Wie ein Raubfisch lauert er an der Wasseroberfläche und wartet darauf, gnadenlos zuzuschlagen - den Blick immer nach unten gerichtet, hundertprozentig konzentriert. Es herrscht völlige Stille. Dann geht es los: Sein Körper wechselt blitzschnell von der Horizontalen in die Vertikale, für den Bruchteil einer Sekunde sind seine Beine noch in der Luft zu sehen und schon sind sie abgetaucht. Wie bei einem Schweizer Taschenmesser, das gut geölt einklappt. Übrig bleibt eine fast ruhige Oberfläche und die leise Ahnung, dass es unter Wasser nicht ganz so entspannt zugeht.
Was sich wie eine Szene aus einem Haifischbecken liest, ist in Wahrheit ein Unterwasserrugbyspieler in seinem natürlichen Umfeld. Jeden Donnerstag treffen sich die Spieler des Tauchclubs Offenburg (TCO) und gehen ihrer Lieblingsbeschäftigung nach. "Bei dem Sport besteht eine erhöhte Suchtgefahr", sagt Trainer Michael Krämer. Pro Trainingseinheit sind im Schnitt zehn bis zwölf Spieler und auch Spielerinnen im Wasser. Trainiert wird nämlich gemeinsam.
Aufstieg im vergangenen Jahr
Vor einigen Jahren noch gab es eine Kooperation mit dem Freiburger Tauchclub. Während die Jugendabteilungen nach wie vor gemeinsame Sache machen, gibt es im Seniorenbereich seit über einem Jahr wieder eine eigene Offenburger Mannschaft. Sie schaffte in der vergangenen Saison auf Anhieb den Aufstieg von der Bezirks- in die Landesliga. Geht es so erfolgreich weiter, würde der TCO in zwei Jahren in der Bundesliga spielen. Wer sich diesen Sport zum ersten Mal anschaut, könnte den Eindruck von völligem Chaos bekommen.
Bei genauerem Hinsehen wird einem jedoch schnell das Gegenteil bewusst: Das Spiel ist ziemlich elegant. Durch das Wasser bekommen die Bewegungen etwas Graziles. Da die Spieler Flossen tragen, schlängeln sie sich wie Aale durch das Becken, und weil immer wieder Spieler an die Oberfläche tauchen, um Luft zu holen, und andere dafür abtauchen, wirkt es fast wie ein Unterwassertanz. Fehlte nur noch die passende Symphonie - etwa von Schostakowitsch oder Tschaikowsky. Was allerdings Unterwasserrugby von Wasserballett oder Synchronschwimmen klar unterscheidet: Es ist ein sehr harter Sport.
Mehrdimensionaler Sport
Der Ballführende wird kompromisslos angegangen und die Gegenspieler versuchen alles Erlaubte, um in den Besitz des Spielgeräts zu kommen. Präzise Koordination, jede Menge Ausdauer und ein gutes Orientierungsvermögen sind unverzichtbar. Zerrissene Badehosen und die ein oder andere rote Strieme am Körper der Spieler sind Zeugnis von der Härte dieses Wassersports.
Auch Anfänger oder Nicht-Schnorchler finden relativ schnell den Zugang zu diesem Sport, ist Trainer Michael Krämer überzeugt. Es sei etwas Besonderes, drei Meter abzutauchen, schwerelos zu sein und zu sehen, welche Körperbeherrschung die erfahreneren Spieler an den Tag legen. Der Blick nach unten, die schnelle Drehung im Wasser, das Auftauchen und der Angriff - eine Sportart in mehr als nur einer Dimension.
Ein Spiel besteht aus sechs Spielern, sechs Auswechsel- und zusätzlichen drei Ersatzspielern. Gewechselt wird fliegend in einer speziellen Einwechselgasse. Die Länge des Spielfelds erstreckt sich über die volle Breite des Schwimmbeckens. Gespielt wird in zwei Halbzeiten zu je 15 Minuten. Das Ziel ist es, so viele Tore wie möglich zu erzielen. Wobei "Tor" irreführend ist: Es sind mit Gewichten beschwerte Körbe am Grund des Beckens.
Keine scharfen Kanten
Auch der Spielball ist stets unter Wasser. Aus diesem Grund ist er mit Salzwasser gefüllt, das wegen seiner höheren Dichte im Vergleich zum Süßwasser des Schwimmbeckens nicht aufsteigt. Daher ist es möglich, ganze Spielzüge unter Wasser zu kreieren. Doppelpässe, Pässe in den Lauf - beziehungsweise in den Schwimm - gehören selbstverständlich zum Spiel dazu. Sollte der Ball über Wasser geraten sein, ahndet der Überwasser-Schiedsrichter dieses Vergehen als Foul.
Unsportlichkeiten oder Regelverstöße in drei Metern Tiefe werden von zwei Unterwasser-Schiedsrichtern geahndet, die mit einer Sauerstoffflasche ausgestattet sind. Anstatt zu pfeifen, geben die Unparteiischen Hupsignale von sich. Je nach Art des Hupens gibt es dann eine Spielunterbrechung, eine Pause oder einen Spielerausschluss.
Was nicht erlaubt ist, sind Griffe an die Taucherbrille oder den Schnorchel, den alle Spieler tragen. Auch die Flossen sind tabu. Was dagegen in Mitleidenschaft gerät, sind die weißen oder schwarzen beziehungsweise dunkelblauen Badehosen, die gemeinsam mit der Bademütze sozusagen das Trikot bilden. An der Kopfbedeckung, die die Ohren vor Verletzungen schützen soll, befindet sich die Spielernummer. Um Gegen- und Mitspieler unter Wasser unterscheiden zu können, trägt jeder Akteur schwarze oder weiße Armbänder. Komplettiert wird die Ausrüstung bei den meisten mit einem Suspensorium. Das ist aber nicht Pflicht. Generell gilt: Scharfe Kanten sind verboten. Auch lange Fingernägel müssen ausnahmslos gestutzt werden.
Für das Selbstbewusstsein
Wer selbst einmal Lust hat, Unterwasserrugby auszuprobieren, sei beim Tauchclub in Offenburg herzlich willkommen: "Wenn wir jemand Neues dabeihaben, wird der natürlich behutsam behandelt. Wir gehen nur so weit, wie auch der oder die Neue geht", erklärt Trainer Michael Krämer. An diesem Donnerstag spielt so ein Neuer mit: Magnus, 18 Jahre, ist über einen Freund zu diesem Sport gekommen. "Ich bin zuvor erst einmal getaucht. Es ist wirklich anstrengend, und im Moment fehlen mir noch die Kraft und die Luft. Aber es macht Spaß", erzählt er. Ob er dabei bleibt, weiß er noch nicht. Da sich Magnus bei der Bundespolizei bewerben will, habe er sich gedacht: "Unterwasserrugby ist vielleicht eine gute Vorbereitung."
Rugby unter Wasser trainiert nicht nur die Ausdauer und Koordination, weiß Michael Krämer: "Dieser Sport fördert das Selbstbewusstsein ungemein. Deswegen freuen wir uns immer über Nachwuchs. Wer weiß, vielleicht können wir im neuen Bad in Offenburg dann früher als ab 21 Uhr trainieren. Dann würden eventuell auch Jüngere kommen." Das Durchschnittsalter der Unterwasserrugbymannschaft in Offenburg beträgt derzeit etwa 45 Jahre. So fit, wie sie durch den Sport sind, können sie aber noch einige Jahre weiterspielen. Bei den meisten echten Haien ist dagegen mit knapp 50 Schluss.
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