MAINZ - 111 Jahre ist Mainz 05 inzwischen alt. Und zumindest die jüngere Vereinsgeschichte lässt sich in genau zwei Phasen unterteilen: Vor und nach Jürgen Klopp. Seit der eigentliche Linksverteidiger zum Trainer umfunktioniert wurde, hat der Verein eine erstaunliche Entwicklung erlebt. Mittlerweile erlebt er seine elfte Saison in der Bundesliga, spielt in einer neuen Arena vor zehntausenden Menschen und in der Europa League. Zu dieser Entwicklung haben natürlich neben Klopp noch viele andere beigetragen. Die einen mehr, die anderen weniger. In unserer Serie „Was macht eigentlich...?" erzählen wir, was aus den kleinen und großen Helden von einst geworden ist.
Was in seinem Kopf vorging, wusste Markus Schuler in diesem Moment nicht, und er weiß es jetzt noch weniger. Doch an den Rest dieses Moments erinnert er sich ganz genau. Wie er von der linken Außenbahn nach innen zieht, wie er, ganz untypisch für ihn, mit dem rechten Fuß einfach mal schießt. Wie der Ball dann erst nach oben schnellt, ehe er sich stark senkt. Und an das Gefühl, als der Ball im Kreuzeck einschlägt.
„Ein sehr schönes Tor und ein super Gefühl", sagt Schuler heute über jene 24. Minute im Spiel der 05er gegen Hannover 96. In diesem Moment erlebte der damals 24-Jährige zum letzten Mal in seiner Karriere das Gefühl, getroffen zu haben. 264 Spiele absolvierte Schuler als Profi nach diesem September-Tag im Jahr 2001 noch, nie mehr schoss er den Ball über die gegnerische Torlinie. Die FAZ taufte ihn deswegen den „ungefährlichsten Bundesliga-Spieler aller Zeiten". Ein Superlativ, der einerseits natürlich völlig falsch ist. „Aller Zeiten" erhebt ja nicht nur Anspruch auf alles bisher da gewesene, sondern schließt auch die Zukunft und jeden noch kommenden Fußball-Profi ein. Die Bezeichnung ist Schuler andererseits aber auch: völlig egal. „Ich habe das immer mit Humor gesehen", sagt der heute 39-Jährige. „Man muss ja auch erstmal diese Kombination schaffen. Ich habe zwar null Bundesliga-Tore, aber immerhin 182 Bundesliga- und 128 Zweitliga-Spiele auf dem Buckel."
57 davon hat er für Mainz bestritten. Anfangs noch als linker Mittelfeldspieler, als der er im Sommer 2000 von Fortuna Köln an den Bruchweg wechselte. Hinten links verteidigte Vjekoslav Skrinjar. „Doch der hat sich dann verletzt und fiel länger aus, also schulte mich Jürgen Klopp zum Linksverteidiger um", erzählt Schuler. Zwar kam seine Versetzung nach hinten ein bisschen aus der Not heraus, doch sie gefiel ihm. „Die neue Position erschien mir auf Anhieb wie auf mich zugeschnitten." Es bedurfte keiner großen Worte. Schuler hatte das Spielgeschehen fortan vor sich, marschierte die Außenbahn hoch und runter und hatte „einen Wahnsinns-Spaß. Ich war ja erstmal überhaupt froh, dass ich spielen durfte."
Mit Kloppo wurde bei Mainz 05 alles gut
Schuler erinnert sich gerne an seine Zeit am Bruchweg, nicht nur wegen des letzten Tores seiner Karriere. „Anfangs standen wir mit dem Rücken zur Wand, dann kam Kloppo und wir sind marschiert", sagt er. Leider reichte es für Schuler und seine Mannschaftskameraden am Ende nicht zum Aufstieg in die Bundesliga, „aber es war trotzdem eine rundum tolle Zeit. Einen solchen Zusammenhalt wie in Mainz habe ich danach nur noch selten erlebt."
Danach folgte sein persönlicher Aufstieg. Schuler ging zu Hannover 96 in die Bundesliga, weitere zwei Jahre später zu Arminia Bielefeld, wo er fünf Jahre lang Stammspieler war, als Kapitän Fixpunkt für die jüngeren Spieler wurde. Und schließlich in einem Rutsch aus der ersten in die dritte Liga abstieg. Schuler blieb bei der Arminia, er und seine Familie fühlten sich wohl in Bielefeld. Bis er nach einer Drittliga-Saison und einem Mittelfußbruch im Sommer 2012 Schluss machte.
„Dann bekam ich das Angebot, Co-Trainer in Bielefeld zu werden", berichtet Schuler. Etwas zu spät, leider. Da hatte er sich schon entschlossen, mit seiner Familie zurück in seine Heimat, in die Nähe von Freiburg, zu ziehen. Lange habe er über das Angebot nachgedacht, „aber wir wollten einfach unseren Lebensmittelpunkt an einem festen Ort haben und nicht Gefahr laufen, alle zwei oder drei Jahre wieder umziehen zu müssen."
Es folgte der harte Schnitt. Zwar besitzt Schuler die Trainer-B-Lizenz, hat mit dem Fußball aber nicht mehr wirklich was zu tun. Manchmal geht er kicken mit seinen Kumpels, oder mit seinem Sohn. Drei, vier Mal im Jahr ins Stadion, „ansonsten schau ich mir das alles in der Sportschau an." Schuler lebt nun ein neues Leben. Der Abschied vom alten sei sehr emotional gewesen, der Übergang ins neue nicht einfach. Sein Leben hatte ja 30 Jahre lang daraus bestanden, einem Lederball hinterherzurennen. Doch mit der Zeit hat er sich damit abgefunden. Mit der Zeit verfestigte sich in ihm die Erkenntnis, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Er wusste, wo er hin wollte, und da ist er jetzt: Markus Schuler, früher Fußballer, heute Fachwirt für Finanz- und Energie-Beratung und Finanzmakler. Statt einem Ball hinterherzurennen, kümmert sich Schuler heute um die Rückabwicklung von Lebensversicherungen, berät Unternehmen, wo sie eine effiziente Geldanlage tätigen und wo sie engergietechnisch Kosten einsparen können.
Lehre als Bankkaufmann schon vor der Karriere
Vor seiner Karriere hatte er eine Lehre als Bankkaufmann absolviert, nach der Karriere studierte er zwei Jahre. Jeweils eines für den Fachwirt und eines für den Berater. „Ins Lernen wieder reinzukommen war schon schwierig", gibt er zu, „aber ich habe mich bewusst dafür entschieden, habe mir die Zeit dafür genommen und mir viel neues Wissen angeeignet."
Das setzt er jetzt als Freiberufler deutschlandweit um. In seiner Heimat, wo er nur unterklassig beim FV Donaueschingen gespielt hatte, tut er das weitgehend unentdeckt. „Aber da bin ich auch gar nicht böse drum", sagt er. In den Regionen um Bielefeld, Hannover oder Mainz wird Schuler schon noch erkannt. „Dass man Verteidiger im Kopf behält, ist eher selten, die meisten erinnern sich doch an Torjäger, und da war ich ja nicht gerade der größte..."
Ein paar Kontakte in die alte Welt pflegt er noch. Neulich hat er mal wieder mit Manuel Friedrich gesprochen und mit Sven Hoffmeister telefoniert, dem ehemaligen 05-Torwart, der noch für die Traditionsmannschaft aufläuft. „Wir haben ausgemacht, dass ich auch mal mitspiele, wenn es zeitlich passt", sagt Schuler, „darauf freue ich mich schon."
Genau wie auf das Heimspiel der Mainzer gegen den SC Freiburg, für den er heimatbedingt Sympathien pflegt. Schuler wird mit ein paar Freunden zum Spiel reisen. Sein erstes Mal in der Opel Arena. Wem er da die Daumen drückt? „Schwierige Frage, da habe ich gemischte Gefühle." Er wünscht sich ein schönes Spiel. Gerne mit ein paar Toren.
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