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Apostile

Verlernte Einsamkeit

Henry David Thoreau war einsam. Zumindest für zwei Jahre. Der amerikanische Schriftsteller und Philosoph beschrieb in seinem Buch Walden oder Leben in den Wäldern die Abnabelung von der Zivilisation und somit auch der Allverfügbarkeit. In poetischer Art und Weise dokumentierte er im Selbstversuch seine Erfahrungen, für zwei Jahre in einer primitiven Blockhütte am See Walden Pond bei Massachusetts zu hausen. Alleine versteht sich.

Heutzutage gilt Einsamkeit als etwas Dissoziales. Allein sein heißt Single sein, Nerd oder Autist. Der Genuss der Einsamkeit scheint nur noch legitim zu sein, wenn dies vuvuzelaumtost verkündet wird. Durch Substantivierungen wie Auszeit oder Ruhephase umschrieben – Pardon: geposted – was sonst?! Kein stürmischer Aufbruch ohne Veröffentlichung des bevorstehenden Wagnisses. Schnell noch ein Selfie in Meditations-Pose geschossen oder ein “On the Road”- Instagram mit Early Bird-Filter verschönert. Into the Wild 2.0: Anstatt den Ausweis zu zerschneiden, wird im Vorfeld über Twitter geteilt und über Facebook geliked. Im Kontext des sozialen Lebens, dass sich mittlerweile von analoger Form, in einen digitalen Exkurs des “(anti-)social networkings” ergossen hat, ein schwieriges Unterfangen.

Nomophobie heißt der Kerberos der herbeigewünschten Einsamkeit. No more phone phobia bezeichnet die panische Angst kein vibrierendes Telefon mehr in der Tasche zu spüren. Das Risiko, wie ein toter Fisch durch die Maschen des kommunikativen Netzes zu rutschen, hat etwas von tragischer Fatalität mit katastrophalem Ausgang. Denn nur einen Tag nicht online zu sein, gleicht nahezu einer modernen Eremitage. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es durchaus unterhaltsam sein kann, irgendwo still zu sitzen und nur irgendetwas zu denken. Allein in seinen vier Wänden zu hocken und seine Gedanken zu Ende zu bringen, ohne diese halb gar von anderen beglaubigen zu lassen. Das klingt jetzt fürchterlich therapeutisch – nein, fast schon esoterisch. Doch das Alleinsein, trotz seiner gegenwärtigen Unpopularität, ist eine Lebenstechnik die wir wieder erlernen sollten. Die Auskostung von dieser uns nahezu innovativ erscheinenden Lebensqualität, hat der mantrahaften “Später vielleicht mal”-Floskel, Platz gemacht. Verwegenheit und Abenteuerlust wurde durch apathisches Display-Starren ersetzt und spätestens seit der Generierung von Seiten wie “Nature Porn” überflüssig gemacht. Es wird immerzu geplant, selten ausgeführt. Immerzu kommentiert, aber nie wirklich Stellung bezogen. Und wenn man erwacht, aus dieser Hatz der ständigen Verplantheit, des Drucks selbstauferlegter Dogmen, blickt man möglicherweise zurück auf das Ergebnis tagträumerischer Randnotizen, die genauso wenig greifbar sind wie das virtuelle Leben, das man all die Jahre geführt hat, ohne es selbst zu merken.

“Ich ging in die Wälder, weil ich bewusst leben wollte. Ich wollte das Dasein auskosten. Ich wollte das Mark des Lebens einsaugen! Und alles fortwerfen, das kein Leben barg, um nicht an meinem Todestag innezuwerden, dass ich nie gelebt hatte. ” Thoreaus Parabel der Solitude, nach über hundert Jahren scheint sie essentieller als je zuvor. <<