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Gab es auf der US-Airbase Erbenheim jemals Atomwaffen?

Der Flugplatz Erbenheim kann auf eine lange, ereignisreiche Geschichte zurück blicken: Seit 1945 diente das Gelände den gesamten Kalten Krieg hindurch erst der US-Airforce und später der US-Army als europäisches Hauptquartier. Mehrfach wurden geheime Operationen von dort aus gestartet - in den 50ern starteten von der Air Base aus U2-Spionageflugzeuge und Gerüchten zufolge flogen in den 80er-Jahren amerikanische Tarnkappen-Jäger von Erbenheim aus. Doch lagerten die USA hier auch Atomwaffen?


Der Bombe auf der Spur

Die Website Atomwaffen A-Z ist eine Initiative des Trägerkreises Atomwaffen abschaffen und der Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges . Dort heißt es in einem Eintrag zu Atomwaffenstandorten in Deutschland: „Im ehemaligen US-Atomwaffenlager Wiesbaden waren vermutlich bis 1974 atomare Gefechtsköpfe für die Kurzstreckenrakete "Sergeant" eingelagert. Ab 1974 wurden hier thermonukleare Sprengköpfe für das Waffensystem „Lance" stationiert."


„Es ist nicht ohne weiteres möglich herauszufinden, wo Atomwaffen lagern oder gelagert wurden" - Otfried Nassauer, Atomwaffenexperte


So einfach sei die Sache allerdings nicht, erklärt Otfried Nassauer. Er halte die Angabe auf der Website für falsch. Nassauer ist Journalist und Friedensforscher und ein deutschlandweit bekannter Experte für den Kalten Krieg und die atomare Rüstung. Seit 1991 betreibt er das Berlin Information-Center for Transatlantic Security, eine ehrenamtliche Plattform, die sich mit Friedensforschung befasst und umfangreiche Archive unterhält. „Es ist nicht ohne weiteres möglich, überhaupt herauszufinden, wo Atomwaffen lagern oder früher einmal gelagert wurden", sagt Nassauer.


„Die NATO hat niemals offiziell bestätigt oder dementiert, dass irgendwo Atomwaffen liegen" - Otfried Nassauer, Atomwaffenexperte


„Die NATO hat niemals offiziell bestätigt oder dementiert, dass irgendwo Atomwaffen liegen oder lagen", erklärt Nassauer die Problematik. Das sei auch im Fall Wiesbaden nicht anders. Ob irgendwo Atomwaffen gelagert wurden oder werden, ließe sich vor allem anhand von Luftbildern klären. „Es gibt bestimmte Merkmale, die typisch für Atomwaffenlager sind."


Atomwaffen auf der Airbase?

„Gerade in den frühen Jahren des Kalten Kriegs, also den 50er und 60er-Jahren, war es nicht unüblich für die US-Streitkräfte, Atomwaffen auf Flugplätzen zu lagern", sagt Nassauer. „Allerdings gibt es dafür im Fall Erbenheim keine Indizien."

Das unterstützt auch der deutsch-amerikanische Historiker John Provan. Er hat nach eigener Aussage die meisten US-Stützpunkte der Region selbst gesehen und unterhält ein umfangreiches Fotoarchiv. „Auf der Airbase Erbenheim war meines Wissens nichts - Anlagen für Atomwaffen sehen ganz anders aus", sagt er.


Dotzheim - Atomsprengköpfe in Camp Pieri?

„In Wiesbaden war im Kalten Krieg eine atomwaffenfähige US-Einheit stationiert" - Otfried Nassauer, Atomwaffenexperte


„In Wiesbaden war im Kalten Krieg eine atomwaffenfähige US-Einheit stationiert: Das erste Battaillon der 333. Field Artilley", erzählt Nassauer. Diese Einheit hatte ihre Kaserne im Camp Pieri in Dotzheim. Diese Kaserne bestand bis 1993 - Heute befindet sich dort unter demselben Namen ein Studentenwohnheim.


Im Militarisierungsatlas der Bundesrepublik von Peter Barth und Alfred Mechtersheimer aus den 1980er-Jahren ist das Camp Pieri aufgeführt - mit dem Vermerk Atomwaffenlager. Nassauer zufolge verfügte das dort stationierte Bataillon auch wirklich über Kurzstreckenraketen der Typen Sergeant und später Lance - Waffen, die auch mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden konnten. Die nuklearen Sprengköpfe für die Waffen mussten aber nicht zwangsläufig am Standort der Einheit gelagert werden, so Nassauer.


Verdacht erhärtet sich nicht


Er habe in Wiesbaden nur zwei kleine ehemalige Munitionsdepots ausmachen können, erklärt Nassauer - Eins davon bei Frauenstein im Wald. „So versteckt, wie das lag, hat das vielleicht dazu beigetragen, dass man glaubte, da seien Atomwaffen." Das allerdings wäre ziemlich untypisch gewesen: „Keine Mehrfachumzäunung, nicht mal ein gerodeter Streifen am Zaun lang, keine Reste von Wachtürmen, keine Beleuchtung und kein freies Sichtfeld für die Bewacher."


„Persönlich halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass es in Wiesbaden Atomwaffen gegeben hat" - Otfried Nassauer, Atomwaffenexperte


Ähnlich drückt sich auch John Provan aus. „In Hanau beispielsweise war das Atomwaffendepot entsprechend gesichert - mit Zäunen und speziellen Wachtürmen. In Wiesbaden habe ich nichts dergleichen gesehen." Gewissheit gibt es nicht - eine Auskunft von den US-Streitkräften zu der Frage, ob in Wiesbaden jemals Atomwaffen stationiert waren, war bisher nicht zu bekommen. Nach seiner eigenen Einschätzung gefragt, sagt Nassauer aber: „Persönlich halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass es in Wiesbaden Atomwaffen gegeben hat".


Die letzten US-Amerikanischen Atomwaffen werden heute allgemein auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel vermutet, gut 85 Kilometer von Wiesbaden entfernt. Das bestätigen auch Otfried Nassauer und John Provan. Original