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Können diese Pflastersteine für bessere Luft sorgen?

Auf dem Gehweg liegen nichtssagende, hellgraue Pflastersteine: Rechteckig, unscheinbar, vollkommen alltäglich. Äußerlich unterscheidet sie nichts von abertausend anderen, die unzählige Bürgersteige, Straßen und öffentliche Plätze dieses Landes pflastern. Und nichts deutet darauf hin, dass ausgerechnet diese unscheinbaren Steine zur Bekämpfung von Luftverschmutzung dienen sollen: Ihre mit Titandioxid behandelte Oberfläche soll gefährliches Stickstoffdioxid in der Luft unschädlich machen. Diverse Städte wie beispielsweise Frankfurt experimentieren zum Teil schon seit Jahren damit. Dort wurden in einem Pilotprojekt spezielle Gehwegplatten verlegt.

Im vergangenen Monat machte die AfD die Steine auch in Wiesbaden zum Thema: Mit einem Antrag im Umweltausschuss forderte die Rathausfraktion eine Prüfung von verschiedenen, bereits am Markt vorhandenen Produkten auf ihre Wirksamkeit bei der Beseitigung von Stickstoffdioxid.

Was ist Titandioxid?

Auch wenn Titandioxid exotisch klingt, ist es aus unserem Alltag kaum wegzudenken. Als Weißpigment wird es hauptsächlich in Lacken und Anstrichen verwendet, kommt aber auch zum Beispiel in Laminatpapier, Sonnencreme, Zahnpasta, Lebensmitteln und Medikamenten als Färbemittel zum Einsatz.

Für den Umweltschutz spielt die Farbe allerdings keine Rolle. Hier geht es vielmehr um eine ganz andere Eigenschaft der Verbindung, nämlich die Möglichkeit zur so genannten Photokatalyse. Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass Oberflächen, die speziell mit Titandioxid behandelt sind, im Zusammenspiel mit Sonneneinstrahlung chemische Prozesse in Gang setzen können. In diesem Fall den Zerfall von giftigem Stickstoffdioxid zu ungiftigen Nitraten, die dann mit dem nächsten Regen weggespült werden können.

Britische Studie spricht gegen Titandioxid

Im Labor ist die Wirksamkeit von Titandioxid einwandfrei bewiesen. Ob die Steine die Luft aber auch in der Praxis sauberer machen, ist umstritten. Die Air Quality Expert Group, ein Expertengremium der britischen Umweltbehörde DEFRA, veröffentlichte dazu am 13. April 2016 einen Report, der intensiv der Frage nachgeht, wie wirksam Titandioxid-Oberflächen bei der Luftreinigung wirklich sind.

Darin kommt sie sinngemäß zu dem Schluss, dass es unter normalen Umweltbedingungen unmöglich sei, dass größere Mengen Luft mit den Titandioxid in Kontakt kämen. Die Beschichtung könne somit keinen wesentlichen Einfluss auf die Stickstoffdioxid-Konzentration in der Luft haben.

Frankfurter Projekt liefert ernüchterndes Ergebnis

Auch die Stadt Frankfurt, die 2012 in ihrem Pilotprojekt insgesamt 4600 Quadratmeter Gehwegplatten mit Titandioxid verlegt hatte, kommt zu einem wenig überzeugenden Ergebnis. Im Rahmen des Projekts wurden Messungen durchgeführt. Das Resultat: Kein messbarer Unterschied zu den alten, herkömmlichen Gehwegplatten.

„Es konnte kein Abbau von Stickstoffdioxid nachgewiesen werden." - Michaela Kraft

„Die Änderung der Stickstoffdioxidkonzentration zwischen 15 Zentimetern und drei Metern Höhe war sowohl über dem alten Belag als auch über dem photokatalytisch beschichteten Belag so ähnlich, dass kein Abbau der Stickstoffdioxidbelastung nachgewiesen werden konnte", sagt Michaela Kraft vom Amt für Straßenbau Frankfurt.

Berliner Wissenschaftler rät zu Pragmatismus

Eine weniger ernüchternde Sicht auf die Dinge liefert Professor Doktor Dietmar Aloys Stephan, Fachgebietsleiter am Institut für Bauingenieurswesen der Technischen Universität Berlin.

„Die Erwartungen an die Wirksamkeit sind oft zu hoch." - Dietmar Stephan

Das Problem an Projekten wie in Frankfurt sei vor allem der Maßstab. Die Wirksamkeit von Titandioxid sei unter Laborbedingungen einwandfrei nachweisbar, bei der praktischen Anwendung aber sehr gering. Der Nachweis sei auch aufgrund der Bedingungen im Freien schwierig. „Die Erwartungen an die Wirksamkeit sind außerdem oft zu hoch - drei bis fünf Prozent, unter optimalen Bedingungen bestenfalls zehn, sind ein realistischer Wirkungsgrad."

Außerdem werde sich ein messbarer Effekt erst beim Einsatz in großem Maßstab zeigen. Kleinere Versuche reichten dazu nicht aus, Versuche in großem Maßstab fehlten aber bisher, weshalb man in der Forschung vor allem mit Simulationen arbeite. „Man muss in dieser Sache einfach Erfahrungen sammeln", so Stephan wörtlich.

„Pflastersteine herauszureißen wäre Unsinn." - Dietmar Stephan

Von Baumaßnahmen eigens zur Bekämpfung von Stickoxiden rät Stephan allerdings ab: „Gezielt deswegen zu bauen oder beispielsweise Pflastersteine herauszureißen, um sie zu ersetzen, wäre Unsinn." Er hält es hingegen durchaus für empfehlenswert, bei ohnehin anstehenden Bau- und Renovierungsmaßnahmen auf Materialien mit Titandioxid zurückzugreifen. Diese seien zwar erheblich teurer als herkömmliche Baustoffe, allerdings seien diese Mehrkosten im Verhältnis zu den Gesamtkosten eines Bauprojekts kaum von Bedeutung und daher zu vernachlässigen. Auf lange Sicht könnte auf diese Weise ein große Fläche abgedeckt und so ein merklicher Effekt erzielt werden.

Antrag im Wiesbadener Umweltausschuss

Der Umweltausschuss der Stadt Wiesbaden ist davon aber nicht überzeugt und hält sich an Studien wie die der DEFRA und Ergebnisse von Projekten wie in Frankfurt. Der Antrag der AfD wurde im Ausschuss intensiv diskutiert und letztendlich als nach Aussprache für erledigt erklärt. Die Prüfung wird nicht stattfinden.

„Die Wirkung von Titandioxid ist in der Praxis nicht nachweisbar." - Ronny Maritzen

Dazu der Vorsitzende des Umweltausschusses Ronny Maritzen: „Die Wirkung von Titandioxid ist momentan in der Praxis nicht nachweisbar. Die Ursachenbekämpfung ist deutlich wichtiger. Der Verbrennungsmotor muss mittelfristig der Vergangenheit angehören."

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