In Dortmund bekam Alexander Isak keinen Fuß auf den Boden, unter vier verschiedenen Trainern konnte sich der Schwede nicht durchsetzen. Jetzt will ihn angeblich der FC Barcelona verpflichten. Über einen, der sein Glück in Spanien gefunden hat.
In den allerseltensten Fällen ist es hilfreich, wenn A‑Jugendtrainer, Spielerberater oder Sportblätter junge Talente mit den größten Fußballern der Geschichte vergleichen. Yoann Gourcuff werde der Nachfolger von Zinedine Zidane, sagten sie. Robinho sei der neue Pele, hieß es. Aktuell hoch im Kurs steht Sandro Tonali von Brescia Calcio. Weil nicht nur seine Spielanlage, sondern auch seine Frisur den Vergleich nahe legt, muss er mit dem Stempel „neuer Pirlo" auflaufen.
Ähnlich erging es Alexander Isak, als er 2017 von AIK Solna zu Borussia Dortmund wechselte und die Medien den damals 17-Jährigen den „nächsten Ibrahimovic" tauften. Ob das auf Chinedu Obasis Mist gewachsen ist, ist nicht ganz klar, doch der ehemalige Hoffenheimer und Schalker, der mit dem jungen Isak zusammen in Solna kickte, sagte nach einem Spiel mal: „Wenn alles gut geht, könnte er Schwedens neuer Zlatan Ibrahimovic werden."
So ist es drei Jahre später noch nicht gekommen. Aber, immerhin: Der FC Barcelona soll bei Alexander Isak angeklopft haben. Wie einst bei Zlatan.
Drahtige Beine, dünne Arme, 1,90 Meter lang, verteilt auf schmächtige 77 Kilogramm - die Eckdaten lassen mal überhaupt nicht auf Ibrahimovic schließen, bei dem sich 95 Kilogramm Körpergewicht auf 1,95 Meter stapeln. Brachial und achtunggebietend. Isaks Statur hingegen wirkt ungewohnt für einen Spieler auf der Neun: hauchzart, fast grazil. Das macht ihn allerdings wendig und schnell - ähnlich wie einen Windhund.
Dieser dünne, schnelle Junge beginnt mit fünf Jahren das Fußballspielen beim AIK Solna, dem Verein seiner Heimatstadt. Elf Jahre später gibt er sein Debüt in der ersten Mannschaft im Pokalspiel gegen Tenhults IF, kommt in der 75. Minute und trifft elf Minuten später zum 6:0‑Endstand. Es folgen die Meilensteine einer Karriere jedes hochgehandelten Stürmertalents: Das erste Mal Startelf, das erste Ligator, das erste Mal zur Jugendauswahl der Nationalmannschaft, langsam wird das Toreschießen zur Routine, sodass die A‑Nationalelf nicht um ihn herumkommt. Münden, das ist bald klar, wird das Ganze in einem Wechsel in eine der Top-5-Ligen Europas. Bloß: Bei Alexander Isak passiert jeder dieser Schritte noch etwas früher als gewöhnlich.
So früh, dass Statistiker irgendwann anfangen zu zählen und es Rekorde purzelt: Der jüngste Torschütze des AIK Solna, der jüngste Torschütze für Schwedens Nationalteam, Newcomer des Jahres. Und so entwickeln die Dinge ihre Eigendynamik, ehe Zlatan - der beste Fußballer, den das Land je gesehen hat - ins Spiel kommt: Der eine im Spätsommer seiner Karriere, der andere im Frühjahr. Der eine hat jugoslawische Wurzeln, der andere eritreische. Beide sind groß und hungrig auf Tore. Dann kommt Borussia Dortmund, kauft Isak für knapp 9 Millionen Euro und er löst Zlatan ab als teuersten Spieler, der je aus der schwedischen Allsvenskan geholt wurde. Die Beweise verdichten sich, bis der Befund stichhaltig ist. Und voilà: Isak ist der neue Zlatan. Ohne Zweifel.
Über Willem ll zu Real Sociedad
Dabei wird das Alexander Isak nicht gerecht, der einen ganz eigenen Stil hat, neben dem Platz schüchtern und zurückhaltend ist und nicht annähernd ans Selbstbewusstsein eines Ibrahimovics herankommt. Isak gibt sehr spärlich Interviews, inszeniert sich nicht auf Instagram oder sonst wo in der Öffentlichkeit. „Er ist schüchtern und sehr bescheiden“, sagt sein ehemaliger U17-Coach Magnus Wickam über ihn. Trotz seines jungen Alters sei er aber sehr reif. Neben und auf dem Platz: „Ein sehr intelligenter Spieler.“ Durchsetzen kann er sich außerhalb Schwedens zunächst aber nicht.
Weder unter Thomas Tuchel, Peter Bosz und Peter Stöger noch unter Lucien Favre gelingt ihm der Durchbruch beim BVB. Insgesamt kommt er in zwei Jahren nur 13 Mal zum Einsatz, trifft dabei einmal im Pokal. Seinen Wechsel im Januar 2019 leitet Isak dann selbst ein.
Nachdem er im Testspiel gegen Willem ll Tilburg zwei Mal getroffen und der Verein Gefallen an dem Schweden gefunden hat, geht es per Leihe in die Eredivisie. Dort avanciert er zum Toptorjäger der Tilburger und schießt 13 Tore in 16 Ligaspielen. „Ich habe nie mit einem kompletteren Spieler gearbeitet“, soll Willem-Trainer Adrie Koster gesagt haben, der bei Ajax unter anderem Luis Suarez trainiert hat.
Nicht wenige Stimmen monieren daraufhin, Isak habe in Dortmund nie eine echte Chance bekommen. Andere entgegnen, sich bei vier verschiedenen Trainern nicht durchzusetzen, spreche für sich. So geht es im Sommer 2019 für Isak nicht zurück nach Dortmund, sondern im Versandverfahren für 6,5 Millionen Euro direkt weiter nach San Sebastian zu Real Sociedad. Der Golf von Biskaya. Maritimes Klima. Wieder eine neue Sprache.
Martin Ödegaard profitiert von Isak
Und was der Stürmer in Holland angefangen hatte, führt er in La Liga weiter aus: Alexander Isak liefert der Fußballwelt ein Gesicht zu all den Schlagzeilen, Vergleichen und Erwartungen, die teils vom Hörensagen auf ihn projiziert wurden. Und das tut er mittlerweile nicht als neuer Zlatan, sondern als neuer Isak. Selbstbewusster, körperbetonter, Ibrahimovic-mäßiger. Der 20-Jährige trifft in La Liga und der Copa del Rey jeweils sieben Mal, fertigt Real Madrid mit einem Doppelpack im Pokal ab und schenkt Barca in der Liga einen ein.
Warum es bei Real Sociedad so gut für ihn läuft, liegt nicht zuletzt an einem der derzeit am heißesten gehandelten Teams im europäischen Fußball. In Spaniens erster Liga steht das Team von Trainer Imanol Alguacil auf Platz vier, im Pokal steht Sociedad im Finale. Dazu stellen die Basken mit einem Durchschnittsalter von 24,84 Jahren das jüngste Team der Liga auf. Die Achse bilden Innenverteidiger Robin Le Normand (23 Jahre) und Mikel Merino (23) vor der Abwehr, davor spielt Martin Ödegaard (21), der vielleicht beste Mittelfeldspieler der La-Liga-Saison. Er spielt die Pässe, die Alexander Isak (20) versenkt. Die beiden Offensiven profitieren enorm voneinander.
Fast alle Tore im Sechzehner
Dabei lässt sich Isak häufig tief fallen. Typisch für sein Spiel ist es, sich den Ball im Mittelfeld abzuholen, eine schnelle Drehung zu machen und der Verteidigung dann frontal gegenüberzustehen. Mit Ball am Fuß verschafft er sich den Überblick, den er benötigt. „Er ist sehr dynamisch und wenn er den Ball am Fuß hat, sucht er nach Platz in der gegnerischen Hälfte“, sagt sein ehemaliger Trainer Magnus Wickam über ihn.
Gibt Isak den Ball ab, stößt er mit Tempo in den Sechzehner, sucht die Lücken, die Mitspieler wie Ödegaard in Bruchteilen von Sekunden sehen. Technisch versiert nimmt er die Zuspiele mit und kann links wie rechts abschließen. Isak schießt fast alle seine Tore innerhalb des Sechzehners.
Dass er einen extrem guten ersten Kontakt und eine enge Ballführung hat, wird ihnen schon in Dortmund aufgefallen sein. Außerdem hat Isak ein ähnlich langes Beinwerk wie sein ewiger Referenzpunkt Zlatan Ibrahimovic, welches beide erstaunlich elastisch zum Einsatz bringen können. In Tillburg und nun in San Sebastian hat Isak gelernt, seine Stärken auf das Spiel der Mannschaft zuzuschneiden. Das hatte ihm in Dortmund gefehlt.
Purer Rock 'n' Roll
Die Basken spielen schnell, präzise und technisch oft einwandfrei. Spanische Medien und Experten sprechen davon, Real Sociedad spiele diese Saison den schönsten Fußball in La Liga. „Sie rennen nicht, sie fliegen“, „ein Tsunami“, „purer Rock ‚n‘ Roll“. Das junge Team spielt gierig, wie ein aufgeputschtes Rudel. Die Freistöße werden häufig flach und kurz gespielt. Jeder Einwurf wird schnell ausgeführt. Als hätten sie einen Pakt zum Angriff geschlossen. Zeugnis dieser Spielweise ist die Torquote: Nach Barca und Real Madrid hat kein Team mehr Tore erzielt als La Real.
Warum es in Dortmund für Alexander Isak letztendlich nicht funktioniert hat, wird sich nicht hinreichend beantworten lassen können. Denn auch im Pott spielt man schnellen, präzisen, technisch teils einwandfreien Fußball, was Isaks Spielweise eigentlich auf den Leib geschnitten ist. Dort fehlte es ihm allerdings an Selbstvertrauen und Zuneigung. Und vielleicht auch an der Chance.
Vergleich mit einem Löwen
Eine Rückkehr zum BVB hat Isak bereits ausgeschlossen, auch wenn etwa die Ruhr Nachrichten über eine Rückkaufoption der Schwarzgelben berichten. „Dortmund liegt nicht in meiner Zukunft“, sagte er der schwedischen Zeitung Aftonbladet. Er genieße es, in San Sebastian zu sein. Dort scheint er über Umwege sein Glück gefunden zu haben. Nun soll spanischen Medien zufolge der große FC Barcelona angeklopft haben. Sollten Barcas Wunschtransfers Lautaro Martinez oder Neymar im Sommer platzen, sei Isak die nächste Option.
Und wenn Isak so weiter macht, werden die Stimmen wieder lauter, die ihn als Nachfolger von Zlatan Ibrahimovic labeln. Da muss er dann wohl durch. Was Zlatan im Übrigen von Vergleichen mit seiner Person hält, hat er vor Jahren bereits klargestellt, als ihm Romelu Lukaku und Sergio Agüero gegenübergestellt wurden: „Löwen vergleichen sich nicht mit Menschen.“ Und schon gar nicht mit Windhunden.