Frau Karadeniz, am Sonntag fanden in der Türkei die zweiten Parlamentswahlen binnen fünf Monaten statt. Sie selbst waren vor Ort in den kurdischen Städten Batman und Diyarbaker. Was war Ihre Aufgabe?
Nursin Karadeniz: Ich war mit einem Kameramann und einem Journalisten vor Ort, und wir haben mit Taxifahrern, mit Menschen auf der Straße, in Restaurants und so weiter gesprochen. Wir haben auch Gespräche mit den Kandidaten aller Parteien geführt. Nur mit dem der AKP (die Partei von Recep Erdogan) durften wir nicht reden.
Seit einigen Wochen sind die Unruhen in den kurdischen Gebieten der Türkei wieder größer geworden. Wie haben Sie die Stimmung vor Ort erlebt?
Karadeniz: Die Leute sind aus mehreren Gründen stark eingeschüchtert. An jeder Ecke standen Polizisten und maskierte Soldaten mit dem Maschinengewehr im Anschlag. Auf den Schulhöfen standen sogar Panzerwagen. Die Lage war total angespannt, und die Menschen hatten Angst vor Anschlägen. In einigen Lokalen, in denen wir waren, wurden Menschen von Soldaten zu öffentlichen Stimmabgaben gezwungen.
Die pro-kurdische HDP hat den erneuten Einzug ins Parlament zwar geschafft, Erdogans AKP hat dennoch die absolute Mehrheit erreicht. Kam das für Sie überraschend?
Karadeniz: Ich war schon überrascht. Allerdings gibt es viele Gründe, weshalb das passieren konnte. Anders als im Westen des Landes konnten die Menschen in den kurdischen Gebieten nur bis 16 Uhr wählen. Das hat etwas mit der Zeitumstellung zu tun, die Erdogan erst nach den Wahlen durchführen will. Das haben viele einfach nicht gewusst und kamen dann zu spät. Außerdem wurde die Zahl der Wahllokale in einigen kurdischen Bezirken vor der Wahl verringert, sodass die Menschen weiter fahren mussten, um ihre Stimme abgeben zu können. Ein weiterer Grund waren die Angriffe der letzten Wochen gegen Kurden. Es gibt Stadtteile, die regelrecht entvölkert wurden. Die Leute sind dann zu Verwandten oder Freunden, wo es sicherer ist. Allerdings darf man nur da wählen, wo man auch angemeldet ist. Diese Gründe und die Einschüchterung der Leute am Wahltag machen das Ergebnis erklärbar.
Wie haben die Kurden auf das Ergebnis reagiert?
Karadeniz: Als die ersten Hochrechnungen einliefen, waren wir in der Parteizentrale der HDP. Die Menschen jubelten und freuten sich. Als dann aber bekannt wurde, dass die AKP die absolute Mehrheit erreicht hat, änderte sich die Stimmung schlagartig. Sie waren traurig und entsetzt. Viele waren aber auch froh, dass es keine Anschläge gab und dass die Wahlen vorbei waren.