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Das Biebricher Stadtwappen - Wirklich ein Biber?

Auf dem Flur im ersten Stock der Ortsverwaltung Biebrich prangt eine Plakette an der Wand. Darauf zu sehen: ein Wappenschild in leuchtendem gelb, darauf ein Motiv in Schwarz und Blau. Wappen wie dieses haben eine lange Tradition und sind auch heute noch ein alltäglicher Anblick. Ämter und Behörden beispielsweise - und natürlich auch Städte und Gemeinden - präsentieren sie stolz als sichtbares Aushängeschild und Teil ihrer Identität.

Auch die Gemeinde Biebrich stellt ihr Wappen offen zur Schau. Darauf zu sehen „in gelb über blauem Wellenfuß wachsend ein schwarzer Biber, in dessen Maul ein blauer Schlüssel", soweit die offizielle Beschreibung der Stadt. Ursprünglich geht dieses Wappen zurück auf eine Reihe von Gerichtssiegeln aus dem 17. Jahrhundert, die heute als Repliken im Biebricher Heimatmuseum zu sehen sind. Das Motiv durchlief eine ganze Reihe von Veränderungen, in seiner heutigen Form besteht es erst seit 1951. Das Motiv sei aber nicht abstrakt oder willkürlich gewählt, so ein Mitarbeiter des Biebricher Heimatmuseums, sondern steht sprichwörtlich für das, was das Wappen vertritt: den Biber als Namenspatron der Stadt.

Das Tier auf dem Wappen ähnelt auf den ersten Blick aber nur wenig dem Erscheinungsbild eines europäischen Bibers. So sind zum Beispiel die ausgeprägten Nagezähne eines solchen im Wappen nicht zu erkennen. Stattdessen zeigt das Tier eindeutig Fangzähne, ist also ein Raub- und kein Nagetier. Außerdem hat es deutlich sichtbare Schwimmhäute zwischen den Zehen der Vorderpfoten, die ein Biber nicht hat.

Ein kurioser Vergleich

Das Biebricher Wappen weist große Ähnlichkeit mit einem anderem Wappen auf, nämlich dem der Schweizer Gemeinde Männedorf. Auch auf deren Wappenschild sieht man ein schwarzes, eher schlankes Tier mit rundem Kopf und vorgereckten Vorderläufen, ebenfalls mit ausgeprägten Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Und auch dieses Tier hält etwas Blaues im Maul, nämlich einen Fisch. Der Haken an der Sache: Die Wappenbeschreibung des Männedorfer Wappens weist das Tier eindeutig als Otter aus.

Noch kurioser wird der Vergleich, wenn man den Umstand hinzu nimmt, dass auch der Biebricher Biber im Verlaufe seiner Entwicklungsgeschichte in mehreren Varianten gar keinen Schlüssel, sondern einen Fisch im Maul trug. Und das, obwohl Biber Vegetarier sind.

Der Biebricher Biber - ein verkannter Otter?

Hat Biebrich also irrtümlicherweise jahrzehntelang fälschlicherweise einen Otter in seinem Wappen präsentiert und sollte folglich eher „Otterich" heißen? Der Otter hat nämlich sowohl Fangzähne, als auch ausgeprägte Schwimmhäute an den Vorderpfoten und sieht dem Biebricher Wappentier auch sonst sehr ähnlich.

Die Sache scheint klar, der Biber als verkappter Otter einwandfrei überführt. Allerdings nicht wirklich, denn tatsächlich ist diese Darstellung des Wappentiers eine Neuerung des modernen Stadtwappens in seiner Form von 1951. Betrachtet man dagegen ältere Darstellungen, so ergibt sich ein gänzlich anderes Bild.

Hier nämlich sieht das dargestellte Tier eindeutig wie ein Biber aus: gedrungen, etwas struppig, mit deutlich erkennbarem Schuppenschwanz und ohne Schwimmhäute. Der Schlüssel, den er heute im Maul trägt, liegt hier noch zu seinen Füßen. Wie also kommt es, dass sich der Biber so sehr verändert hat?

Der vermeintliche Otter, ein Produkt der Moderne

Die Antwort liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in der Neufassung des Wappens im Jahr 1951, als die Stadt Wiesbaden sämtliche Ortsteil-Wappen neu gestalten ließ, darunter auch das von Biebrich. Gestalter des neues Wappenschilds war, nach Auskunft einer Mitarbeiterin des Wiesbadener Stadtarchivs, der Kommunalheraldiker Heinz Ritt, der für die Gestaltung von rund 90 Prozent der heutigen Ortswappen in Hessen verantwortlich sei.

Im Zuge dieser Neugestaltung scheint sich, so lässt sich mutmaßen, der Biebricher Biber in seine heutige, otterhafte Form gewandelt zu haben. Die Gründe hierfür sind unklar. Möglicherweise entsprach die neue Form mehr den ästhetischen Vorstellungen Ritts, wohingegen biologisch korrekte Details vielleicht in den Hintergrund traten. Möglich auch, dass er bei dem Entwurf auch Wappen mit Ottern zum Vorbild herangezogen hatte, die ihn beeinflussten. Bei der Gestaltung des Ortswappens bedurfte es 1951 laut Auskunft des Stadtarchivs immerhin keiner Genehmigung durch das Land, wie früher üblich. Lediglich die Stadt musste ihr Einverständnis geben, Hinz hatte also höchstwahrscheinlich große Freiheiten bei der Gestaltung.

Biber bleibt Biber

Die Frage nach den genauen Ursachen leider bleibt offen, denn Heinz Ritt ist 2010 verstorben. Eines jedoch ist klar: Stadt und Lokalhistoriker sind sich einig - Fangzähne und Schwimmhäute hin oder her - das Biebricher Wappentier ist und bleibt eindeutig ein Biber. Auch wenn er in seiner gegenwärtigen Form, bis zu seiner nächsten eventuellen Verwandlung, einem Otter doch verdächtig ähnlich sieht.

Dass der Biber allerdings auch ursprünglich der Namensgeber für Biebrich war, ist bestenfalls fraglich. Wie Leser Konrad Conrad richtig eingeworfen hat, kommt der Name Biebrich ursprünglich mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht von „Biber", sondern von „Biburc" oder „Biburg", wie der Ort bei seiner erstmaligen Erwähnung hieß. Dieser Name bedeute, so Mitarbeiter des Biebricher Heimatmuseums, so viel wie „Bei der Burg" oder „Vor der Burg" und weise auf eine Burg oder andere Befestigung hin, die am Ort der heutigen Mosburg im heutigen Biebricher Schlosspark gestanden haben soll.

Anm. d. Redaktion: Um noch genauer auf den eigentlichen Ursprung des Namens „Biebrich" einzugehen, haben wir den letzten Absatz nachträglich hinzugefügt.
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