Neuheit, erst 1840 wurde sie fertiggestellt. An Bord des Zuges: Der junge Friedrich Franz von Mecklenburg, der später einmal Großherzog Friedrich II. von Mecklenburg sein wird. Zu diesem Zeitpunkt allerdings ist er gerade einmal 18 Jahre alt und studiert an der Universität in Bonn. Der junge Friedrich macht auf der Eisenbahn eine Reise den Rhein hinunter, besucht unter anderem Koblenz, Mainz und Frankfurt.


Am 5. März schreibt Friedrich in sein Tagebuch: „Partie nach Bibrich. Amüsante Fahrt auf der Eisenbahn. Den berühmten Damm und das Schloss besehen." Mit dem berühmten Damm meint der junge Adlige einen provisorischen Damm aus Bruchsteinen, den Mainzer Kaufleute erst gut einen Monat zuvor in einer sprichwörtlichen Nacht-und-Nebel-Aktion in der Zufahrt des damaligen Biebricher Freihafens aufgeschüttet hatten. Ein vorsätzlicher Sabotageakt, der als ein möglicher Ursprung der bis heute gepflegten Rivalität zwischen Mainzern und Wiesbadenern gilt - das jedenfalls nehmen Mitarbeiter des Biebricher Heimatmuseums an.


Mainzer bangen um Existenz

Schon damals trennte der Rhein die beiden Städte nicht nur als natürliche Grenze - Mainz gehörte zum Großherzogtum Hessen, Wiesbaden zum Herzogtum Nassau. Potenzial genug für eine Rivalität, zumal die Städte immer schon so eng beieinander lagen. Es war allerdings mit großer Sicherheit keine Bosheit, die die Mainzer dazu brachte, den Biebricher Hafen lahmzulegen. Es war vielmehr Angst um die eigene wirtschaftliche Existenz - so jedenfalls sahen sie die Sache offensichtlich. Denn Mainz lebte vom Handel auf dem Rhein - und genau in diesen Sektor drängte Wiesbaden nun hinein. Eine wesentliche Ursache war die neue Taunus-Eisenbahn, die der junge Friedrich Franz in seinem Tagebuch erwähnt. Diese hatte nämlich seit kurzer Zeit eine Anbindung an den Biebricher Freihafen, der überhaupt erst seit Mitte der 1830-Jahre existierte.


Diesen liefen die Handels-Dampfschiffe aus Köln, Düsseldorf, den Niederlanden oder von anderswo, die ihre Fracht üblicherweise bisher in Mainz gelöscht hatten, jetzt zunehmend lieber an. Denn von Biebrich konnte die Ladung direkt mit der Eisenbahn nach Frankfurt weiter transportiert werden, anstatt wie bisher per Fuhrwerk von Mainz über die Kasteler Schiffbrücke und erst dann mit der Eisenbahn weiter.

Das war erst recht ein Tiefschlag für die Mainzer, weil diese gerade erst 1831 den Verlust ihres Stapelrechts zu verkraften hatten. Dieses hatte bestimmt, dass jedes Handelsschiff dort Station machen und seine Waren anbieten musste. Ohne das Privileg war Wiesbaden als Konkurrenz plötzlich gefährlicher denn je.

Außerdem warfen sie den Wiesbadenern vor, mit einer Uferbefestigung an der heutigen Rettbergsaue das Fahrwasser des Rheins umgelenkt zu haben. Das sollte mit dafür gesorgt haben, dass die großen Dampfschiffe nun nicht mehr an Mainz, sondern an Biebrich vorbei fahren mussten.


Ein Damm über Nacht

Die Ungerechtigkeit über diese Entwicklungen wollten die Mainzer Kaufleute sich nicht bieten lassen. Mehrere Eingaben an die hessische Ständeversammlung blieben allerdings wirkungslos, deshalb beschlossen sie selbst eine drastische Aktion: Sie organisierten rund 100 Lastkähne, die sie mit Steinbrocken beluden und nach Mainz schafften. Von dort aus zog die kleine Flotte am Abend des 28. Februar den Rhein hinunter Richtung Biebrich. Offizieller Grund: Eine große Lieferung Steine für den Bau des Kölner Doms. So schöpfte niemand zu früh Verdacht.


Zwischen der Petersaue und der heutigen Rettbergsaue warfen die angeheuerten Tagelöhner die Steine von Bord. Sprichwörtlich über Nacht entstand ein gut 200 Meter langer Steindamm, der die Zufahrt zum Biebricher Hafen blockierte. Die Aktion war offenkundig gut geplant und lange nicht so inoffiziell, wie es den Anschein hat, denn der Dammbau wurde von bewaffneten großherzoglich-hessischen Soldaten bewacht.


Die Sache hat ein Nachspiel

Die Nassauer in Wiesbaden waren über den Mainzer Handstreich selbstverständlich empört. Diese gaben sich unschuldig, sie sahen sich offiziell im Recht. Die Wiesbadener brachten die Sache allerdings zur Anzeige - der Streit ging bis hinauf zur Bundesversammlung in Frankfurt, dem Kongress des Deutschen Bundes. Das führte letztendlich dazu, dass König Ludwig II. von Hessen im März den Rückbau des Dammes befahl. Der erwies sich aber als beschwerlich. Bis wieder Dampfschiffe in Biebrich anlegen konnten, dauerte es noch bis in den Juni.


Offiziell beigelegt wurde der Streit zwischen Nassau und Hessen am 1. August 1843. Endgültig beseitigt war der Damm aber erst 1844. Die Rivalität zwischen Mainz und Wiesbaden hat ihn allerdings bis heute überlebt.

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